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Italienische Zwischenbilanz nach sieben Jahren

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Italien ist - auf dem Papier - seit genau 30 Jahren ein Regionalstaat. In der 1947 von der Konstituante verabschiedeten Verfassung sah ein besonderer Artikel die Schaffung der Regionen als selbständige Körperschaften mit eigenen Organen - Parlament (Regionalversammlung), Exekutive (Regionalrat) und Ministerien - zur Regelung und Betreuung einzelner Kompetenzbereiche vor. Es bedurfte jedoch weiterer 23 Jahre, bis ein Gesetz den erhabenen Grundsatz einer Aufteilung der Staatsgewalt wenigstens juridisches Leben einhauchte und am 7. Juni 1970, nach einer denkwürdigen Volksabstimmung, die ersten Regionalwahlen abgehalten wurden.

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Italien ist - auf dem Papier - seit genau 30 Jahren ein Regionalstaat. In der 1947 von der Konstituante verabschiedeten Verfassung sah ein besonderer Artikel die Schaffung der Regionen als selbständige Körperschaften mit eigenen Organen - Parlament (Regionalversammlung), Exekutive (Regionalrat) und Ministerien - zur Regelung und Betreuung einzelner Kompetenzbereiche vor. Es bedurfte jedoch weiterer 23 Jahre, bis ein Gesetz den erhabenen Grundsatz einer Aufteilung der Staatsgewalt wenigstens juridisches Leben einhauchte und am 7. Juni 1970, nach einer denkwürdigen Volksabstimmung, die ersten Regionalwahlen abgehalten wurden.

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Seither wird der römische Zentralismus nicht nur durch die Provinzen und Gemeinden (und deren Kompetenzen), sondern eben durch die elf Regionen mit ordentlichem, und die fünf bereits früher eingerichteten Regionen mit außerordentlichem Statut (Sizilien, Sardinien, Aostatal, Trenti- no, Südtirol und Julisch-Venetien- Friaul) beschnitten.

Dieser lange Weg von der Verabschiedung einer dem Regionalismus verpflichteten Verfassung bis zur Bestellung der Regionalräte geht picht nur auf das Konto der von altersher schwerfälligen italienischen Staatsmaschinerie. Vielmehr galt es, bestimmte Hindernisse politischer, kultureller und wirtschaftlicher Natur zu überwinden, ehe an eine Verwirklichung des Regionalstaates auch nur gedacht werden konnte.

Schon 1947 war es ein offenes Geheimnis, daß die KPI unter Togliattis Leitung nur mit einem ganz bestimmten Hintergedankemfür den Regionalismus eintrat. Seit Beginn des Jahrhunderts gibt es mittelitalienische Städte mit starker roter oder wenigstens rosaroter Vertretung. Ivrea, unweit von Bologna hatte den ersten sozialistischen Bürgermeister Italiens.

Waren überall sonst Kommunisten und Sozialisten überzeugte Internationalisten, so präsentierten sich die italienischen Genossenschaften seit langem den Wählern als Regionalisten in der Hoffnung, auf diesem Wege den von den bürgerlichen Parteien gelenkten Zentralstaat in die Zange nehmen zu können oder wenigstens zu konditionieren, um mit einer eigenen (sauberen!) Verwaltung auf Regionalebene dem gesamten Elektorat einen Beweis ihrer demokratischen Salonfähigkeit und moralischen Überlegenheit erbringen zu können. In diesem Sinne ist der Eurokommunismus in Italien von langer Hand vorbereitet worden und hat vielen Italienern (und Nichtitalie- nem) den scheinbaren Beweis seiner Unschädlichkeit seit Jahrzehnten geliefert.

Freilich fanden die italienischen Christdemokraten kaum Gefallen an einer so gefährlichen „Beweisführung“ und haben, nicht zuletzt aus diesem Grunde, die Schaffung des Regionalstaates so lange wie möglich unterbunden. Wenn sie schließlich, gegen Ende der sechziger Jahre ihre Hand dazu boten, so nach dem Prinzip des „do ut des“, also nur gegen einen hohen Preis. Daß sich die KPI nie der von den Linkssozialisten propagierten Linksalternative zur Ablösung der christdemokratischen Vorherrschaft verschrieben hat, vielmehr bereits unter Togliatti auf eine Zusammenarbeit mit der DC ausrichtete, muß - oder darf? - als eine der kommunistischen Gegenleistungen für die christdemokratische Zustimmung zur Schaffung des Regionalstaates angesehen werden.

Neben solchen parteipolitischen Gründen fallen auch bürokratische und allzu menschliche Erwägungen ins Gewicht. Die neuen Regionalverwaltungen mit all den Miniministerien und Ämtern aller Art boten den Politikern in Rom großartige Möglichkeiten, Freunde und Verwandte mit fetten Pfründen auszustatten, Konkurrenten sich vom Leibe zu halten und sich selbst ein sorgloses Alter zu verschaffen. Unter solchen Vorzeichen wurde seit 1970 der bürokratische Apparat in einem ungeheuren Mäße aufgebläht. Was die italienische Wirtschaft vor dem Einbruch der Krise noch halbwegs verkraften konnte, das war seit 1974 eine allzu große Belastung. Nur die nord- und mittelitalie-

nischen Regionen dürfen von sich behaupten, einigermaßen gut zu funktionieren und den römischen Zentralismus in einem eher guten Sinne abgelöst, wenigstens gedämpft zu haben.

Wenn nun von Seiten einer gewissen modischen Presse heute im Zentralismus „nur Schlechtes“ und im Regionalismus „nur Gutes“ gesehen wird, so stellt dies eine grobe Verfälschung der Tatsachen dar. Es gilt, vieles, auch kulturelle und historische Faktoren in Rechnung zu stellen, um der Angelegenheit einigermaßen ge recht zu werden. Nach 1400 Jahren wechselnder Fremdherrschaft und Ausbildung deutlich unterschiedener Teilstaaten, war es für die Italiener um die Mitte des 19. Jahrhunderts außerordentlich schwierig, sich in einem einheitlichen Staatsbewußtsein zusammenzufinden.

So gesehen, ist der römische Zentralismus nicht nur ein Grundübel der Vergangenheit (und zwar bereits der Antike, aber auch des päpstlichen Mittelalters und erst recht der italienischen Staatsverwaltung seit 1861), sondern noch auf einige Jahre hinaus die „conditio sine qua non" des staatlichen Überlebens. Wenn nach dem Erdbeben in Friaul von Seiten des italienischen Staates sehr viel mehr geschehen ist als nach der Zerstörung der Belice-Dörfer auf Sizilien in den langen Jahren seit 1968, so geht das nicht nur auf das Konto der „soviel besseren“ Norditaliener. Rom hat aus der „Katastrophe in der Katastrophe von Belice“, aus der Unterschlagung vieler Hilfsgelder und der Verzögerung des Aufbauwerkes, eine Lehre gezogen

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