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Wie König Salomon

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Der parlamentarischen Beschlußfassung des Familienlastenaus-gleichsgesetzes im Jahre 1954 lag das soziale Motiv zugrunde, einen Ausgleich der finanziellen Mehrbelastung, die Kinder notwendigerweise verursachen, zwischen denen zu schaffen, die diese Lasten im Interesse der Gesellschaft tragen, und jenen, die solche Lasten nicht zu tragen haben, jedoch bewußt oder unbewußt daraus Nutzen ziehen. Dieses Gesetz fand damals die Zustimmung des sozialistischen Koalitionspartners.

Die Novelle zum Einkommensteuergesetz 1967 war nicht zuletzt familienpolitisch motiviert. Der damalige Finanzminister Schmitz wollte jene Lasten, die durch die Erhaltung von Kindern entstehen, im Einkommensteuergesetz stärker berücksichtigt wissen. In den „Erläuternden Bemerkungen“ zu dieser Novelle wurde auch ausdrücklich festgehalten, daß „die Berücksichtigung des Familienstandes keine Begünstigung für die Familien darstellt, sondern lediglich die Anwendung des in der Bundesverfassung verankerten

Gleichheitsgrundsatzes auf das Steuerrecht ist“. Aus der Tatsache des einkommensteuerfreien Existenzminimums wurde die recht logische Konsequenz abgeleitet, daß dieses Existenzminimum um so größer zu sein hat, je größer die Familie ist. Also wurde dieses steuerfreie Existenzminimum durch die Einräumung von Kinderfreibeträgen entsprechend erhöht. Die damals opponierenden Sozialisten stimmten 1966 gegen die Besserstellung der Familien, wobei sie argumentierten, daß das Instrument des Einkommensteuergesetzes für die Familienpolitik nicht zielführend eingesetzt werden kann. Die SPÖ redete damals dem Ausbau einer „direkten Familienförderung“ — dem Beihilfensystem — das Wort.

Finanzminister Dr. Androsch hat heute diese Argumentation wieder aufgegriffen. Er will im Zuge einer

„großen“ Steuerreform die steuerlichen Kinderfreibeträge durch Beihilfen ersetzen. Wie die Autoren Lachs, Mold und Weissei in der ÖGB-Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaft“ (Nr. 2/1971) übereinstimmend feststellten, spielt in diesem Zusammenhang die Sozialgerechtigkeit keine Rolle, weil — so Dr. Weissei — dieser „nebulose Begriff“ jede „Diskussion in halb- und pseudophilosophische Betrachtungen“ ausarten lassen würde.

Die gegenwärtige Diskussion um die Form der familienpolitischen Maßnahmen ist nicht zuletzt ideologisch inspiriert. Die Forderung der Volkspartei, die Methode der Steuerlichen Absetabeträge erstens beizubehalten und diese Freibeträge zweitens zu erhöhen, richtet sich gegen die sozialistische Auffassung, wonach familienpolitische Maßnahmen staatliche Fürsorgemaßnahmen für minderbemittelte Familienerhalter sind. Auf der einen Seite wird das Prinzip des gesellschaftlichen Ausgleiches der Familienlasten verteidigt, auf der anderen (SPÖ-) Seite die Durchsetzung des Prinzips der Staats-Aliimentation begehrt.

Insofern haben die Befürworter des Familienbeihilfensysterns tatsächlich recht, wenn sie meinen, die Frage der steuerlichen Gerechtigkeit hätte in ihrer Argumentation keinen Platz. Denn das Wesen der steuerlichen Gerechtigkeit ist die Unparteilichkeit. Diese ist wiederum weitgehend bedingt durch das, was als förderlich für das öffentliche Interesse gilt oder nicht. Unparteilichkeit aber erfordert viel stärker gleiche Berücksichtigung als gleiche Behandlung. Dem Prinzip der gleichen Berücksichtigung entspricht die Methode der steuerlichen Absetabeträge (weil hier auf die individuelle Situation des steuerzahlenden Familienerhalters eingegangen wird), dem Prinzip der gleichen Behandlung entspricht das Beihilfensystem. Die sozialpolitische Frage der gleichen Behandlung wird in der flnanz-wissenschaftlichen Literatur gerne an Hand eines Bibel-Gleichnisses dargestellt. Weil König Salomon nach dem Prinzip der gleichen Berücksichtigung den Fall jener beiden Frauen, die Mutterrechte auf ein Kind beanspruchten, beurteilte, konnte er nie auf die Idee kommen, das Kind zu teilen.

Das Beihilfensystem, wie es nun etwa auf dem Gebiet der Familien-politik von der Regierung gefordert wird, stärkt die Omnipotenz des Staates als Fürsorgeeinrichtung, die von der Gesellschaft finanziert wird. Es liegt durchaus auf der marxistischen Linie, die Einflußsphäre des Staates und damit den Spielraum staatlicher Willkürmaßnahmen zu vergrößern wie das durch einen stärkeren Ausbau des Beihilfenwesens geschehen muß. Die SPÖ sollte freilich tunlichst vermeiden, das System der steuerlichen Ab-setzbeträge zu diskriminieren und das System der Beihilfen als „sozial“ hinzustellen, wenn es ihr bei der ganzen Diskussion doch nur darum geht, ursozialistisches Gedankengut durchzusetzen.

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