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Original und Fassungen der Bruckner-Symphonien

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In Nr. 24 der „österreichischen Furche“ veröffentlichte Dr. Ludwig K. Mayer unter obigem Titel an dieser Stelle einen Aufsatz, der das schon vor zehn Jahren begrabene Schlachtbeil in der Streitfrage Original oder Bearbeitung bei Bruckner wieder aufblitzen läßt. Es ist in diesem Rahmen unmöglich, eine ausführliche Begründung für die Alleingültigkeit der Originale zu geben, für eine Sache, die bei jedem anderen Meister det Musik eine Selbstverständlichkeit ist. Ich kann daher nur auf einiges eingehen, was Dr. Mayer in seinem Artikel anführt. Der Umstand, daß Furtwängler es für gut fin det, die IV. Symphonie neuerdings wieder in der Bearbeitung von Josef Schalk aufzuführen, scheint der Anlaß der Darlegungen Dr. Mayers gewesen zu sein.

Mögen bei der Herausgabe des Originaltextes der nadi den Photokopien der Originalpartitur vom Jahre 1878/79 hergestellten kritischen Ausgabe bei Berücksichtigung nachträglicher vom Meister selbst und freiwillig eingefügter Korrekturen kleine Mängel sich eingeschlichen haben, so hieße cs das Kind mit dem Bade ausschüt- ten, wenn man den großen Strich im Finale (Reprise des Hauptthemas) beibehält, wo doch Bruckner die Freiheit der Themen formal und ethisch so geheiligt war, daß er sie sogar in der Fünften beibehielt, während sie der Bearbeiter F. Löwe bei der Drucklegung dieses Werkes auch hier eliminierte und so audi dieses Finale völlig verstümmelte. Bei der ersten Aufführung der Fünften durch Furtwängler in Wien sagte mir dieser persönlich, daß ihm nun die Bearbeitung gegenüber dem Original konventionell erscheine. Sollte dies bei der Vierten, die Josef Schalk herausgab, anders sein? Inzwischen hat sich die Vierte in zahlreichen Aufführungen durch andere Dirigenten, 60 unter Karl Böhm, der sie auch auf Platten spielte, überaus wirksam erwiesen. Es sollte verschwiegen bleiben, daß sich die genannten Bearbeiter solche einschneidende Re- touchen und Kürzungen erkubten, sonst hätten sie, besonders aber Löwe, der die Neunte nach dem Tod des Meisters und die Fünfte während seiner schweren Krankheit herausgab, ihre Namen auf den Titelblättern anbringen müssen.

In einem von Dr. Mayer angezogenen Brief Bruckners an Nikisch, den wir bisher „verschwiegen“ hätten, spricht dieser davon, daß ihm Schalk und Löwe das Adagio der Siebenten vorgespielt haben und er daraus ersah, daß seine Tempoangabe sich als zu schnell erwiesen habe. Gewiß, der Meister hat die jungen, begeisterten Leute gern zu Rate gezogen, aber sie haben dann, besonders nachdem Levi die erste Fassung der Achten abgelehnt hatte, auf den Meister, der nun ganz eingeschüchtert war, so eingeredet, daß er die noch kaum trockene Partitur dieses Werkes völlig umzuarbeiten! begann, was ihm durch die Umarbeitungen der Ersten, Zweiten und Dritten Symphonie, eigentlich’ ganz unnötig waren, fünf Jahre neuen Schaffens raubte und die Vollendung der Neunten unmöglich machte. Das ist die eigentliche Tragik im Leben des Meisters.

Übrigens ist es biographisch erwiesen, daß beide Schüler, die erst 1892 als Dirigenten hervortraten, später in Ungnade fielen und sich in den letzten Jahren beim Meister nicht mehr blicken kssen durften. Josef Schalk, der die Siebente nach der Originalpartitur mit vielen Fehlern und dem von ihm „durchgesetzten“ Beckenschlag, den der Meister später ‘als ungültig erklärte, herausgab und dann die Vierte nach der genauen wissenschaftlichen Untersuchung von Professor Robert Haas instrumental stark verändert und gekürzt herausgab, nie mehr mit einer solchen Aufgabe betraut wurde. Löwe wurde vom Meister selbst dazu nie herangezogen, denn die von ihm herausgegebene Fünfte erschien in einer Zeit, da der Meister schon kaum mehr imstande war, sich dafür zu interessieren und die Neunte erschien erst lange nach dem Tode Bruckners. Franz Schalk scheidet als Bearbeiter aus, da er meist nicht in Wien war und nur, wie er uns selbst sagte, die Erkubnis erhielt, einen zusätzlichen Bläsersatz für die Grazer Aufführung zu setzen.

Es hatte sich bei den Proben herausgestellt, daß die Blechbläser physisch nicht in der Lage waren, die letzten großen Steigerungen entsprechend herauszubringen. Das läßt darauf schließen, daß schon damals die 80 Takte der vorhergehenden Reprise der Gesangsgruppe herausgestrichen waren, bei welcher sich die Blechbläser hätten ausruhen können. Da Franz Schalk damals mit den Vorbereitungen der Aufführung der „Götterdämmerung“ überaus beschäftigt war, kann er die übrigen instrumentalen Änderungen nicht vorgenommen haben. Dies tat, mit allergrößter Wahrscheinlichkeit, Ferdinand Löwe vor seiner Aufführung des Werkes in Budapest 1895, worauf di Drucklegung erfolgte. Die Gegenüberstellung des originalen Finales mit der Bearbeitung desselben ergab 1935 in München unter Hausegger denselben sensationellen. Sieg der Brucknerschen Handschrift, wi dies bei der Neunten der Fall war. Wenn also die vor der Vierten vollendete Fünft - und die nach ihr beendete Siebente im Original entsprechen, ja die Bearbeitung weit hinter sich kssen, wie könnte dann di Vierte nicht entsprechen? Die Originalfassungen haben nicht nur ihre Lebensfähigkeit bewiesen, sondern entsprachen auch in ihrer ruhigen Farbengebung, die an alte Gksmalereien erinnert, dem geistigen, vielfach kultischen Inhalt der Werke viel mehr als die mit Mischfarben im Wagner- schen Sinne durchsetzten Bearbeitungen, wenn diese auch die für Bruckner so typische Assimilation modernen Orchester- klaages mit dem Orgelklang nicht ausmerzen, sondern nur verwischen konnten.

Die Bearbeitungen waren für die Zeit, da der Kampf um Bruckner tobte, möglicherweise nützlich, jedenfalls waren sie von Löwe und Schalk in diesem Sinne vorgenommen worden. Ich habe es daher immer abgelehnt, von „Fälschungen“ zu sprechen, denn darunter versteht man Änderungen, die in der Absicht vorgenommen werden, daraus Nutzen zu ziehen, und das war hier keineswegs der Fall. Ja, die Herausgeber verzichteten — und man kann annehmen aus Bescheidenheit und, um das Ansehen de9 Meisters nicht in Mißkredit zu bringen —, ihre Namen auf die Titelblätter zu setzen oder überhaupt etwas von ihrer Mithilfe offenbar werden zu kssen. Aber au der zeitlichen Distanzierung und dem wirklichen Erklingen der Originalpartituren in ihrer kräftigen, aber auch herberen Art mußte die Bevormundung des Meister endlich aufhören und sein künstlerischer Wille allein durchgeführt werden, den er im Herbst 1893 in seinem Testament niedergelegt hatte. Darin hatte er die in versiegelten Paketen bereit liegenden Originalpartituren der Hofbibliothek vermacht mit der Bestimmung, daß sie dem Drucker als Druckvorlage auszuleihen seien, wobei er di bereits im Druck erschienenen Werke nicht ausnahm. Die schon von August Göl- lerich vor mehr als 40 Jahren geforderte Herausgabe der Originalpartituren wurde später durch die Wiener Nationalbibliothek und die Internationale Bruckner-Gesellschaft in die Wege geleitet und führte auf der ganzen Linie zum Sieg des Meisters. Wozu also noch die Forderung nach Berücksichtigung der Bearbeitungen?

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