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Pluralismus als Problem in der Kirche und Theologie

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Pluralismus - Chance oder Irrweg? - eine Frage, vor die der Journalist, vor allem der christliche Journalist, täglich gestellt wird. Hierzu eine Stimme aus theologischer Sicht.

Die nachkonziliare Situation mit ihrer verwirrenden, zum Teil erfreulichen Vielfalt hat den Begriff des Pluralismus zu einem auch im kirchlichen Bereich vielgebrauchten Wort gemacht. In der ersten Zeit nach dem Konzil beriefen sich viele Vorwärtsdrängende auf den „legitimen Pluralismus“ in der Kirche, um sich einen Freiraum für liturgische Experimente und theologische Abenteuerfahrten zu erkämpfen. Inzwischen berufen sich auch manche Traditionalisten auf eben diesen Pluralismus, etwa um der „tridentinischen Messe“ ein Existenzrecht zu erstreiten.

Ohne eine grundlegende, tiefergehende Auseinandersetzung mit den Problemkreisen Einheit und Vielfalt in’der Gesellschaft, Einheit der Kirche und Vielfalt der Kirchen, Berechtigung und Grenzen der kulturellen, nationalen, ethnischen Verschiedenheiten innerhalb der einen Kirche, Vielfalt der theologischen und religiösen Ausdrucksweisen in der Einheit des Glaubens, ist man ständig in der Gefahr, den Begriff des Pluralismus zu einem Schlagwort zu machen, mit dem man seine eigene Position rechtfertigt und politisch ausmünzt.

Es ist gewiß kein Zufall, daß die von Paul VI. geschaffene Internationale Theologenkommission sich 1972 ausführlich mit dem Problem des Pluralismus befaßt hat. Namhafte Theologen wie Hans Urs von Balthasar, Karl Rahner, Josef Rat- zinger haben sich in den letzten Jahren zu diesem Thema geäußert. Freilich haben diese Äußerungen nur beschränkten Einfluß auf den weithin undifferenzierten, polemisch-politischen Gebrauch der Pluralismusparole. Der katholische Akademikerverband hat seine diesjährige Zwettler Sommertagung unter das Thema „Pluralismus - Chance oder Irrweg?“ gestellt. Dabei versucht, im interdisziplinären Gespräch Kriterien zu erarbeiten, die dem Christen heute helfen können, die häufige Rede vom Pluralismus auf ihre Haltbarkeit hin zu überprüfen.

Der Begriff des Pluralismus wurde aus der Sprache der Politikwissenschaft übernommen, freilich so,J daß heute diese Herkunft viel zu wenig bedacht wird.

Darüber hinaus sagt uns der Glaube, daß die tiefe Sehnsucht nach Einheit nicht endgültig und vollkommen in den geschichtlichen, politischen, menschlichen Einheitsbemühungen zur Ruhe gelangen kann, sonder nur in einer neuen Einheit, in der- der Mensch von der Last seines Egoismus und seiner Sünde befreit und zur Liebe als der einheitsstiftenden Kraft fähig wird. Solange freilich die Grenzen von Sünde und Tod bestehen, wird diese Einheit nur ansatzweise möglich sein. Weil die christliche Hoffnung die vollendete Einheit nicht in dieser Welt erwartet, sollte sie sich gegen alle Versuche totalitärer Einheit stellen, die eine solche Vollendung bereits in der Geschichte erzwingen wollen. Die Geschichte zeigt, daß die Kirche dort, wo sie versucht , war, sich als das schon auf Erden verwirklichte Reich Gottes zu verstehen, selber zu totalitären Mitteln griff.

Das Ja des Konzüs zur Religionsfreiheit, zu den Wahrheitselementen in den anderen Religionen und zur Pluralität christlicher Kirchen, war nicht einfach ein resigniertes Anerkennen, daß die Kirche ihren Absolutheitsanspruch in einer „pluralistischen Gesellschaft“ nicht mehr wirksam durchsetzen kann. Hinter diesem Ja steht vielmehr die urchristliche Einsicht, daß auch die Kirche auf dem Weg zur Einheit ist, ja daß es wesentlich zur Sendung der Kirche gehört, die unabsehbare Vielfalt an Religionen, Kulturen, Sprachen, „Mentalitäten“ in ihrer jeweiligen Besonderheit ernst zu nehmen, ist doch Christus gekommen, „nicht um aufzulösen, sondern um zu erfüllen“, nicht um die Vielfalt zu zerstören, sondern sie zur Einheit in Ihm zu führen, der die Wahrheit ist.

