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Der Staat als Kapitalist

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Wir veröffentlichen nachstehend eine Replik zum Artikel „Vater Staat als Kapitalist“ von Günther Strettweg (Furche Nr. 23/62,). Der Autor des folgenden Artikels ist Sozialist, Funktionär der Arbeiterkammer und, wie er in seinem Begleitbrief schreibt, „treuer Leser unserer Zeitschrift“. Sein Beitrag tnufl als repräsentativ für die Meinung jener Österreicher angesehen werden, welche das Maß des Engagements der Gebietskörperschaften im Bereich der Wirtschaft nicht als bedenklich betrachten. Die Diskussion, das Pro und Kontra, schließen wir mit einer eigenen Stellungnahme ab.

Die Redaktion

Eine Studie der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Wiener Arbeiterkammer über das Eigentum an den österreichischen Kapitalgesellschaften fand allgemeine Beachtung und veranlaßte zu verschiedenen Interpretationen, auch in der „Furche“.

In der Einleitung des Artikels wird berichtet, daß man sich in einer Gruppendiskussion in Anlehnung an „Mater et magistra“ „über die gängige, wenn auch wissenschaftlich nicht ganz korrekte Definition“ des „Kapitalisten“ einigte: „Der reinste Typ des Kapitalisten ... sei jener Mann, der sein Kapital in einem Banktresor deponiert habe und davon durch die Rendite, aber auch durch Spekulationen... arbeitsloses Einkommen beziehe; der längst das Gefühl dafür verloren habe, daß die Papiere im Tresor ... zehn-tausende Arbeiter und Angestellte mit ihren Sorgen, Wünschen und Nöten darstellten; der daher für die Arbeitnehmer seiner Betriebe überhaupt kein und für Sozialpolitik im allgemeinen nur soviel Interesse zeige, als die Rendite davon betroffen sei.“

Trotz dieser Definition des „Kapitalisten“ wird jedoch der Staat als der größte Kapitalist in Österreich angeprangert.

Unsere Untersuchung will nun kurz die Frage erörtern, ob der österreichische Staat ein „Kapitalist“ ist und ob Ort wie Volumen der Verstaatlichung in Österreich für die Wirtschaft und die Menschen in der Republik eine Gefahr bedeutet.

Die Frage klingt lächerlich, doch ist sie nicht ohne Grund gestellt. In verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen, selbst solchen, die von der ersten Regierungspartei kontrolliert werden, kann der Leser immer wieder erfahren, wie „gefährlich“ dieser unser Staat ist. Der gleiche Staat, der dann anderswo als „heilig Vaterland“ verherrlicht wird, bekommt einen Fußtritt, wenn er mehr sein will als „Nachtwächter“. So können wir zum Beispiel in einer Beilage zur Zeitschrift „Der junge Unternehmer“, Nr. 5/61, lesen: „Die Freiheit, wie sie die westliche Welt versteht, ist ohne eine Wirtschaft mit freien Unternehmern nicht denkbar... Denn wo persönliche Schaffens- und Verantwortungsfreude fehlen, tritt automatisch der Staat in die Rechte der Unternehmer und gebraucht sie als Macht über die Staatsbürger ...“ Weiter: „Deshalb ist der Unternehmer in der westlichen Welt heute nicht nur Kaufmann oder Gewerbetreibender, Industrieller oder Bauer, er ist ohne Rücksicht auf die Größe und Art seines Betriebes der wichtigste Garant der individuellen Freiheit.“

Zur Antwort soll Universitätsdozent Dr. Anton Burghardt zitiert werden: „Feststeht, daß die Freiheit des einzelnen, wo immer er seinen sozialen Stand hat, bedroht ist. Nicht sosehr vom Staat, sondern von Mächten, die darauf Wert legen, als Bestandteil einer privatwirtschaftlichen, ja sogar einer .freiheitlichen' Ordnung angesehen zu werden. Aus diesem Grund erweist sich die klassische Forderung des Sozialismus nach staatlicher Intervention gegenüber .privaten' Mächten dann als gerechtfertigt, wenn sie zu „sozialem Fortsehritt“ führt (Mater et magistra, S. 52), die private Initiative und die einzelmenschliche Freiheit nicht .ungebührlich' einschränkt (Mater et magistra, S. 55) sowie das Gemeinwohl nicht gefährdet.“ (,.Sozialismus und Sozialenzyklika“; Forum, Wien, Heft 102, S. 345).

