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Anton Bruckner als Lehrer

19451960198020002020

Vorlesungen Aber Hannonielehre und Kontrapunkt an der Universität Wien. Von Anton Bruckner. Herausgegeben von Ernst Schwanzar a. Österreichischer Bundesverlag, Wien. 287 Selten. Mit Notenbeispielen

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Vorlesungen Aber Hannonielehre und Kontrapunkt an der Universität Wien. Von Anton Bruckner. Herausgegeben von Ernst Schwanzar a. Österreichischer Bundesverlag, Wien. 287 Selten. Mit Notenbeispielen

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Der Herausgeber der vorliegenden Aufzeichnungen ist einer der wenigen Lebenden, die noch als Studenten Bruckners Vorlesungen an der Universität Wien gehört haben. Außer der stenographischen Niederschrift Ernst Schwanzaras gibt es noch einige andere, unvollständige Aufzeichnungen, die der Herausgeber im Vorwort seines Buches (S. 7 bis 8) nennt und deren eine — das von Dr. Alfred Orel herausgegebene Harmonielehreheft Carl Speisers — er kritisch beleuchtet (S. 98 ff.). Allen anderen Bruckner-Schülern gegenüber ist Schwanzara im Vorteil durch seine Fertigkeit im Stenographieren und durch den dreimaligen Besuch der im wesentlichen gleichbleibenden Vorlesungen (Wintersemester 1891/92, 1892/93 und 1893/94), wodurch nicht nur größtmögliche Vollständigkeit, sondern auch wiederholte Kontrolle der eigenen Niederschrift ermöglicht wurde. In dem vorliegenden Buch ist jeweils die umfangreichste Aufzeichnung zur Grundlage genommen und durch die Notizen der beiden anderen Jahre vervollständigt. Auf diese Weise empfangen wir durch Ernst Schwanzara das erste vollständige authentische Zeug-n i s über Bruckners theoretische Anschauungen — soweit sie die Harmonie betreffen — und über seine Lehrmethoden. — Ein anderes Anliegen des Autors ist es, .als einem der letzten Augenzeugen, die mit Bruckner in persönlichem Kontakt standen ... auf Grund eigener Wahrnehmungen gegen alle Verunglimpfungen, die in zahllosen Anekdoten weiterleben, aufzutreten und einen Beitrag dazu zu leisten, daß der Nachwelt ein der Würde dieses schlichten, aber achtunggebietenden Mannes entsprechendes Bild seiner eindrucksvollen Persönlichkeit überliefert wird“.

Zweierlei ist an Bruckners Kolleg zunächst hervorzuheben: er folgte in allen wesentlichen Punkten den .Grundsätzen der musikalischen Komposition* seines verehrten Lehrers Simon Sechter, und er behandelt fast ausschließlich die Harmonielehre, während der Kontrapunkt in zwei bis drei Stunden abgetan wurde. (Die Aufzeichnungen Schwanzaras über Kontrapunkt umfassen insgesamt vier Seiten.) Sehr reizvoll ist es die Spannung zwischen Gesetz (Sechter) und Freiheit — dem schöpferischen Ingenium Bruckners — zu verfolgen. Die Abweichungen von Sechter sind Im ganzen, wie gesagt, gering, Wir finden sie etwa bei der Behandlung des Nonnenakkords, den Bruckner — im Unterschied zu Sechter — unter die Stammakkorde rechnete und auf dessen originelle Auflösung er besonders 6tolz war (.Das wird Ihnen niemand mehr sagen“), oder bei der liberaleren Beurteilung der enharmonischen Verwechslung, vor der Sechter warnte, da sie .nur zum Truge Gelegenheit gibt“. —

Die Vortragsart Bruckners war einfach und klar. Durch Beispiele und praktische Übungen bemühte er sich, für seine geliebten und hochgeschätzten Hörer alle Schwierigkeiten auf ein Minimum zu reduzieren. Fragen pflegte er nicht zu stellen, so daß er sich zuweilen in der Illusion gewlegt haben mag, von allen seinen Hörern vollkommen verstanden zu 6ein, während ein Teil seine Vorlesungen doch nur aus Neugierde besuchte. Auch die Studenten pflegten den Vortrag nicht durch Fragen zu unterbrechen und benahmen sich — das wird von Schwanzara wiederholt betont — dem großen Manne mit den kleinen Eigentümlichkeiten gegenüber durchaus ehrfürchtig. — Die Beispiele, die Bruckner an der Tafel aufzeichnete, sollten allgemeingültig sein, daher vermied er Demonstrationen an Kunstwerken und Hinweise auf klassische oder zeitgenössische Tonschöpfungen. (Dies mag einer der Gründe dafür 6ein, daß Bruckner seinen Lehrstoff durch 26 Jahre fast unverändert vortragen konnte.) Die einzigen Ausnahmen bilden zwei Notenbeispiele unter 215: das „Gaudeamus igitur“ und die Fuge aus dem Finale der Jupiter-Symphonie.

Bruckner hatte eine lebendige, abwechslungsreiche, zuweilen drastisch-bilderreiche Diktion. Als Beispiel eine Stelle, die sich auf die Vorbereitung und Auflösung des übermäßigen Dreiklangs der dritten Stufe bezieht: „Jetzt werden wir wegen der Vorbereitung der Dissonanz gegen den Anfang zurückgehen. Wir müssen also zuerst die Dissonanz herausfinden, den Fuchs aufsuchen In seinem Loch. Ahal Da steckt der Kerl, der muß vorbereitet werden. Hier ... ist es das gis. Es muß vorbereitet werden, warum, weiß ich nicht. Ich habe in meinen Schriften nachgesehen, aber nichts darüber gefunden. Ich habe alle noch, weil ich immer Privatunterricht genossen habe, sogae viele vom Professor (Sechter) selbst geschriebene, bis auf die, die mir im Musikvereinssaal gestohlen worden sind“ usw. — Die Vorlesungen Bruckners fanden einmal wöchentlich, und zwar jeweils an Montagen von 5 bis 7 Uhr, später von 6 bis 8 Uhr nachmittags statt. Die Zeit bis zum Beginn der Stunde, das „akademische Viertel“, besonders aber die Pause, benützte er gern zum Gespräch mit seinen Hörern. Da gab es kunterbunte Erzählungen: von seinen Erfolgen und Mißerfolgen, von Freunden und Neidern, zuweilen auch über seine Arbeit und bevorstehende Aufführungen. Diese nicht zum akademischen Stoff der Harmonielehre gehörenden Aufzeichnungen Schwanzaras bilden einen Hauptreiz des Buches.

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