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Digital In Arbeit

Die neuen Wunderkästen

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Die Möglichkeiten der „futuristischen“ Informationsgesellschaft sind bereits heute weitgehend Realität. Der Lebensbereich, in dem wir von dieser Informatisierung am unmittelbarsten bereits betroffen sein könnten und teilweise sogar schon sind, ist das Büro in seinen verschiedenen Verantwortungsebenen und Erscheinungsformen.

Die Technologie zur Informatisierung des Büros ist weitgehend vorhanden (was nicht heißen soll,

daß hier nicht noch mit ganz erheblichen Weiterentwicklungen zu rechnen sein wird); viele Menschen könnten bereits jetzt und vielfach erstmals in diesem Bereich mit computergestützten Kommunikationssystemen in Kontakt kommen, mehr Menschen als in allen anderen Tätigkeitsbereichen sind im Büro direkt angesprochen; praktisch jeder ist es indirekt.

Gleichzeitig sehen wir aber auch gerade im Büro, wie hilflos und unvorbereitet wir dieser Entwicklung gegenüberstehen: Wir sind mit einer Fülle neuer „Wunderkästen“ konfrontiert und wissen doch nicht so recht, wie und wo wir diese einsetzen sollen.

Schlüsselfertige Problemlösungen für zahllose Einzelprobleme verdecken die Sicht auf die dahinterstehenden Strukturen, deren Änderung wir in Angriff neh-1 men.

So unbestreitbar wichtig die Probleme der Rationalisierung sind, und so ernst wir die damit verbundene mögliche Arbeitsplatzgefährdung nehmen müssen, auf dieser Ebene kann die Diskussion einer Entwicklung nicht gerecht werden, in der soziale Grundzusammenhänge zur Disposition stehen.

Mit der Büro-Automatisierung werden eben nicht nur „Maschinen-Systeme“ oder allenfalls „Mensch-Maschine-Systeme“ gestaltet, es werden vielmehr die sensibelsten sozialen Beziehungen neu konzipiert: die Informa-tions- und Kommunikationsbeziehungen.

Büro-Automatisierung ist weit mehr als bloß die Automatisierung des Büros, als eines weiteren Bereichs, der eben noch nicht automatisiert ist. Im Büro wird die öffentliche Generalprobe der Informatisierung der Gesellschaft inszeniert, und wir sollten uns bewußt sein, daß von dieser Generalprobe die weitere Gestaltung

des Stückes und vor allem seine Akzeptanz beim Publikum abhängen werden.

Es gibt unbestritten erhebliche Dynamik im Bereich der Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologie. Und das ist auch gut so! Es fehlt allerdings weitgehend an der in Ergänzung notwendigen Dynamik der Anwendungskonzepte -zumindest soweit sie über den Rahmen von Einzelproblemen hinausgehen.

Büro-Automatisierung sowie die „Informatisierung der Gesellschaft“ überhaupt sind nur Chancen - mehr nicht. Chancen, die wir bei verantwortungsbewußter Gestaltung nutzen können, die aber keinesfalls „eigendynamisch“ zur Verwirklichung kommen werden.

Wie könnten wir zu so einem Chancen-Management kommen? Erstens müssen wir dazu Information und Kommunikation als die integrierenden Faktoren für die Entwicklung der nächsten Jahre und Jahrzehnte erkennen.

Noch ist der Begriff ein Schlagwort, bestenfalls eine Metapher: Die Volkswirtschaft kennt ihn so gut wie nicht, die Betriebswirtschaft allenfalls als Kostenfaktor. Selbst die Informatik kennt „Information“ bloß in ihrer eingeschränkten nachrichtentechnischen Bedeutung. Noch wird Information zu sehr am einzelnen Träger, an den konkreten Uber-mittlungskanälen und deren Möglichkeiten festgemacht.

Erst wenn wir von Informationsträgern und -kanälen abstrahieren, werden die eigentlichen Informationsprobleme klar zutage treten - dann wieder können wir die vorhandenen Lösungsmöglichkeiten als Chance nützen und sinnvoll und in einer für den Benutzer akzeptablen Weise einsetzen.

Wenn Information als zentrales Paradigma der nächsten Jahre erkannt ist, ist auch die Voraussetzung gegeben, zweitens, unsere Organisationen den Erfordernissen einer Informationsgesellschaft anzupassen.

Büroangestellte, Verleger, die nachrichtentechnische Industrie, Lehrer, Berater, die Wissenschaft - insgesamt rund die Hälfte der Beschäftigten sind primär in Informationsbereichen tätig. Vor allem diese Bereiche müssen umdenken und versuchen, ihren Platz statt in einer Energie- und Transportwirtschaft in einer In-

formationswirtschaft zu finden: Arbeitsabläufe sollten neu konzipiert werden, Abteilungsstrukturen neu durchdacht, Produktpaletten und Investitionsstrategien den neuen Möglichkeiten und Erfordernissen angepaßt werden.

Dabei sollten wir möglichst nicht ausschließlich nach der Methode „trial und error“ verfahren, sondern versuchen, die damit verbundenen Konsequenzen kalkulierbar zu machen: Verankern wir doch endlich „Technology As-sessment“ bei den Parlamenten, bringen wir „Informationswissenschaft“ an die Hochschulen, schaffen wir Stabsbereiche für „Technik und Gesellschaft“ in den Unternehmen.

Dazu ist unternehmerische Initiative erforderlich, dazu ist aber auch die weitgehende Beteiligung der Betroffenen notwendig: Informations- und Kommunikationssysteme, denen der einzelne nicht vertraut, werden von ihm auch nicht im erforderlichen Maße benutzt werden und damit nicht der Phase des Spielzeuges entwachsen können.

Die Beteiligung der Betroffenen sollte auch gewährleisten, daß Informatisierung stets Humanisierung der Arbeit zur Folge hat und diese nicht ausschließt. Dies ist die dritte und entscheidende Voraussetzung, um im Büro nach einer Phase der Spekulation und des technologischen Vorlaufes darangehen zu können, die „Informationsgesellschaft“ in einem Teilbereich nun auch zu realisieren:

• nicht zu warten, bis neue und immer bessere Produkte auf den Markt kommen,

• nicht zu warten, bis die Wirtschaft sich wieder erholt hat,

• nicht zu warten, bis wir aus den Fehlern der Pioniere lernen können.

Die Nachricht, daß der Bereich der Büro-Technik vermindertes Wachstum zeigt, ist eine der beunruhigendsten Meldungen der letzten Zeit - deutet sie doch an, daß an neuen Systemen und Konzepten gespart wird: An Informationssystemen sparen hieße jedoch, an der Zukunft sparen!

Wir können die Chance der Büro-Automatisierung nur nutzen, wenn wir das Büro nicht als letztes Anwendungsfeld der Industrialisierung, sondern als erstes der Informatisierung begreifen.

Der Autor ist Professor am Institut für Informatik der Universität für Bildungswissenschaften Jtlagenfurt.

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