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Zurechtgerücktes Bruckner-Bild

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Joseph Haydn ist erst ein Vierteljahrtausend nach seiner Geburt vom Klischeebild des „Vaters Haydn" befreit worden. Anton Bruckner verliert 100 Jahre früher das Odium des weltfremden, etwas einfältigen „Tonerls". Und gar so tief verwurzelt im Oberösterreichischen muß er auch nicht gewesen sein: Seine Vorfahren waren im niederösterreichischen Alpenvorland daheim ...

Manfred Wagner rückt in seinem von der übrigen Fachliteratur beeindruckend unabhängigen Buch mit kundiger Hand das Brucknerbild zurecht und zeichnet einen Künstler, der in Wien anerkannt und geachtet war, sich durchaus in der Mode seiner Zeit „trug", Wert auf Wohnungen in den besten Gegenden und auf Gasthäuser legte, die dem Standard des gehobenen Bürgertums entsprachen.

Wagner setzt sich sehr für die stärkere Beachtung der Urfas-sungen von Bruckners Symphonien ein, weil sich dort die unbeeinflußten Formulierungen des der Orgel verhafteten Musikers finden, und er widmet sich auch dem interessanten Phänomen, daß gerade Bruckner für die Moderne wichtig geworden ist, seiner „Zerstücktheit" (G. Mahler), der Entwicklungstechnik am Beginn seiner Symphoniesätze, den gliedernden Generalpausen als „musikalische Leere" im Sinne Ligetis, der Veränderung statischer Intervallgrößen und vielem anderem mehr.

Der interessante Abschnitt über die Systematik von Melodiemodellen Bruckners könnte natürlich noch viel mehr Notenbeispiele vertragen. In einige dieser nützlichen Verdeutlichungen, haben sich kleine Fehler bei den Accidentien eingeschlichen (Seiten 355,365), auch würde man gerne wirklich Schlüssiges über die Gemeinsamkeiten der musikalischen Sprachen Bruckners und Franz Schuberts lesen. Aber das trübt nicht den Gesamteindruck von einem mit hervorragender Sachkenntnis gemachten Werk über einen der ganz großen österreichischen Musiker.

BRUCKNER. Von Manfred Wagner. Goldmann-Schott, Mainz 1983. 431 Seiten, TB, öS 131,-.

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