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Bruckner und Mahler

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In den Meisterwerken von Beethoven und Brahms hatte sich die Form der klassischen Symphonie erfüllt. War sie danach erschöpft, gestorben? Bruckner hauchte ihr neues Leben ein, und wenn seine Symphonien auch den Normen des klassischen Formschemas nicht entsprachen — ihre logische Eigengesetzlichkeit, ihre innere Notwendigkeit ist uns längst aufgegangen, auch ohne die analytische Hilfe der modernen Bruckner-Philologie. Naivem Erleben ist Bruckners Vierte am leichtesten zugänglich: romantische Naturstimmung, ein Trauerzug, der durch Waldesdunkel schreitet, fröhliches Jagdgetön, und zum Schluß Natur und Gottheit zur Gottesnatur verbunden und gesteigert. „Volksfest” hatte Bruckner in naiver Bescheidenheit über den g_ewaltigen Schlußsatz in der ersten Fassung geschrieben. So mag’ jeder aus ihm heraushören, was ihm gemäß ist und was er zu fassen vermag. Der Schöpfer dieses Werkes aber erscheint uns als der eindrucksvollste Typus des naiven Künstlers, den die Musikgeschichte kennt. Größe und Erhabenheit hat Bruckner nie bewußt angestrebt: sie schenkten sich ihm von selbst.

Mahler — mit gewaltiger Gebärde zum Himmel weisend und nach den Sternen greifend: der Problematiker und Idealist von kühnem Gedankenflug, vielleicht mehr Philosoph als Musiker, denn die Sprache der Töne ist ihm nur Ausdrucksmittel für Höheres, nicht Selbstzweck. Er ist der Typus des sentimöntalischen Künstlers im Sinne Schillers. Was Bruckner sein eigen nennt von Anfang an: die Unschuld, das unmittelbare Verhältnis zu Natur und Volkstum, seinen sicheren Gottesglauben — danach strebt Mahler mit heißem, Bemühen. Dürfen wir nachsichtig lächeln, wenn dem, der Unendliches begehrt, die Kunstmittel nicht immer ausreichen? Doch welch ein Zauber, altdeutsch und innig, in dem Wunderhornlied „O Röschen rot”, und welche Ergriffenheit bemächtigt sich unser, wenn nach der Stimme des Totenvogels der große Chor, vom hellen Sopran überstrahlt, die Klopstock-Ode „Auferstehn, ja auf erstehn” anstimmt! Sollen wir uns entscheiden müssen — für den einen, gegen den andern? Unsere Liebe und Bewunderung mag Bruckner gehören, unsere hohe Achtung können wir Mahler nicht versagen.

Wir hörten Bruckners IV. Symphonie im Philharmonischen Abonnementkonzert unter dem Schweizer Dirigenten Volkmar Andreae. Mahlers II. Symphonie erklang im 3. Pro-Arte- Konzert der Symphoniker unter Josef Krips mit dem Staatsopern chor, den Solistinnen Irmgard Seefried und Rosette Anday; Alois Forer spielte den Orgelpart, Beide Aufführungen waren der großen Werke würdig und hinterließen einen tiefen Eindruck.

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