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Eine Bombe im System

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Die Politik macht um gesellschaftspolitisch brisante Fragen bewußt so lange einen großen Bogen, solange sie nicht von den Verfassungsrichtern gezwungen wird, eine Lösung zu finden. Das war beim ungleichen Pensionsalter von Frau und Mann so, das scheint bei der steuerlichen Berücksichtigung der Familie nun ebenso zu sein.

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Die Politik macht um gesellschaftspolitisch brisante Fragen bewußt so lange einen großen Bogen, solange sie nicht von den Verfassungsrichtern gezwungen wird, eine Lösung zu finden. Das war beim ungleichen Pensionsalter von Frau und Mann so, das scheint bei der steuerlichen Berücksichtigung der Familie nun ebenso zu sein.

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Der schriftlichen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes nach seiner Sitzung vom 8. Oktober zittert man im Finanzministerium entsetzt entgegen: Eine Bombe tickt im Steuersystem.

Zur Vorgeschichte: Ein Vater von fünf Kindern wollte die besonderen Mehraufwendungen für den Unterhalt seiner Kinder - und die Kinderkosten laufen den Familien davon - als „außergewöhnliche Belastung" (siehe Kasten) im Sinne des Paragraphen 34 Einkommensteuergesetz geltend machen. Weil das Finanzamt dieses Ansinnen abgelehnt hat, wurde er beim Verfassungsgerichtshof vorstellig: Diese Bestimmung sei verfassungwidrig, weil er die Berücksichtigung jener außerordentlichen Belastung, die der Familie durch die Zahl der Kinder erwächst, nicht erlaube.

Drei Worte, ein Grundsatz

Die Verfassungshüter haben, ausgehend von diesem Fall, ein Gesetzesprüfungsverfahren „von Amts wegen" eingeleitet und das Thema quasi auf eine andere Ebene verlagert: es stehen sich vorderhand nicht mehr der Vater und die Finanzbehörde gegenüber, sondern die Bundesregierung wurde zur „Prozeßpartei" im Gesetzesprüfungsverfahren. Erst wenn dieses Prüfverfahren entschieden ist, gehtdaseigentliche Beschwerdeverfahren im konkreten Fall weiter, wobei dann freilich die Verfassungsrichter durch ihre eigene Grundsatz- eine Vorentscheidung getroffen haben. •

Auch wenn es im Prinzip vordergründig um drei Worte („und gleichen Familienstandes") geht, kann die Verfassungswidrigkeit - und vieles deutet darauf hin - auch im System insgesamt liegen. Und es wäre nicht das erste Mal, daß die Verfassungshüter zwar nur einen Punkt eines Gesetzes, der gerade Gegenstand eines Verfahrens ist, herausgreifen, um damit grundsätzliche Überlegungen zu verknüpfen. Konkret geht es um die angemessene („hinreichende") steuerliche Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen für Kinder, analog aber auch - konsequent weitergedacht

- für den nichtverdienenden Ehegatten.

Natürlich müssen - und werden - in diese verfassungsrechtlichen Überlegungen und Rechnungen auch staatliche Transferleistungen einbezogen, doch das Finanzministerium Ferdinand Lacinas hat im ersten Anlaufversuch wohl überzogen: Im Entwurf einer Stellungnahme der Regierung an den Verfassungsgerichtshof wollte man seitens der Wiener Himmelpfortgasse sogar sämtliche Kosten für den Schulaufwand samt Lehrerkosten von der Pflichtschule bis zur Universität (darunter auch die Zahlungen des Bundes an die Länder für das allgemeine Pflichtschulwesen in der Größenordnung von 21 Milliarden Schilling) den Familien steuerlich in Rechnung stellen, ein Ansinnen, das noch regierungsintern zu Fall gebracht worden ist.

Das Finanzministerium scheint zu ahnen, womit Experten rechnen: die gegenwärtige steuerliche Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen wird dem kritischen Urteil der Verfassungsrichter nicht entsprechen. Sogar die Frage des Existenzminimums (FURCHE 21/1991) - für die Steuer und für die Sozialversicherung höchst unterschiedlich angenommen -könnte jetzt aufbrechen.

Vorgabe für Reform

Auch wenn noch nicht absehbar ist, in welchem Ausmaß Transferleistungen des Staates angerechnet werden: In der Maximalvariante droht ein Einkommensteuer-Ausfalls-volumen von etwa 20 Milliarden Schilling. In jedem Fall aber dramatisch genug für die gegebene Budgetsituation und eine Vorgabe für die nächste Etappe der Steuerreform, an der sich die Koalition die Zähne ausbeißen könnte.

Während Familienministerin Ruth Feldgrill-Zankel aus Verfahren und Verhandlung im Gespräch mit der FURCHE vorerst eine „sehr positive Tendenz in Sinne einer langjährigen Forderung der Volkspartei" und der einschlägigen Familienorganisationen abliest, verfinstern sich in der Umgebung von Ferdinand Lacina die Mienen. Andererseits will es die Familienministerin auch unter keinen Umständen zulassen, daß Mittel des Familienlastenausgleichsfonds dafür herangezogen werden, um den möglichen Einnahmenentfall bei der Einkommensteuer zu kompensieren.

SPÖ-Überlegungen, eine entsprechende Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat verfassungsmäßig „hinzubiegen" und den Status quo quasi unbeirrt fortzuschreiben, könnte die ÖVP, die seit Jahrzehnten einer besseren steuerlichen Berücksichtigung der Familie (Kinder und Hausfrau) das Wort redet, schon gar nicht vom Wähler ungestraft folgen.

Die eigentliche Koalitionsfrage „Budget" spitzt sich beim Thema „Familie" überhaupt erst zu.

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