6858189-1977_25_01.jpg
Digital In Arbeit

Grenzen der christlichen Loyalität

Werbung
Werbung
Werbung

Für den Christen in Österreich stellt sich nach den allerjüngsten Kontroversen zwischen Kirche und Parteien die Frage: Stehen wir in den Beziehungen zwischen Kirche und Staat, zwischen Kirche und Parteien vor einem entscheidenden Umbruch dęr Großwetterlage?

Vielleicht sind die Ereignisse der letzten Wochen und Monate im Zusammenhang mit der Ablehnung des Volksbegehrens der Aktion Leben durch die sozialistische Parlamentsmehrheit schmerzliche Erfahrungen, doch mehr noch müssen sie als Klarstellungen für die Katholiken aufgefaßt werden. Mehr noch, so meine ich, müssen sie zur Herausforderung werden, die eigenen Reihen zu ordnen, der jüngst häufig zitierten „unglaublichen Naivität” mancher Politik-Dilettanten abzuschwören und den gläubigen Christen des Landes durch Programme, Publizistik und Organisation wieder Orientierung, Sicherheit und Abwehrkraft zu geben.

Nichts ist jedoch entscheidender, als in dieser Situation die souveräne Ruhe zu bewahren. So wäre es falsch, den Kurs des Mariazeller Manifestes von 1952 zu verlassen, jenen Kurs der Offenheit und der Bündnisfreiheit von jeder Partei. Die Kirche muß grundsätzlich für alle da sein.

Falsch wäre es auch, ÖVP, SPÖ und FPÖ zu befragen, was sie von der Kirche erwarten, um welche Distanz ės gehe, welche politische Abstinenz oder welche Wahlempfehlungen zu geben wären.

Falsch wäre es weiters, die faktische Situation in Österreich zu verharmlosen und bei aller Offenheit der Kirche zu übersehen, daß wir es heute mit einer Sozialistischen Partei zu tun haben, die sehr bewußt und sehr operativ an der Macht ist.

Ebenso falsch wäre es, alles beim Alten zu lassen, bei den bisherigen Methoden und Strategien zu verbleiben und alles vom einzelnen Christen, „wo immer er in der Öffentlichkeit und im Parteileben steht”, zu verlangen und zu erwarten. Die Appelle an die christliche Verantwortung genügen heute nicht mehr. Die Aktion Leben als ad hoc gebildete, geschlossene Kraft ist nicht an sich selbst oder dem geringen Zuspruch der Christen gescheitert, sondern nur am Diktat der hauchdünnen sozialistischen Mehrheit. Die Formiertheit der Aktion Leben aber weist beispielhaft den Weg zu einer umfassend wirksamen und permanent verfügbaren Geschlossenheit der Katholiken Österreichs.

„Christliche und kirchliche Loyalität gegenüber dem Staat kann immer nur begrenzte Loyalität sein”, formulierte einmal Professor Paul Mikat. Bezugnehmend auf den Satz aus der Apostelgeschichte, man müsse Gott mehr gehorchen als dem Menschen, meinte er, dieser Bibelauftrag sei die „Mągna Charta” des christlichen Widerstandes gegen den seine Grenzen überschreitenden Staat.

Gerade wenn wir weder die Parteikirche noch die Kirchenpartei wollen, gewinnt eine solche Magna Charta für den Weltauftrag des Christen eine ungeheure Aktualität und bedeutet eine noch größere Verantwortung. Weder die Absage eines politischen Katholizismus der Vergangenheit, noch die Angst um einen gar nicht lieben, sondern alles Christliche langsam nekrotisierenden Frieden, dürfen heute die Gewissensfrage verdrängen, ob solches nicht auch eine wesentliche Komponente des pastoralen Weges der Kirche sein müßte.

Mehr als ein falsch verstandener Pluralismus, richtiger als alle naive Appeasement-Euphorie nach links, wird jene Rolle des Christentums sein, die unmißverständlich die Anwaltschaft für den Menschen bringt. Auch für nicht dogmatisierte Nicht-Chri- sten, für liberal denkende Gruppen, wird so die Kirche zum Verbündeten gegen die Staatsübermacht.

Halten wir noch einmal fest: Aus allem bisherigen Verhalten der Kirche und der Christen Österreichs ist eindeutig geklärt, daß sie selbst keine neuen Ideologiekämpfe oder eine neue Kulturkampfstimmung vom Zaun brechen wollen. Das Christliche aber zur politischen Schacherware zu machen, das ist unerträglich.

Oswald von Nell-Breuning sagt in seinem Buch „Katholische Kirche und heutiger Staat”: „Spricht die Kirche ein mutiges Wort gegen nazistische oder andere Diktatoren, schöpfen überzeugte Katholiken aus ihrem Glauben die Kraft zum Widerstand gegen ein Terrorregime, so zollt man dem wohl seine Anerkennung; das ist dann ausnahmsweise keine Einmischung in die Politik, kein politischer Katholizismus. Wenn die gleichen Katholiken aber aus ihrer gleichen katholischen Überzeugung einen Schweigemarsch durchführen, bei dem keiner Fliege etwas zuleide geschieht, als Protest nicht gegen die Diktatur des einen, sondern der 101 über die 100, dann ist das Politischer Katholizismus.”

Wie immer man zu den Aussagen der sogenannten „politischen Theologie” stehen mag1, sie hat uns eines gelehrt, nämlich jene Aufgabe der Kirche zu sehen, die sie als „kritisch befreiende” Institution hat. Solches sollte nicht in falsche Kanäle geraten. Die größte Gefahr für unser heutiges Demokratieverständnis ist, daß mit der bloßen Mehrheit, sei sie auch noch so klein, weltanschauliche Vergewaltigung betrieben wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung