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Fasten für sich?

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O Gott, Du läuterst Deine Kirche alljährlich durch vierzigtägiges Fasten: Gewähre Deiner Familie, in guten Werken zu bestätigen, was sie durch Entsagung von Dir zu erlangen strebt.

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O Gott, Du läuterst Deine Kirche alljährlich durch vierzigtägiges Fasten: Gewähre Deiner Familie, in guten Werken zu bestätigen, was sie durch Entsagung von Dir zu erlangen strebt.

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(Kirchengebet des 1. Fastensonntags)

Das Fasten als eines der klassischen Mittel der Buße hat heute viel von seiner Bedeutung verloren. Die bei uns geltende Diözesanordnung beschränkt es auf einen fast nur noch symbolisch zu nennenden Akt, den die wenigsten „spüren” werden. Für Millionen und aber Millionen bedeutet Enthaltung von Speisen nicht jene geheimnisvolle Erhebung des Geistes, von der die Prä- fation dieser Tage kündet, sondern bitterste Existenznot. Eine große Zahl von Menschen — Christen wie Nichtchristen — aber hat das gesteuerte Fasten in ein individuelles Programm der Körper- und Seelenhyg'ene aufgenommen, mag es sich nun um die ärztlich empfohlene und trotz aller Wunderpräparate doch nur bei ernster Nahrungseinschränkung wirkungsvolle Abmagerungskur handeln oder — in viel subtilerer und leicht mit dem „Religiösen" verwechselter Form — um jenes Heil- und Läuterungsfasfen, das der inneren Entschlackung und Erneuerung dient. Die täglich verschieden formulierten Gebete der Fastenzeit kennen diesen Aspekt zwar auch (besonders an den Wochentagen), aber er ist nie Selbstzweck, sondern immer auf die Erkenntnis des einen und einzigen Zieles, des heilbringenden Kreuzes, gerichtet. Niemals geht es hier um die ichbezogene Heilung aus der sublimierten Nabelschau heraus. Das sonntägliche Kirchengebet — in besonderer Weise auf die versammelte Gemeinde bezogen — spricht aber überhaupt nicht vom einzelnen, weder vöm bußfertigen Sünder noch vom trainingswilligen Privatasketen. Von der „Kirche ist die Rede, die durch das vierzigtägige Fasten alljährlich geläutert wird, und von der „Familie" des Herrn, deren Entsagung sichtbaren Werkausdruck finden soll. Wir sehen dies viel zu wenig. Das Bild der privaten und ichbezogenen Bußübungen ist in unseren Tagen zwar verblaßt. Aber das ursprünglichere der alten Fastengesin

nung ist keinesfalls an seine Stelle getreten. Wir können nur schwer begreifen und nachvollziehen, daß unser so privat gewordenes Fasten, vor dessen äußerlicher Zurschaustellung wir ja im Evangelium des Aschermittwochs mit den Worten des Herrn scharf gewarnt worden sind, dennoch eine öffentliche Angelegenheit bedeutet: Wir repräsentieren die Kirche nicht nur vor der Umwelt, sondern auch vor dem Herrn, wenn wir ein Fastenopfer bringen, wenn wir in diesen Wochen nicht mit äußerlicher Kasteiung, sondern in stummem, hartnäckigem, innerem Bemühen an uns arbeiten. Die Abtötung und Bußübung dessen, der in letzter Konsequenz nur sich selbst 'm Auge hat, führt in die grausige Ode. Je mehr er der „sündigen Welt" entflieht, je dichter er die Fenster verschließt, desto näher kommt er seinem eigenen Zentrum, das im radikalen Selbststand das trostloseste, eiskalte Nichts ist. Läuterung und Askese als heimliche Ichver- herrlichung ist der Weg in jene Verzweiflung, die der große und für unsere Zeit signifikante Dichter Camus in suggestiv-einprägsamen Bildern beschworen hat. Die von mancher Seite geforderte Belebung des Fastens als einer liturgischen Gemeinschaftssache wird sich in absehbarer Zeit kaum praktisch verwirklichen lassen. Noch haben sich für die zerfallenen oder mumifizierten christlichen Gesellschaftsformen der Vergangenheit keine neuen

gebildet, innerhalb derer sich ein Gemeindeleben wahrhaft unverkrampff entfalten könnte, zu dem dann natürlich auch die konkrete Opfergemeinschaft des Tages (ähnlich dem irdischen Liebesmahl, der Agape nach dem Kommunionempfang) gehören müfjfe. Aber ebenso wie der Priester von Jahr zu Jahr mehr spürt, daß er auch die „kleinste stille Messe am Seitenaltar nicht mehr „privat zelebriert, sondern das „Dominus voblscum' im Geist zu seiner Gemeinde spricht, so müßte auch unser Fasten von der Erkenntnis getragen sein, daß es i n der Gemeinde geschieht, in die Gemeinde hinein geopfert wird, selbst wenn wir die konkrete Form dieser Gemeinde so und so oft nicht mehr oder noch nicht sehen, sie schmerzlich suchen.

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