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Bilanzder Wiener Musikfestwochen

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Schon vor einigen Jahren, als sich die Wiener Festwochen zu einem Monster-Festival auszudehnen begannen, kam das Bonmot auf (das eigentlich ein „böses Wort“ ist): Diese Massierung von künstlerischen Veranstaltungen sei hauptsächlich zum Zweck der physischen Vernichtung der Kritiker ersonnen worden. Und in der Tat: 31 Konzerte innerhalb von vier Wochen, hauptsächlich im Großen Musikvereinssaal mit seinen bekannten subtropischen Temperaturen, waren sehr wohl geeignet, auch den Resistentesten umzuwerfen oder wenigstens für einige Tage kampfunfähig zu machen. Aber da war zum Glück noch das Theater an der Wien, wo allabendlich ausländische Theatergruppen und Ballettkompanien gastierten, wohin sich der Musikkritiker mit gutem Grund flüchten konnte. Denn es gab auch hier einiges Interessante an Musik zu hören.

Doch zurück zu den eigentlichen Festwochenkonzerten. Die Veranstalter hatten es schwer, aus einem „embarras de richesse“ auszuwählen. War und ist doch das Jahr 1974 ein ganz besonders ergiebiges, was die runden Ge-burts- und Sterbedaten großer Komponisten betrifft. Zu Bruckner, P fitzner und Schönberg kam in Wien noch der 100. Geburtstag von Franz Schmidt, von dem es nur drei Kammermusikwerke gab. Und Richard Strauss und Hans Pfitz-ner, der ja seine letzten Lebensjahre in Wien und in Salzburg verbrachte, ging es nicht viel besser: Es waren „Alibi“-Auffüh-rungen, meist im kleinen Rahmen des Brahmssaales.

Die Gesellschaft der Musikfreunde, die seit vielen Jahren, mit der Konzerthausgesellschaft alternierend, heuer ihren Festwochenbeitrag lieferte, hatte sich eindeutig für Bruckner als für

den am meisten zu feiernden entschieden. Und da gab es einige Überraschungen. Denn: Wer von den „normalen“ Konzertbesv.-chern, die sich nicht auf ihren Schatz an Schallplatten beschränken, hat schon Bruckners Nullte, die „Studiensymphonie“, die Erste, das „kecke Beserl“, wie Bruckner sie später nannte, und Bruckners Zweite gehört? Und gerade diese selten gespielten Werke wurden nicht nur einem interessierten Publikum vorgeführt, sondern auch rehabilitiert.

Für Schönberg reichte es nicht mehr. Außer in einigen Kleinveranstaltungen wie etwa in einem von Günther Theuring geleiteten Konzert mit seinem neugegründeten Ensemble „Kontraste“, das hauptsächlich Chorwerke von Schönberg aufführte, außerdem gab es Schönberg-Musik nur in der großen Schönberg-Ausstellung zu hören sowie an einem in jeder Hinsicht außerordentlichen Klavierabend Mau-rizio Pollinis. So daß wir also wohl die nächste Zentenarfeier werden abwarten müssen, bei der man im Großen Goldenen Saal, den er so sehr geliebt hat, an einem Abend die „Gurrelieder“ hören wird und in einem zweiten großen Konzert wenigstens „Pelleas und Melisan-de“, die 2. Kammersymphonie und etwa die Orchestervariationen op. 16...

Der WO. Geburtstag genügt eben immer noch nicht, es muß meist erst der 50. Todestag abgewartet werden. Da kann dann wirklich nichts mehr passieren — und dann wird man sogar die Musik jenes Meisters spielen, den man in diesem Jahr nur “.och oder weniger theoretisch — durch einen Sctiön-berg-Kongreß — und bildlich, durch eine allerdings vorzügliche Ausstellung geehrt hat.

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