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Digital In Arbeit

Die Karriere auf Zeit

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Unter dem Motto „Human Resources Management“ soll durch menschlichere Arbeitsformen die Wirtschaft effektiver werden.

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Unter dem Motto „Human Resources Management“ soll durch menschlichere Arbeitsformen die Wirtschaft effektiver werden.

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Die Industrie hat weithin die Anstrengungen des „Gesundschrumpfens“ hinter sich. Nun sind die Banken und Versicherungen an der Reihe: mit neuen Organisationsformen und Arbeitsstrukturen werden Produktivitätsreserven aktiviert. „Flächendeckende Gruppenarbeit“ ist angesagt. Statt schematisierender Arbeitsteilung soll das Zusammenarbeiten in Gruppen an komplexen Aufgaben Nutzeffekte bringen.

Nicht alle sind von dieser Idee überzeugt. Walter Volpert, Professor am Institut für Humanwissenschaften der Technischen Universität Berlin, bestreitet, daß diese Organisationsmodelle wie „Lean production“ und entsprechende Formen der Gruppenarbeit Kreativität und Kollegialität steigern. An der Aufteilung von Tätigkeiten komme man nämlich trotzdem nicht vorbei. Im Gegenteil: „Den Arbeitenden wird zugemutet, die Zerstückelung ihrer Tätigkeiten selbst zu perfektionieren und sich gegenseitig möglichst genau zu kontrollieren, damit man sich ein paar Vorgesetzte ersparen kann.“ Immerhin: eine positive Folge hat die Diskussion über all das doch, meint Volpert: Der arbeitende Mensch findet in Zukunft mehr Aufmerksamkeit unter dem Motto des „Human Resources Management“. Mitarbeiter sind nicht weni-

ger wichtig als Computer. Eine humanere Arbeitsgestaltung macht das Wirtschaften effektiver, lautet die Parole.

Allerdings überzeuge das nur, wenn die Rede vom „Engagement“ und den „schöpferischen Kräften“ der Arbeiter und Angestellten nicht mit Rambo-Methoden des Managements und Sanierungs- Brutalität einhergeht. „Die Kombination von Schahneienklän- gen und Posaunen von Jericho ist eine alberne Musik“ ärgert sich Volpert,

„Kreativität setzt Angstfreiheit voraus, Leistungsbereitschaft wird durch Kontrollzwänge abgetötet.“ Diese alten psychologischen Erkenntnisse werden von vielen im blinden Sanierungseifer vergessen,

weil sie glauben, sich jetzt wieder bei der Personalpolitik aufs Gröbere verlegen zu können.

Aber auch das Miteinander in einem kollegialen Team macht das Leben in der Arbeitswelt in Zukunft nicht idyllischer. Alle von der FURCHE ins Gespräch gezogenen Experten sind sicn einig: die Verantwortungsbereitschaft des einzelnen wird zunehmen müssen, Versorgungsansprüche gilt es zu reduzieren. Die eigenen Fähigkeiten muß man optimal entwickeln, Risikobereitschaft und Flexibilität werden mehr als bisher gefragt sein. Mehr Menschen denn je werden aus einer Karriere in eine andere umsteigen müssen, den Erwerb neuer Fähigkeiten nicht scheuen dürfen.

Der Traum von der lebenslangen Anstellung mit regelmäßig steigendem Verdienst ist somit nach Expertenmeinung von gestern. Die Menschen müssen lernen, ihr Leben immer wieder zu überprüfen und zu reorganisieren. Vielseitigkeit, Fähigkeit zur Umstellung wird prämiert werden (siehe Seite 11).

„Voraussetzung dafür ist allerdings“, sagt etwa der Schweizer Arbeitspsychologe Eberhard Ulich „daß man den Menschen auch wirklich die Chance gibt, sich kompetent zu verhalten. Wenn sie nur hin- und hergeschoben werden, entsteht ein Gefühl von Ohnmacht“.

Das bedeutet aber, daß die Arbeitswelt von morgen eine ganz neue Persönlichkeitsbildung verlangt. Eine Erziehung in den Familien, die nicht mehr an den Vorstellungen der Eltemgeneration ausgerichtet ist. Sie verlangt auch ein neuartiges berufsbegleitendes Bildungswesen.

Wissen die jungen Menschen, was auf sie zukommt? Gerade sie sehnen sich ja mehr denn je nach Sinnfindung, Selbstentfaltung und Glück. Aber gerade das unabsehbare Ende der Arbeitslosigkeit macht es schwer, den „Job der Träume“ zu finden. Es gilt, genauer und intensiver Zukunftschancen zu überprüfen. Und man muß nehmen, was sich an Ausbildungschancen bietet, auch wenn man das zunächst nur als eine Übergangsbeschäftigung ansehen möchte.

Sigrid Böger, Psychologin an der Technischen Universität Dresden, sagt aber voraus, daß simple und ein-

förmige Tätigkeiten fast aussterben werden, für Ünausgebildete wird es nur bescheidene Hilfsarbeiten geben, Transportarbeit und ähnliches.

Aber auch Qualifizierte werden es nicht leicht haben, befürchtet Böger. „Nehmen Sie die Pharma-Industrie: früher hat man Chemikalien händisch gemischt. Das wäre heute zu unexakt, man verwendet komplizierte EDV-gesteuerte Anlagen“, Wer sie bedient, muß mehr im Kopf haben, besser qualifiziert sein. Besonders an- und aufregend ist das aber auch nicht. „Die Spannungen zwischen den konkreten Leistungen und den Erwartungen an die Arbeitswelt werden steigen“, befürchtet auch der Dortmunder Arbeitswissenschaftler Hans Pornschle- gel. Manche Leute ziehen daraus schon eine eigenartige Konsequenz: nach

ihrem Universitätsabschluß beginnen sie nicht eine „Karriere“, sondern nehmen ganz bewußt nur kurzfristige Gelegenheitsbeschäftigungen an, zumeist einige Jahre lang. (Die Schweizer „Weltwoche“ berichtete darüber und betonte, daß es auch in Japan immer mehr solche „free- ters“gibt.) Diese jungen Leute wollen sich auf diese Weise auch „zwingen“, ihre Bereitschaft und Fähigkeit zum Umlemen und Orientierungswechsel beizubehalten. So sammeln sie unterschiedliche Erfahrungen, erweitern den Horizont und sind für die Zukunft besser gerüstet.

Die Arbeitswelt der Zukunft zeichnet sich also schon am Horizont ab, und wache Zeitgenossen beginnen sich bereits darauf einzustellen. Was bisher galt, wird morgen nicht mehr gelten.

Das ist nicht neu. Schon in der Vergangenheit hat sich das Arbeitsleben mehrmals von Grund auf verändert, zuletzt im Anschluß an die Verbreitung der Maschinen und der industriellen Produktionsweise. Diese Veränderungen waren bekanntlich immer mit Krisen verbunden. So ist es auch dieses Mal.

Aber bisher haben diese Krisen auch die menschlichen Fähigkeiten vorangebracht, und sie haben auch dazu geführt, daß wir das lieben doch besser meistern konnten. Wer an die humanen Kräfte im Menschen glaubt, wird auch im radikalen Umbruch der Arbeitswelt von morgen nicht nur die Gefahren sehen, sondern auch die Chancen.

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