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Aus Dresden und Stockholm

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Zum erstenmal gastierte in Wien die Dresdner Philharmonie, die bereits 1870 gegründet wurde und die bis 1924 „Gewandhausorchester“ hieß. Das Konzert für die „Jeunesses“ fand im Rahmen einer Tournee durch Österreich und die Schweiz statt, und diese Begegnung war in jeder Hinsicht lohnend. Seit dem vorigen Jahr ist der 1931 geborene Günther Herbig Chefdirigent des renommierten Orchesters. Er hat bei Hermann Abendroth, Scherchen und Karajan studiert, versteht sein Handwerk, neigt ein wenig zur Allüre des Dompteurs und ist manchmal nicht ohne Pose. Aber was er vor allem im Klanglichen realisiert, ist bemerkenswert.

Maurice Ravels fünfteilige Orchestersuite „Ma mere l'oye“ (1908 ursprünglich als Kinderstücke zu vier Händen geschrieben) spielten die Dresdner mit überraschend zarten Farben und dynamischen Nuancen. Max Regers „Konzert im alten Stil“ op. 123, 1912 uraufgeführt, ist aus anderem, gröberem Holz. Da feiert der deutsche Kontrapunkt Triumphe und läßt nicht viel Kurzweil aufkommen. Schade, es gibt Schöneres und Interessanteres von Reger. Hier wurde eine Chance zum bevorstehenden 100. Geburtstag am 17. März vertan. Aber da man uns in Wien zu diesem Jubiläum wohl nichts anderes bescheren wird, wollen wir auch für dieses „Konzert im alten Stil“ dankbar sein.

Vor einem Wiener Publikum, auch vor einem jugendlichen, Brahms zu spielen, bedeutet für jedes Gastorchester ein Risiko. Die Dresdner konnten es getrost auf sich nehmen. Der Anfang des 1. Satzes der Ersten geriet dem Dirigenten und dem Orchester zugleich zügig und wuchtig. Im 2. und 3. Satz gab es delikate Farben, im letzten große Steigerungen und ein kraftvolles, aber nie grobes Tutti zu bewundern. Eine gewisse Verhaltenheit, die — wenn man nach diesem einen Konzert urteilen kann — das Spiel der Dresdener bestimmt, ist ja auch der .Mus:k von Brahms weitgehend angemessen. (Das hörenswerte Konzert wurde vom ORF aufgenommen und wird am 6. Mai um 11.15 Uhr gesendet.)

Auch die Stockholmer Philharmonie gastierte zum erstenmal in Wien. Sie hat vor kurzem ihren 70. Geburtstag gefeiert und ein neues, allen Anforderungen der „Raummusik“ entsprechendes neues Haus erhalten: Grund genug für eine Auslandstournee. Seit 1966 ist Antal Dorati Chefdirigent, und es scheint zwischen ihm und dem Orchester das beste Einvernehmen zu bestehen. — Das Programm kann als für das Orchester und sein Repertoire typisch angesehen werden.

Als Intrada vermittelten uns die Gäste aus dem Norden die Bekanntschaft mit einem sehr feinen und liebenswürdigen Barockkomponisten, der als „Vater der schwedischen Musik“ bezeichnet wird. Er heißt Johan Helmich Roman, lebte von 1694 bis 1758, wurde hauptsächlich in England ausgebildet und zeigt in seinen Werken den Einfluß von Händel und Pepusch, aber auch von Bononcini und Geminiani. Die ,J>rottnings-holms-Musik“ besteht aus 24 kurzen Sätzchen, von denen die Stockholmer eine Suite von sieben Tänzen mit Air spielten, die von einer Ouvertüre und einem Finale eingrahmt wurden: kultivierte Musik, wie man sie damals schrieb, ohne seine Persönlichkeit in den Vordergrund zu schieben.

Hierauf folgte, als Hauptwerk des Abends, Bela Bartöks „Concerto per orchestra“. Hier konnte das Orchester unter der werkkundigen und prominenten Leitung Doratis zeigen, was es kann — und das war sehr viel. Am meisten blieben uns die Bläser in dem choralartigen Zwischenspiel des „Giuoco delle coppie“ im Ohr. Jeder der fünf Teile war gut charakterisiert, und das Finale hatte Rasanz und Farbe.

Den zweiten Teil des Programms bildete die II. Symphonie von Sibe-lius — eine wohl unvermeidliche Huldigung eines skandinavischen Orchesters an den derzeit meistgespielten nordischen Komponisten. Wieder einmal haben wir uns dieses vierteilige Tongemälde mit dem besten Willen angehört — und letzten Endes doch das Orchester bedauert, daß seine Kunst an diese auf weite Strecken simple und einfallslose Partitur verschwendete.

Die Dresdener sind ein reines Männerensemble, bei den Schweden saßen etwa ein Dutzend Frauen an den Pulten. Gleichberechtigtung in Theorie und Praxis ...

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