Fazit: Bestand in früheren Zeiten für die Kirche die Versuchung, ihre einheitsstiftende Sendung „totali- taristisch“ mißzuverstehen, so ist heute die Versuchung groß, daß das christliche Ja zur Pluralität in eine aufklärerische Toleranz umkippt, in ein „leben und leben lassen“ ohne missionarischen Emst. Das Kriterium für Chance und Grenzen des Pluralismus wird für den Christen immer die Liebe sein: sie nimmt den anderen in seiner An- dersheit an, sucht aber auch mit und für ihn die Einheit in der Wahrheit.

Der Begriff des Pluralismus wurde aus der Sprache der Politikwissenschaft übernommen, freilich so, daß heute diese Herkunft viel zu wenig bedacht wird. Pluralismus als gesellschaftspolitisches Modell richtet sich vor allem gegen totalitäre, „monistische“ (radikal vereinheitlichte) Gesellschaftsformen. Der Pluralismus will eine Gesellschaft, in der sich das freie Spiel der verschiedenen Gruppeninteressen - freilich nach gewissen elementaren, von allen anerkannten Spielregeln - entfal- , ten kann. In diesem Spiel haben dann auch die „ideellen Interessen“, die „Wertvorstellungen“ der verschiedenen Gruppen ihren Platz. So schön und harmonisch diese Gesellschaftskonzeption aussieht, in der Praxis stellt sich doch sehr schnell die Frage, ob Religionsgemeinschaften sich selber einfach als Interessengruppen verstehen können, die bestimmte „religiöse Werte“ verteidigen, wie andere Gruppen ökonomische. Anders gesagt: Die Kirche kann ihren Auftrag nicht im Durchsetzen bestimmter Interessen im pluralistischen Interessenkonzert sehen, sondern als eine Verantwortung gegenüber der Wahrheit, über die sie nicht Herr ist, sondern der sie dienen soll.

Überträgt man dieses Pluralismuskonzept auch noch unbesehen auf die innerkirchliche Situation, so werden seine Grenzen noch deutlicher, kann es doch in der Gemeinschaft der einen Kirche nicht einfach um einen großen „Interessenmarkt“ gehen, auf dem der, der die beste Werbung betreibt, seine Ideen auch durchsetzen kann. Nun wird man nicht abstreiten können, daß sich mit dem Begriff des Pluralismus tatsächlich auch einiges von dieser Konzeption im innerkirchlichen Bereich breitmacht. Die starke Betonung der Rolle von Kultur, „Mentalität“, geschichtlichen Verschiedenheiten in der Kirche birgt die Gefahr, daß man dem Glauben nicht mehr die Kraft zutraut, im Entscheidenden diese Grenzen zu sprengen, Menschen, die aus verschiedenen „Welten“ stammen, zu einer echten Einheit zu verbinden, die nicht einfach die statistische Mitte ihrer Meinungen und Interessen ist.

Der Glaube weiß, daß diese Einheit „von oben“ gestiftet ist, daß nur die Kraft des Kreuzes Christi eine Einheit unter den Menschen stiften kann, die weder ein billiger Kompromiß, noch eine autoritäre Nivellierung aller Besonderheiten und Unterschiede ist. Will man Kriterien für eine christliche Antwort auf das Pluralismüsproblem finden, so wird man sie hier, in dieser Mitte des Glaubens suchen müssen.

Der biblische Schöpfungsglaube ist die Bekenntnis dazu, daß die Vielfalt der Wirklichkeit nicht ein _ „Regiefehler“ des Absoluten ist, sondern die von Gott gesetzte und gewollte und daher unaufhebbar gute Mannigfaltigkeit der Schöpfung, und daß diese Vielfalt auf Einheit hin angelegt ist und zur Einheit strebt.

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