6565550-1949_43_10.jpg
Digital In Arbeit

Bruckner im Warenhaus

Werbung
Werbung
Werbung

Unsere Zeit sucht auf allen Gebieten neue Wege. Auch in der Volksbildung und dem damit verbundenen Ausstellungswesen. Daher mag es auf den ersten Blick eine Selbstverständlichkeit sein, Ungewöhnliches zu wagen und, um mit Goethe zur sprechen: „das Unbeschreibliche, hier wird’s Ereignis“. Das betrifft vor allem Schaustellungen musikalischer Natur, denn das eigentliche Wesen des musikalischen Kunstwerks läßt sich an und für sich ja schwer verdeutlichen; die stummen Notenzeichen sind nicht für jedermann so ohne weiteres verständlich. Stellt man dagegen nur das äußere Leben eines Komponisten dar, so fällt sein Wesentliches, das Werk, unter den Tisch. Diesem Dilemma stand auch die kürzlich im Kaufhaus Gerngroß eröffnete Anton-Bruckner-Gedächtnis- Ausstellung gegenüber, die mit tatkräftiger Unterstützung durch das Kulturamt der Stadt Wien und verschiedener öffentlicher und privater Sammlungen sich für eine Schaustellung des Lebensganges entschied und das Werk nur durch kleine Handschriftenproben aufscheinen läßt. Schöne Barockmöbel aus Stift St. Florian und das rekonstruierte Sterbezimmer Bruckners, sozusagen Anfang und Ende seines Lebens, Ansichten, Landschaftsbilder und Porträts zeigen dem Beschauer Örtlichkeiten und Menschen, die mit . dem Meister in Beziehung standen. Erinnerungsgegenstände, wie Schulhefte und Harmonielehre, Bleistift, Geldbörse und Heimatschein beleben die geschmackvoll errichtete Längsvitrine, unter deren modern gestalteter Beleuchtung auch Schriftstücke beredte Zeugen für Bruckners Lebensweg sind. Der Akt um Bruckners Lektorat an der Wiener Universität, die Verleihung des Franz-Josephs- Ordens, Briefe und Programme, sie alle künden von bedeutsamen Augenblicken in Bruckners Leben, dessen Ende mit der Totenmaske sinnvoll zum Ausdruck gebracht wird. Die Gestalt Hanislicks fehlt ebensowenig wie einzelne Proben gegnerischer Kritiken in modernen Großphotos, das Werk aber, das eigentliche Wesen Bruckners, kommt dabei zu kurz. Schon allein dadurch, daß der sehr kleine Raum neben dem Harmonium Bruckners auch noch Erinnerungsgegenstände an den Linzer Männergesangverein „Frohsinn“, Porträts berühmter Bruckner-Dirigenten und den Stammbaum aufzunehmen hatte. So entstand eine gut arrangierte Auswahl, die vielen Besuchern sicherlich Anregung geben wird, Bruckners Musik näherzutreten. Darin liegt die volkhafte Bedeutung dieser Ausstellung, wobei aber nidit verschwiegen werden darf, daß diese Volksbildung nur halb ist, sie zeigt nicht den Ewigkeitswert Bruckners, sie vermenschlicht ihn zu sehr. Das größte Dilemma ist der Ort: die Hoheit und Würde Brucknenscher Musik will sich so gar nicht zum Getriebe des Warenhauses fügen, es ist, als ob der Großglockner im Wiener Prater stünde. Wer diesen Riesen der Schönheit besitzen will, der muß zu ihm hingehen, man kann ihn nicht anderswo hinstellen, ohne ihm, auch beim besten Willen, Gewalt anzutun. Ähnlich geht es hier Bruckner. So steht in dieser Ausstellung auf der einen Seite großzügiges Mäzenatentum, dem man für seine Tat aufrichtigen Dank schuldet, auf der anderen Seite aber eine große, hohe Kunst, die hier vergebens nach dem , eigenen Ich sucht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung