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Moderne industrielle Arbeitswelt

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Bei dem Aufbau der modernen industriellen Arbeitswelt sind zwei Systeme hervorgetreten, die eindeutig abzulehnen sind. Es sind dies der liberale Kapitalismus und der Kommunismus. Beide sind bereits von den Päpsten verurteilt. Hinsichtlich des Kommunismus ist dies bekannt. Weniger bekannt ist es hinsichtlich des liberalen Kapitalismus. Und doch ist dies geschehen. Papst Pius XII. sagt: „ .. . Die Kirche hat den Kapitalismus, wo er sich ein unbeschränktes, nicht dem menschlichen Allgemeinwohl untergeordnetes Recht auf das Eigentum anmaßt, als dem 'Naturrecht zuwiderlaufend verurteilt.“ Diese beiden Systeme sind also abzulehnen. Beide Systeme sündigen durch ein tlebermaß, aber gegensätzlicher Art. Der liberale Kapitalismus liebt die maßlose Freiheit, die zur Willkür wird, der Kommunismus den maßlosen Zwang, der den Menschen entrechtet. Im übrigen haben “beide Systeme etwas gemeinsam, nämlich das mechanische Prinzip: Der Kapitalismus ist beherrscht von dem Mechanismus des freien Marktes, der Kommunismus vom Mechanismus der Zwangsgesetze. Menschliche Lösungen, die aus dem Gewissen und den sittlichen Gesetzen kommen, sind beiden Systemen fremd. Was ist nun vom Sozialismus zuhalten?

Der gemäßigte Sozialismus von heute strebt eine sozialere Gesellschaftsordnung an. Das ist gut. Doch sprechen seine ersten Vertreter immer noch von einer sozialistischen Weltanschauung im Gegensatz zur christlichen und katholischen Weltanschauung.

Was ist diese sozialistische Weltanschauung? Nun, sie lehrt im wesentlichen, daß die wirtschaftlichen, materiellen Produktionskräfte das gesellschaftliche, geistige und religiöse Leben bestimmen. Bei Aenderung des wirtschaftlichen Unterbaues wird auch der gesellschaftliche Ueberbau geändert, das geistige Leben wird anders, Religion wird überflüssig usw. Trotz aller gelegentlichen Kritik an Karl Marx, von dem diese Lehre stammt, hält man hieran in der Hauptsache noch fest.

Es ist klar, wie gefährlich diese Auffassung jeder Religion, nicht nur dem Christentum, ist. Jede Religion baut auf der Anerkennung von selbständigen geistigen Werten auf. Mit der sozialistischen Weltanschauung, die im Grund materialistisch ist, kann sie sich nicht vertragen.

Diese Auffassung ist übrigens, auch wissenschaftlich gesehen, rückständig und überholt. Die heutige Sozialwissenschaft spricht von der a 11-seifigen Bezogenheit des gesellschaftlichen Lebens. Es hängt nicht nur von wirtschaftlichen Gegebenheiten ab, sondern ebenso von Erfindungen, von der Begabung, von der geistigen Kultur und von der Charakterstärke der Menschen, die die Gesellschaft bilden. So geht der Sozialismus von einer verstümmelten Wirklichkeit aus. Konsequent kommt er nur zu einer verstümmelten Neuordnung der Gesellschaft. Die geistigen und sittlichen Ordnungskräfte unterschätzt er, die äußeren, mechanischen Ordnungskräfte überschätzt er. Auf diese Weise kommt er zu einer starken Bürokratisierung und zu einem unguten Zentralismus. Dafür ist bezeichnend, daß dem Sozialismus eine familiengerechte Siedlungsbewegung nicht gelungen ist.

Wo es um die Vermenschlichung gehen sollte, verlangt dieser Zentralismus immer nach Verstaatlichung. Diese Verstaatlichung aber wird dem Menschen nicht gerecht. Von einem verstümmelten Wirklichkeitsbild geht sie aus; einen verstümmelten Menschen bringt sie hervor. Dem verstaatlichten Menschen sind die schönsten Möglichkeiten der Selbstentfaltung, des verantwortungsbewußten Einsatzes, der schöpferischen Tätigkeit und damit der Leistungsfreude genommen.

Was man vom Sozialismus erwarten müßte, wäre die Anerkennung einer selbständigen geistigen Welt. Solange das nicht geschehen ist, ist der Sozialismus nicht der richtige Weg. So viel er dem Arbeiter mit der einen Hand gibt, noch mehr nimmt er ihm mit der anderen Hand weg. Daher unser Vorwurf: Wozu haben die Sozialisten ungezählten Arbeitern ohne Not ihre lebendige Beziehung zu Gott geraubt?

Gegen die beiden Grundsysteme aber, den Kommunismus und den Kapitalismus, denen das Maßhalten fremd ist, lehrt die Kirche eine Sozialordnung des Maßes. Das bloß mechanische Prinzip führt zur Entmenschlichung. Dafür sind Zeugen die Proletariermassen des 19. Jahrhunderts mit ihren Hungerlöhnen. Daher ist gegen das bloß mechanische Prinzip die Vermenschlichung der Wirtschaft zu setzen. — Die bloße Freiheit des Stärkeren wird zur Freiheit des Raubtieres, das den Schwächeren verzehrt. Man denke hier an die Kolonialsünden des 19. Jahrhunderts. Gegen die Freiheit, die zur Willkür wird, ist das sittliche Prinzip der Sozialgestaltung zu setzen — Zwang allein knechtet. Siehe die Millionen von Arbeitssklaven in Sowjetrußland. Gegen den bloßen Zwang ist das Prinzip der Eigenverantwortung und Eigenleistung zu setzen. Diese drei Prinzipien, Vermenschlichung, Sozialgestaltung, Eigenverantwortung, machen die christliche Sozialordnung .aus.

Das Verantwortungsprinzip, um bei diesem zu beginnen, gellt den einzelnen an. Es fordert, daß du etwas tust, etwas leistest und selbst Verantwortung übernimmst. So fördert es die Leistungsfreude und schafft Befriedigung, weil dein Können wächst. Es weckt die Einsatzbereitschaft für das eigene Werk. In diesem Prinzip ist die Pflicht zur echten Leistung ebenso enthalten wie das Recht auf leistungsmäßige Entlohnung.

Das Sozialprinzip blickt auf das Ganze der Wirtschaft und Gesellschaft. Darnach ist die Wirtschaft so einzurichten, daß alle hinreichendes Einkommen und bleibende Sicherheit haben. In diesem Prinzip ist also das Recht auf Arbeit enthalten, das Recht auf Vermögens-bildung durch Sparsamkeit, das Recht auf Sicherheit für die Tage des Alters.

Das Vermenschlichungsprinzip schließlich will klar aussprechen: Die Industrie ist um des Menschen willen da, die ganze Wirtschaftistum des Menschen willen da. Kommen daher menschliche und wirtschaftliche Werte in Widerstreit, so ist dem menschlichen Wert der Vorzug zu geben. Das bedeutet praktisch zum Beispiel, daß ich mir bei der Neuanschaffung von leistungsfähigeren Maschinen auch die Frage stellen muß, ob nicht dadurch Menschen arbeitslos werden, und also, wie die notwendigen Umstellungen ohne Nachteil für die Arbeiter möglich sind. Das Prinzip stellt allgemein fest, es gibt nicht nur Verantwortung vor dem Kapital, sondern auch vor der Arbeit.

Dieses christliche Sozialsystem kann als das soziale Partnerschaftssystem bezeichnet werden. Wie sieht nun nach diesem System mit seinen drei Grundsätzen der Betrieb aus? Also die Arbeitsstätte, die jeden zunächst angeht.

In der alten Zeit gab es die sogenannte patriarchalische Betriebsform. Da war der Unternehmer zugleich der persönliche Vorgesetzte der Angestellten und Arbeiter. Diese patriarchalische Betriebsform zeigte sich am deutlichsten in den Zünften. Lehrlinge und Gesellen waren in einer Hausgemeinschaft mit ihrem Meister. Sie waren abhängig, aber auch beschützt. Die Form war damals gut, ist aber heute überholt. Die Menschen und Stände sind mündig geworden.

Dann wurde im 19. Jahrhundert die Lehre vom Klassenkampf verkündet. Unternehmer und Arbeiter, so hieß es, haben gegensätzliche Interessen. Der Unternehmer will einen möglichst großen Gewinn, die Arbeiter wollen einen möglichst großen Lohn. So ist der eine der Gegner des anderen. Aber dieses Klassen-kampfsystem wird der Natur des Menschen und des Betriebes nicht gerecht. Denn der Unternehmer ist doch auch auf die Arbeiter angewiesen, damit der Betrieb überhaupt erzeugen kann, und die Arbeiter auf den Unternehmer, damit sie eine Arbeitsstelle haben. Beide haben also an dem Gedeihen des Betriebes, der Fabrik, ein gemeinsames Interesse.

Darum muß für den Betrieb als sittliche Richtlinie aufgestellt werden: Es geht heute um die verantwortliche Zusammenarbeit der Sozialpartner. Es geht also in der modernen industriellen Arbeitswelt weder um das patriarchalische System noch um den Klassenkampf, sondern es geht um die Partnerschaft. Das Partnerschaftssystem wird der Natur des Menschen und des Betriebes gerecht.

Nach dieser Auffassung ist der Betrieb eine Leistungsgemeinschaft.

Der Unternehmer hat die führende Stellung, der Arbeiter die ausführende. Beide sind Mitarbeiter am selben Werk und haben an dem Gedeihen dieses Werkes gemeinsames Interesse. Der Unternehmer nimmt den Arbeiter nicht als Unkostenfaktor, sondern als Menschen, dessent-willen der Betrieb da ist. Er fragt, was wird aus dem Arbeiter in meinem Betrieb? Werden seine Fähigkeiten entfaltet? Kann er echte Leistungs-freude haben? Wird er menschlich reifer? Wird er auch bei seiner Berufsarbeit als Persönlichkeit behandelt?

Neben dem Gemeinsamen, das jeder Betrieb aufweist, besteht aber auch etwas Gegensätzliches: Jeder möchte aus dem Betrieb möglichst viel schöpfen. Um dieses Gegensätzliche zu überwinden, legt sich der Unternehmer in dem Partnerschaftssystem ein Maß auf: Er räumt dem Arbeiter ein Mitspracherecht in allen Fragen ein, die beide Partner gleicherweise angehen. So kommen in der Aussprache auch gegensätzliche Interessen zu Wort; sie können gelöst werden. Allmählich bekommt das Gemeinsame das Schwergewicht. Das Ziel ist eine Betriebsverfassung, in der Betriebsrat, Betriebsaussprache und Mitspracherecht verankert sind.

Der Unternehmerstand hat heute die große Möglichkeit, den Arbeiter innerlich zu gewinnen. Denn die Arbeiter wissen, wie wichtig ein guter Arbeitsplatz ist. Darum brauchen wir eine hochherzige Unternehmerschaft, die nicht nur kleinere Verbesserungen vornimmt, sondern sich zu grundlegenden Reformen entschließt. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man es ausspricht: Das Geschick des Abendlandes hä.igt daran. Denn das Abendland muß Werte besitzen, für die das Volk mit Leib und Seele eintritt. Es muß verdienen, daß es verteidigt werde. Sonst nützt alles nichts.

Ein Unternehmerethos also, das sich dem Arbeiter verantwortlich weiß, ist die Aufgabe der Zeit. Der sittlichen Haltung des Unternehmers muß sich die rechte sittliche Haltung des Technikers anschließen, der bei seinen technischen Erfindungen nicht nur an den Großen, sondern auch an den Kleinen denken soll, nicht an die Zerstörung, sondern an den Aufbau, weniger an die Rationalisierung und mehr an die Vermenschlichung. Dies alles muß vollendet werden durch die rechte sittliche Haltung des Arbeiters, der tüchtige Arbeit leistet, der sich mit seinem Stande solidarisch fühlt, solidarisch aber auch mit seinem Volk und mit der ganzen Menschheit, so wie Christus mit der ganzen Menschheit solidarisch war und sich für sie hingegeben hat. Auf diese Weise wird der christlichen Ordnung die Bahn bereitet. Das egoistische Machtverlangen wird beschränkt, die rechte Preisbildung ermöglicht, das Eigentum für alle zur Tatsache. — Wir ermuntern die katholische Arbeiterbewegung und die Arbeitsgemeinschaft der christlichen Industriellen, sich um die Verwirklichung dieser Leitgedanken zu bemühen.

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