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Prophet ohne Worte

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Vor diesem 150. Geburtstag Anton Bruckners war ich über Zeitungen und Hörfunk von sehr vielen, sehr gescheiten Leuten in jenem Soziologendeutsch, dessen ich nicht mächtig bin, eines Besseren belehrt worden.

Bis dahin freilich hatte ich mich ein Leben lang von Bruckner durch viele Himmel führen lassen und durch die sehr irdischen Walpurgisnächte seiner Scherzi. Hatte ein Leben lang geglaubt, er sei der große Prophet gewesen, der seine Visionen in unsere Zeit innerkirchlichen Glaubensverlustes vorausgeschleudert habe, wohl ahnend, daß („Wort, oh Wort, das uns fehlt!“) dogmatische Wahrheiten alsbald nur in Klängen und Proportionen ausdrückbar sein würden. Ein Leben lang hatte ich beim „Non confundar“ des Tedeum immer aufs neue begriffen, was Ehr-

furcht (Ehrfurcht, nicht Furcht) ist, hatte bei den ersten Takten des vierten Satzes der Achten, der Franz-Josephs-Symphonie, des versunkenen Reiches Herrlichkeit geschaut und war geblendet worden von der Fülle überstarken Lichts, das im Adagio der Siebenten an jener Stelle ausbricht, die geschrieben wurde, ehe die Nachricht vom Tode Richard Wagners eintraf — und ich hatte bei all dem, ich Dummkopf, nicht gewußt, daß von einem „Musikanten Gottes’ um Himmelswillen und beileibe nicht die Rede sein könne, viel eher, da ja Religiosität pathologischen Ursprungs sein muß, von Frustration infolge repressiver Jugenderlebnisse, und daß an allem die Bürger schuld sind.

Ziemlich zerknirscht sah ich so- mff der Gedenksendung in. FS 1 entgegen, jeder erdenklichen Belehrung und, zusätzlichen Hinter- fragung gewärtig. Doch nein. Vom ersten Augenblick an durfte man da wieder atmen; die gesell- sdvaftskritischen Gouvernanten waren daheim geblieben, die Welt war im Lot. Da bestätigte der Psychologe, daß Neurosen (was täte unsereiner ohne sie!) keine Schande sind, sondern zum Aus- gangspunkt schöpferischer Sublimierung werden können. Da bestätigte der Musikwissenschaftler indirekt, daß autoritäre Erziehung (wieviel dankt ihr doch unsereiner!) sehr wohl den Sinn für Distanz und Proportion wecken kann, im Falle Bruckner sogar mathematisch nachweisbar die Fähigkeit, einen Kosmos ins Gleichgewicht zu bringen. Da geleitete das Kamerateam zu allen Brucknerstätten, in die Kirchen in die Konzertsäle, zu den Quartieren (nur Steyr hatte man vergessen), bis hin zu den Manualen der Orgeln, die von Bruckners Händen berührt worden sind.

Freilich, um Bruckners abstruse Kratzfüße zu erklären, dazu reichte auch das Wissen der Fachleute nicht aus, denn dazu hätte es der Kenntnis jener oberösterreichischen Theatralik bedurft, die aus Lust am Spiel und um mit den rascheren Großstädtern fertig zu werden, ihre erbmäßig bedingte Unbeholfenheit derart übersteigert, daß am Ende eine nicht selten das Gegenüber sprachlos machende, fast immer aber eindrucksvolle Szene zustande kommt, die alle bewußt gesetzten Vorbedingungen zur Anekdote in sich trägt.

Wie beglückend aber, daß man, mit dem Blick auf adäquate Architekturen, das Scherzo der Ersten hören durfte und den ungeheuren Abschluß der Fünften! Und daß nach dem menschlichen Aufschrei der Todesangst die letzten, schon völlig jenseitigen Takte der Neunten in die oberösterreichische Landschaft hinauswehten, aus deren Schlichtheit Bruckners Visionen kamen. Danke!

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