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Digital In Arbeit

Viel Mut, wenig Kraft

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Da gibt es ein Modewort, das benützt wird, um eine Manifestation jener unbestimmten Sehnsüchte auszudrücken, in denen sich das Unbehagen des unbehausten Menschen unserer Zeit offenbart: Nostalgiewelle. Doch genauer und bei Lichte besehen, ergibt sich, daß es bei dieser „Welle“ mehr um die kommerzielle Nutzung verschwommener Stimmungen geht, und die jeweils auf den Markt geworfenen Mittel zur angeblichen Nostalgiestillung bieten nur in den seltensten Fällen sachliche Information, präzise Analyse und treue Milieu- und Atmosphäreschilderung. Dies ist Grund genug, um sich über Ausnahmen zu freuen und ihnen jene Anerkennung zu zollen, die solchen Arbeiten gebührt, die lebendigen Einblick in Vergangenes vermitteln und kompromißlos zwischen anmaßendem Kitsch und anspruchsvollen wissenschaftlichen Werken stehen. Eine solche Ausnahme ist die bei der Grazer Druck- und Verlagsanstalt erschienene Neuauflage von Marti-nys Bilddokumenten über die österreichisch-ungarische Kriegsmarine und ihren Einsatz 1914—1918. Diese Neuauflage ist ein überzeugender Beweis, daß es weder falscher Romantik, noch dilettantischer Oberflächlichkeit, weder versonnener Verklärung noch gehässiger Abrechnungsdestruktion bedarf, wenn es um die Vergangenheit, und gar um einen jener Abschnitte geht, die noch heute Verlegenheit — wenn es auf die Deutung ankommt — hervorrufen.

Die zwei Bände bestechen schon allein durch die Qualität der graphischen Aufmachung. Die Reproduktion der Bilddokumente müßte und sollte als Maßstab dienen, denn sie stellt so manches Buch der Nostalgiewelle in den verdienten Schatten. Mit Überraschung merkt man, wie wenig Recht die moderne Photographie hat, über die Berufskollegen von vor mehr als einem halben Jahrhundert überheblich zu lächeln. Und was alles bei entsprechender Sorgfalt aus alten Aufnahmen herauszuholen, ist! Die einigen Photos beigefügten Daten, sowie 8 Karten, erhöhen den Wert des Werkes auch für den Fachmann. Es überrascht überhaupt, welchem weiten Interessentenkreis Martinys Arbeit einiges zu bieten hat.

An erster Stelle die gelungene Vermittlung der Atmosphäre einer historisch bedeutenden Zeit in einem auch heute militärisch und politisch wichtigen Raum. Gleichzeitig die menschlichen Implikationen eines durch seine spezifische Beschaffenheit und Aufgabe bestimmten „Teams“ — um nicht vom verpönten „Korps“ zu1 sprechen. Das Ganze dann durch eine Konfrontation potenziert, die notgedrungen äußersten persönlichen Einsatz verlangt und so Maßstäbe außerhalb des Alltäglichen setzt.

Die Fülle an Information in den Begleittexten geht weit über die Standard(un)kenntnisse hinaus, die der heutige Österreicher von seiner eigenen Vergangenheit besitzt. Auch wenn es sich langsam herumgesprochen haben sollte, daß es einst eine Seemacht Österreich gab, liefert Martinys Werk jene Details und jene episodenhaften Einblicke, die erst ein allumfassendes Bild vermitteln. Dazu gehört nicht nur die Beurteilung und Einschätzung dieser sonderbarsten aller Kriegsmarinen durch berufene Beobachter (etwa Winston Churchill), sondern auch um ihre überraschenden Leistungen auf dem Gebiete des Schiffsbaues, der Armierung und der Seefahrt. Hier ist der Punkt, um so manches Urteil oder Vorurteil über die Leistungsfähigkeit des alten Staates zu korrigieren und die Vorwegnahme mancher späteren militärischen Entwicklungen zu registrieren. Martinys Werk vermittelt aber auch Einblicke, die es vorteilhaft von ähnlichen Arbeiten aus der Zwischenkriegszeit unterscheiden: die politische, soziale und nationale Problematik der Monarchie ist in den Texten und Bildern stets gegenwärtig, obwohl die letztere in der Marine (31,3 Prozent Kroaten, 20,4 Prozent Ungarn, 16,3 Prozent Österreicher, 14,4 Prozent Italiener, 11 Prozent Tschechen und Slowaken, 2,8 Prozent Slowenen, 2 Prozent Rumänen und Ruthenen, 1,8 Prozent Polen) nicht ganz so stark und allenfalls erst später als im Heer zum Tra-. gen kam. So eröffnen Texte und Photos (Physiognomien) in Martinys Buch neue Einblicke in eine klassische Problematik und der Vergleich mit der Organisation integrierter Flotteneinheiten der NATO läßt die 1918 untengegangene k. u. k. Flotte als Anregung zu manchen nicht nostalgischen, sondern rein sachlichen Überlegungen erscheinen. Ein vom Technischen und Organisatorischen her höchst komplizierter Mechanismus und gleichzeitig eine Institution ohne die komplizierte Struktur modemer Koalitionsarmeen, und das alles ohne integrierte Stäbe und nationale Verbindungsoffiziere.

Der Einzugsraum, aus dem die Mannschaften der Schiffe und Seeflugzeuge kamen, besteht heute noch und unterscheidet sich auch weiterhin von den großen politischen Einheiten, in die unsere Welt aufgeteilt ist. Diesbezüglich liefert Martinys Buch dem Leser unzählige Beweise, daß die nationale Problematik anscheinend nicht die einzige war, die zum Zerfall der einstigen Gemeinschaft führte: die Vernachlässigung der Flotte und ihrer Ausrüstung als Folge einer politischen Malaise und der ungelösten sozialen und politischen Problematik konnte durch Einzelstellung und Opferbereitschaft nicht ausgeglichen werden. Jener leichte Hauch des Mißerfolgs, der einigen Aktionen der k. u. k. Flotte anhaftete und den auch die respekterregenden technischen und wissenschaftlichen Leistungen (so die Entwicklung einer besonderen Schußtechnik bei der Verteidigung von Cattaro), nicht wettmachen konnten, weist auf andere Motive des Verfalls hin und berührt Bereiche der österreichischen Lebensart der Jahrhundertwende: Verfeinerung und soziale UnVerantwortlichkeit der Verantwortlichen, Versagen der Politik als Folge des Müde-, des Ausge-blutet-Seins und der Auszehrung, die nach den ersten Niederlagen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzte und es an Kraft fehlen ließ, um den dynastischen Gedanken rechtzeitig durch eine moderne Staatsidee zu ersetzen. Im Kriege siegt aber nur derjenige, der weniger Fehler und Unterlassungen begeht. Auch die Tapferkeit und Loyalität „bis zum bitteren Ende“ der verschiedenen Nationalitäten der Marine konnte die sichtbaren und unsichtbaren Friktionen innerhalb des alten Staates nicht mindern. Der Mut konnte nur noch Bewunderung, aber keine endgültigen und zusammenfassenden Erfolge erringen. Dies geht aus Martinys Werk eindeutig hervor — eine beachtliche Leistung dieser Bilddokumentation, die unbestritten die Nostalgie erweckt, noch mehr Tatsachen auf diese Art vermittelt zu bekommen

BILDDOKUMENTE AUS OSTER-REICH-UNGARS SEEKRIEG 1914— 1918, von Nikolaus von Martiny. 405 S., 2 Bd., 232 ganzseitige Photos, 8 Karten, II. Auflage 1973, Akademische Druck- u. Verlagsanstalt, Graz.

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