Werbung
Werbung
Werbung

Das Haus der Kunst in München zeigt in einer großen faszinierenden Schau Spuren der Transzendenz in der Kunst. von

Den Himmel essen“, heißt eine Arbeit von John Giorno. Und sie heißt nicht nur so, sie beinhaltet als Bild ausschließlich diesen als Schrift ausgeführten Auftrag. Das Bild ist derzeit Mitspieler in der Ausstellung „Spuren des Geistigen. Traces du Sacré“ im Haus der Kunst in München. Programmatisch, nicht nur für die Zusammenstellung in dieser Schau, sondern auch für einen großen Strang der Kunstentwicklung in den letzten 200 Jahren, zeigt es die Rolle heutiger Kunstwerke in Bezug auf Religion. Es geht nicht mehr darum, von den Großtaten irgendeines Gottes zu erzählen, sondern Spuren des Sakralen auf dieser Welt erscheinen zu lassen, der Wirklichkeit und dem Menschen nachzuspüren.

Kunst in agnostischer Welt

Die Grundthese der Ausstellungsmacher geht davon aus, dass wir schon seit einiger Zeit zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte in einer agnostischen Welt leben, dass aber die metaphysische Funktion der Kunst deswegen noch lange nicht ausgedient hat. So versammeln sich hier die Spuren dieser metaphysischen Tätigkeit in Form von konkreten Kunstwerken, zur besseren Handhabe in 17 Untergruppen geteilt. Von der „Götterdämmerung“ zu Beginn über den Aufbruch als „Homo Novus“ über Zwischenetappen der „Ekstase“, der „Profanierung“, sakraler Ornamentik, Synkretismen aller Art, bis zu einem „Epilog“, der den unmittelbar zeitgenössischen Umgang mit dem nunmehr irdischen Sakralen vor Augen stellt.

Aber bereits der als Götterdämmerung konzipierte Prolog umreißt exemplarisch die gesamte Zeitspanne der Ausstellung. Er beginnt mit einem Blatt von Francisco de Goya aus dessen Serie über die Grauen des Krieges aus dem Jahr 1810. Ein Leichnam, hinterlegt mit einer Reihe grotesker, grimassenschneidender Figuren, hält ein Blatt mit der Aufschrift „Nichts“ in Händen. Der Titel ergänzt: „Wird er sagen.“ Eine tiefe Anklage gegenüber Gott, der diesen Weltzustand zulässt, sodass die Botschaft über das Jenseits dessen Inexistenz bedeutet – zumindest ist dies die Lesart von Hauptkurator Jean de Loisy.

Goyas Blatt entfaltet in diesem Raum seine Wirkung weiter zu Edvard Munchs Nietzscheporträt, der romantischen Verschmelzung von Religion und Natur am Beispiel von Caspar David Friedrich, dem symbolistisch umgesetzten „Großen Umsturz“ von Henry de Groux, der „Sehnsucht nach dem Unendlichen“ in Giorgio de Chiricos Weg der pittura metafisica, Bruce Naumans Leuchtschriftspirale „Der wahre Künstler hilft der Welt, indem er mystische Wahrheiten enthüllt“, dem „Schwarzen Quadrat“ von Kasimir Malewitsch bis zu Damien Hirsts Tryptichon aus dem Jahr 2006, das aus toten Fliegen und schwarzer Farbe besteht und mit „Vergib mir Vater, denn ich habe gesündigt“ betitelt ist. Ein perfekter Vorausblick auf die gesamte Ausstellung, überdies in einer Hängung mit wunderbarem formalem Zusammenhang.

Was folgt, ist eine differenzierte Ausdeutung dieser vorgestellten Grundlinie anhand inhaltlicher Kriterien und unterschiedlicher Anknüpfungspunkte zu religiösen Systemen. So setzt der nächste Raum am Beispiel einer Zeichnung von Paul Klee bei der nunmehr notwendigen Hoffnung auf einen neuen Menschen von Menschengnaden an, zeigt weiter fortschreitend die neu hinzugeholten Ingredienzien aus völkerkundlichen Sammlungen, steigert dies zur Ekstase, wobei der Tanz einen Vorgeschmack auf die spätere Performancekunst gibt. Um im nächsten Raum Profanierungen zu zeigen, die mit ihrer bildlich bis zum Äußersten zugespitzten Kritik zumindest den christlichen Hintergrund in seinem Selbstverständnis für obsolet erklärt.

Daran ändert sich auch nichts, wenn dann einige der hervorragenden Arbeiten von Kunstschaffenden für französische Kirchen gezeigt werden; die daneben hängenden Behauptungen, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei, verdrängen diesen Versöhnungsversuch sofort wieder. Da macht es mehr Sinn, den Sinn im Absoluten der Kunst selbst zu suchen, etwa anhand von Malewitschs Weiß-in-Weiß gehaltener „Sphärischen Evolution der Fläche“, oder bei theosophisch eingeflüsterten Arbeiten Halt zu machen.

Keine falsche Versöhnung

Und dennoch lässt sich hier der feine Unterschied beobachten. Während Piet Mondrian als bekennender Theosoph zu malerischen Meisterwerken fähig ist, weil ihm klar ist, dass sich in der Malerei alles nur technisch, mit den Mitteln der Malerei klären lässt, scheitert Hilma af Klint, die als „Medium“ die Vorgaben eines „jenseitigen Geistes“ niederzumalen versucht.

Über Schamanismus, die psychedelische Bewusstseinserweiterung und die Einflüsse von Zen auf die „westliche“ Kunst gelangt man nach einem spannenden Rundgang mit vielen hervorragenden Arbeiten wieder zum Ausgangspunkt zurück, zum „Nichts“ von Goya. Denn bereits diese Absage an den jenseitigen Gott beinhaltet eine ebenso schroffe Zurückweisung der menschlich verbürgten Hoffnung, wie sie die Französische Aufklärung in Form von Krieg damals nach Spanien exportierte.

Spuren des Geistigen

Traces du Sacré

Haus der Kunst

Prinzregentenstr. 1, D-80538 München

Bis 11. 1. 2009 Mo–So 10–20 Uhr,

Do 10–22 Uhr.

Katalog: Spuren des Geistigen. München (Prestel) 2008, 128 S., € 25,–

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung