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Digital In Arbeit

Fortschritt frißt Arbeit

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Die Arbeitsmarktvorschau für das Jahr 1983 ist eher düster: Das österreichische Institut für Wirtschaftsforschung rechnet mit einem Zuwachs von 25.000 Arbeitslosen im Inland, was einem Anstieg der Arbeitslosenrate auf 4,6 Prozent entsprechen würde.

So sehr Arbeitslosigkeit ein ernstzunehmendes Problem ist, dem wir uns stellen müssen, so wenig sollte darauf vergessen werden, daß sie ein Phänomen ist, das die Industriegesellschaft seit ihren Anfängen begleitet. Die Vollbeschäftigung stellt eine Ausnahme dar: Sie war zeitlich auf die Jahre nach dem Krieg und örtlich auf die Industrieländer beschränkt.

Seit dem Aufstand der Weber hat uns nämlich das Problem der Arbeitslosigkeit begleitet. Nur waren die Lösungen des Problems zu verschiedenen Zeiten andere: Das 19. Jahrhundert war geprägt von Auswanderungswellen gigantischen Ausmaßes: Großbritannien, das Land, in dem die Industrialisierung ihre ersten Triumphe feierte, hat in den 100 Jahren vor dem ersten Weltkrieg rund 22 Millionen Auswanderer zu verzeichnen gehabt. Im selben Zeitraum hat sich die Bevölkerung Irlands durch Auswanderung halbiert!

Selbst in Jahren wirtschaftlichen Aufschwungs, in den letzten 30 Jahren vor der Jahrhundertwende, verzeichnete das Deutsche Reich 2,5 Millionen und Italien 3,5 Millionen Auswanderer.

Schon in die damalige Periode fallen die ersten Arbeitszeitverkürzungen: War Anfang des 19.

Jahrhunderts noch der 16-Stun- den-Tag die Norm, so reduzierte sich die Arbeitszeit bis zur Jahrhundertwende auf rund 80 Wochenstunden, was immerhin noch das Doppelte unserer heutigen Arbeitszeit ist.

Die Jahre zwischen den beiden Weltkriegen zeigen, daß das Problem des Einsatzes von Arbeitskraft weiterhin ungelöst blieb. Die dreißiger Jahre waren geprägt von massiver Arbeitslosigkeit in allen Industrieländern. Der damals mit ,.Erfolg“ beschrittene Ausweg der Aufrüstung erinnert an so manchen Versuch in der Gegenwart,

mit dem Problem Arbeitslosigkeit zurechtzukommen. Er sollte uns heute aber auch bezüglich seiner historischen Folgen zu denken geben.

Eigentlich gelang es nur während des Vierteljahrhunderts nach dem Zweiten Weltkrieg über einen langen Zeitraum hinweg, bei steigender Zahl von Arbeitskräften Vollbeschäftigung zu gewährleisten. Den vom raschen technischen Fortschritt dieser Jahre ausgelösten Rationalisierungseffekten stehen mehrere Faktoren gegenüber, die Arbeitslosigkeit verhindern.

Das sind zunächst der durch die Zerstörungen des Krieges ausgelöste Wiederaufbau und der Nachholbedarf der Bevölkerung nach den Entbehrungen der Kriegszeit. Sie begünstigen ein in diesem Ausmaß bisher unbekanntes Wirtschaftswachstum. Durch Einsatz der von Keynes entwik- kelten Wirtschaftspolitik gelingt es lange Zeit hindurch, das Angebot und die Nachfrage nach Gütern in einem dynamischen Gleichgewicht zu halten.

Dennoch liegen auch in diesen Jahren die Produktivitätssteigerungen über den Wirtschaftswachstumsraten. Diese Lücke wird durch Arbeitszeitverkürzung geschlossen. In der BRD betrug die effektive jährliche Arbeitszeit 1960 noch 2154 Stunden, 1978 nur mehr 1804 Stunden. Ausgelöst und begünstigt wird dieser Prozeß durch gesetzliche Kürzung der Arbeitszeit. In Österreich etwa wurde die Wochenarbeitszeit 1959 von 48 auf 45 und im Zeitraum 1970 bis 1975 sukzessive weiter auf 40 Stunden verkürzt.

Daraus wird folgendes ersichtlich: Die Geschichte der Industriegesellschaft ist geprägt von einem technischen Fortschritt, dessen Hauptstoßrichtung die Einsparung menschlicher Arbeitskraft ist. In seinem Gefolge wurde bisher stets Arbeitskraft freigesetzt. Der Umgang mit der freien Kapazität war unterschiedlich: Auswanderung, Arbeitszeitverkürzung, Arbeitslosigkeit.

Solange sich die Stoßrichtung der technischen Entwicklung nicht ändert, bleibt das Problem freiwerdender Arbeitskapazität erhalten. Wer dies grundlegend verändern will, muß die Richtung der technischen Entwicklung beeinflussen.

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