„Wir sind der Staat“, betitelt sich :in Buch von NR Ernst Winkler und Dr. Joseph Simon (ÖGB-Verlag, Wien)

- und der Titel ist ein Imperativ I Zwei Zitate aus diesem Buch: Das :rste von Ferdinand L a s s a 11 e : ,Der Zweck des Staates ist also nicht ler, dem einzelnen nur die persönliche Freiheit und das Eigentum zu schütten... Der Zweck ist vielmehr gerade ler, durch die Vereinigung die einzel-len ... zu befähigen, eine Summe von Bildung, Macht und Freiheit zu er-angen, die ihnen sämtlich als einzel-len schlechthin unersteiglich wäre gek. Wiedergabe — A. H.). Und das :weite von John Stuart M i 11: „Die \ufgabe des Staates ist es, das größt-nögliche Wohl für die größtmögliche \nzahl seiner Bürger zu schaffen.“

Das ist der Staat. Mit Ernst Winker: Wir sind der Staat! Wenn der Staat Kapitalist ist, dann sind wir Kapitalisten! Kann nach der oben ingegebenen Definition des Kapita-isten der Staat, der demokratisch verwaltete, der Wohlfahrt zustrebend« Staat, mit den der „westlichen“ Welt gekannten Unternehmertypen vergli-:hen werden? Die öffentliche Hand kann aber auch nicht mit der staatlichen Unternehmerbürokratie der Ostblockländer gleichgestellt werden.

„ ... Der Staat (gemeint kann nur ler demokratisch regierte Staat sein

- Der Verfasser) ..., will er das Gemeinwohl herbeiführen helfen, muß er größere Aufgaben übernehmen (Mater et Magistra, S. 117), bis zum Erwerb vor Eigentum an Produktionsmitteln, was wieder soweit zu rechtfertigen ist, als ;s dem Gemeinwohl entspricht.“ (Burghardt, a. a. 0„ S. 245.)

Der Staat ist als Eigentümer im Mamen des Staatsvolkes kein Kapitalist, vor dem das Bundesvolk als Summe der Eigentümer gewarnt werden muß. Wer die oben zitierte Studie der Arbeiterkammer zu lesen versteht, wird die Stellung der Gemeinwirtschafl kaum überschätzen, wie es auch widersinnig ist, ihre Leistungen, und vor allem ihr Potential, zu unterschätzen. Die „mixed economy“ von Privat- unc Gemeinwirtschaft ab 1945 hat dei Republik Österreich recht gut getan. Die Gegner der Gemeinwirtschaft sind mit ihren Argumenten meist recht schnell in einer Sackgasse. Ihre Gegnerschaft ist meist offensichtlich, zum Beispiel: „ ... Wir von der Privatindustrie sind nicht für die Verstaatlichung ... und damit für die freie Gesellschaft.“ Kurz nachher heißt es dagegen: „Wir sind uns auch darüber klar, daß die Gesundheit der verstaatlichten Industrie für die Gesundheit der Privatindustrie notwendig ist.“ Wichtig ist noch festzuhalten: „Die österreichische Privatindustrie hat niemals pauschaliter behauptet, die verstaatlichten Unternehmungen seien schlecht geführt. Wir haben stets anerkannt, daß in diesen Unternehmungen seit 1945 sehr gute Leistungen vollbracht worden sind.“ (Dr. Hans Lauda; „Wirtschaft auf der Waage“, Forum, Heft 61/1959, Wien.)

„Die verstaatlichte Industrie wurde zum Rückgrat der österreichischen Wirtschaft“ — „Die Verstaatlichung hat auch die wirtschaftliche und soziale Struktur Österreichs umwälzend geändert“ — „Erinnert man sich der Bedeutung, die in Österreich vor 1938 die großen Industrieunternehmungen als die Geldgeber der Heimwehren und des Nationalsozialismus spielten, dann erkennt man, daß in der Verstaatlichung auch ein Stück Sicherheit der demokratischen Freiheit liegt.“ (Dok-Adolf Schärf: „Österreichs Erinnerung 1945 bis 1955“, Verlag der Wiener Volksbuchhandlung.)

Abschließend soll noch kurz festgehalten werden: 1960 beschäftigte die österreichische Nationalindustrie 131.000 Arbeiter und Angestellte; sie bestritten rund 28 Prozent des Exportes; ihr Anteil an der industriellen Wertschöpfung betrug 24 Prozent (siehe: „Das reiche Österreich“ von Ernst Winkler; Verlag der Wiener Volksbuchhandlung).

Für jeden Österreicher sollte die Feststellung der Studie der Arbeiterkammer wichtig sein, daß der Einfluß des ausländischen Kapitals in Österreich nicht unterschätzt werden darf. Der ausländische Aktienanteil steigt zum Beispiel in der Papier- und Erdölproduktion auf ein Dritte 1, und im Versicherungswesen auf 8 5 Prozent (!). Die ausländischen Kapitalisten ziehen für die Beteiligungen die Rechtsform der GmbH der Aktiengesellschaft vor, weil sie bei dieser Unternehmungsform nicht öffentlich Bilanz zu legen brauchen. Fast 50 Prozent der untersuchten GmbH sind im ausländischen Eigentum. Das wirkt sich unter anderem nachteilig in Patenten und Lizenzverträgen aus.

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