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Triestiner Erinnerung

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An einem Apriltag des Jahres 1781 steht in schüchterner Haltung ein junger Mann im Vorraum des Arbeitszimmers Kaiser Josephs in der Wiener Hofburg. Er trägt die Galakleidung der Wiener Universitätshörer, den schwarzen, talarähnlichen, hochgeschlossenen Rock, schwarzseidene Strümpfe, Schuhe mit weißen Schnallen.

„Habe ich Aussicht bei Seiner Majestät vorgelassen zu werden?“ fragt er aufgeregt den Kammerdiener Jakob Hartmann,-einen gravitätischen, ältlichen Herrn. Er bekommt die Antwort, Seine Majestät sei wegen der bevorstehenden Abreise in die Niederlande gegenwärtig sehr beschäftigt. „Aber wir werden das möglichste tun!“ fügt er herablassend bei.

Nach wenigen Minuten darf der Bittsteller eintreten. Der Kaiser sitzt in seinem braunen Hausfrack beim Schreibtisch. Seine blauen Augen mustern den jungen Menschen:

„Sie heißen Antonio de Giulani, Kaufmannssohn aus Triest, Studierender an der hiesigen Universität. Was also haben Sie vorzubringen?“

Mit hie und da stockender Stimme trägt der Student sein Anliegen vor: Er möchte die Aufmerksamkeit Österreichs, ja ganz

Europas, auf seine Heimat, die Handelsstadt Triest, lenken. Zu diesem Zweck habe er eine gemeinnützige Schrift verfaßt mit einer Beschreibung der Stadt und Angaben über ihren Handel, ihre topographischen und klimatischen Verhältnisse und er erbitte für dieses sein Werk die Hilfe Seiner Majestät.

„Ausgezeichnet“, lobt der Kaiser: „Und worin soll ich helfen?“

„Indem Eure Majestät mir zu der Druckerlaubnis verhelfen.“

„Wer hindert Sie?“ fragt der Kaiser erstaunt.

„Die Zensur“ sprudelt der junge Mann aufgeregt hervor.

Und er erzählt dem\ Kaiser von seinem Leidensweg, bei dem Versuch, das Büchlein an die Öffentlichkeit zu bringen. An den verantwortlichen Stellen habe man ihn abgewiesen mit dem Hinweis auf seine Jugend oder noch anderen fadenscheinigen Gründen. Und' nun sei ihm nur die Zuflucht zu dem gnädigen Monarchen geblieben.

Kaiser Joseph schweigt. Er kennt die Intrigen und Engstirnigkeiten an so manchen der obersten Amtsstellen, die Türken des bürokratischen Mechanismus. O ja, er versteht. So sagt er denn wohlwollend zu de Giulani:

„Komme Er in drei Tagen wieder! Wenn die Schrift gut ist, wird ihr das Imprimatur nicht verweigert werden!“

Als sich der Student nach Ablauf der Frist wieder in der Hofburg einfand, empfing ihn der Monarch in der gnädigsten Weise. Er hatte das Manuskript zum Teil selbst gelesen und lobte vor allem die sorgsamen statistischen Angaben und die ausgezeichnete Geskinung, die das kleine Werk beseelte. Mit eigener Hand hatte er das „Imprimatur“ auf die letzte Seite gesetzt und daneben als ironische Glosse gegen die Zensur das klassische Zitat: Qui lamat ranam, ranam putat esse Dianam, — Wer den Frosch liebt, der sieht den Frosch für eine Diana an!

Die Broschüre Giulanis erschien noch m demselben Jahre in der Verlagsbuchhandlung der Brüder Gay in Wien, sie führte den Titel: „Rifflessione politiche sopra il pros-petto attuale della citta di Trieste d'Antonao de Giulani.“

Wenn auch in etwas schülerhaftem Stil gehalten, bildet die Schrift doch die erste Veröffentlichung, die in zusammenfassender Weise die geographische ' und ethnographische Lage der damals noch nicht 30.000 Einwohner zählenden Hafenstadt, ihre Industrie, Schiffahrt und klimatischen Verhältnisse behandelt. Sie begründet die Bedeutung Triests für den Handel des österreichischen Hinterlandes mit der Levante und nach | Ostindien und bedauert, daß sie von diesem Hinterland durch die „rauhen und unzugänglichen iiilyrischen Berge“ getrennt sei. Der junge Autor gibt eine ansprechende Schilderung der Gassen, Plätze, Gärten und Hafenanlagen, beschreibt anschaulich das Verladen der Frachtschiffe mit Tabak, Salz und Rohseide und lobt schließlich die sittenstrengere Lebensführung und den Arbeitsfleiß, die die damaligen Triestiner vorteilhaft von dem lockeren gesellschaftlichen Treiben in Venedig unterschieden. Auch die Poesie kommt in dem kleinen Werk nicht zu kurz: im Rokokogeschmack der Zeit erscheint die Nymphe Tergestia mit einem mythologischen Gefolge von Meergöttern und verkündet der Stadt nebst vielen Gefahren und Krisen auch einen immer wieder sich erneuernden Aufschwung.

Das kleine Buch fand Anklang und erlebte bis zum Jahr 1785 eine zweite Auflage. Der Kaiser hatte den jungen Autor nicht vergessen.

Schon 1785 erhielt Giulani, der eben seine Studien an der Wiener Universität beendet hatte und sich anschickte, in seine Heimjat zurückzukehren, eine Einladung zu dem Chef der Böhmischen Hofkanzlei, Graf Leopold Kolowrat, dem besonderen Vertrauensmann des Kaisers. Der Minister teilte dem jungen Triestiner mit, der Kaiser habe ihn wegen seiner besonderen Eignung damit betraut, auf Staatskosten die Häfen des Mittelländischen Meeres zu bereisen, ihre Zustände und Handelsverhältnisse zu studieren und darüber Bericht zu erstatten. Von dem Statthalter von Triest, Graf Guido Cobenzl, in der Folge mit Geld, Kreditbriefen und Empfehlungen versehen, machte sich Giulani alsbald auf den Weg, besuchte Genua, Livorno, Marseille und dachte auch daran, Alexandrien und Smyrna zu besichtigen, als ihn eine schwere Krankheit daniederwarf und alle großzügigen Planungen vereitelte. Der bald darauf erfolgte Tod Josephs IL, die heraufziehende Zeit der französischen Revolution und der napoleonischen Kriege machten; die Mission Giulanis, wie sie dem Kaiser und ihm selbst vorgeschwebt hatte, zunichte. „Mit ungeheurem Schmerz“ erlebte er die Eingliederung Triests in die „illyrische Republik“, mit Beglückung die Heimkehr der Stadt zu Österreich in Jahre 1814. Anschaulich schildert er die Empörung, die das religionsfeindliche und sansculottische Gehaben des fremden Kriegsvolkes bei der Bevölkerung von Triest und den Fischern der ländlichen Umgebung' erregte, und auch die Jagd nach dem Theresientaler, der als einzige wertbeständige Münze in der Zeit allgemeiner Geldentwertung von Einheimischen und Fremden an der ganzen Adriaküste gehortet wurde. Vom Molo von Triest sah Giulani mit trüber Ahnung ein geschmücktes Schiff in die See stechen. Es führte die junge Erzherzogin Leopoldine, die jüngere Tochter Kaiser Franz' I., auf den unsicheren Kaiser-thron von Brasilien, von dem sie ein früher Tod hinwegnahm. Antonio de Giulani, der erste Kommentator der maritimen und handelspolitischen Bedeutung Triests, starb hochbetagt in seiner Vaterstadt 1835, nachdem er noch verschiedene städtische Ehrenämter bekleidet hatte. In seinen Aufzeichnungen findet sich unter anderem der Satz: „Ich habe in meinem langen Leben viele Herrscher und Staatsverfassungen wechseln gesehen. Aber immer gleich bleibt sich der Lauf der Ströme, der Weg der Gestirne und Winde, die Lage der Länder und Küsten, die zuletzt mehr als der veränderliche und kurzsichtige Wille der Menschen die Schicksale der Völker bestimmen!“

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