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Die Welt ist nicht mehr heil auf der Grünen Insel

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Die Ergebnisse der irischen Volksabstimmung über die Abtreibungsfrage (29. November) sagen mehr über das Selbstverständnis der irischen Gesellschaft aus als über praktische Bedingungen, bei denen ein Schwangerschaftsabbruch legal ist.

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Die Ergebnisse der irischen Volksabstimmung über die Abtreibungsfrage (29. November) sagen mehr über das Selbstverständnis der irischen Gesellschaft aus als über praktische Bedingungen, bei denen ein Schwangerschaftsabbruch legal ist.

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Die Regierung hatte drei Zusätze zum geltenden Verfassungsartikel über die Abtreibung vorgeschlagen, der seit 1983 das Leben der Mutter und das Leben des Ungeborenen für gleichwertig erklärt. Der Handlungsbedarf hatte sich aus dem traumatischen Schicksal des 14jährigen Vergewaltigungsopfers ergeben, das zu Jahresbeginn an der Ausreise nach England hätte gehindert werden sollen.

Die ersten beiden Ergänzungen wurden erwartungsgemäß mit klaren Mehrheiten gebilligt: Schwangere Irinnen dürfen künftig ungehindert (nach England) ausreisen und sich zuvor über (britische) Abtreibungskliniken informieren. Diese beiden Grundrechte waren bisher in Irland nicht gesichert:

Das erwähnte Mädchen „X" war ja im Februar von einem Richter in erster Instanz an der Ausreise gehindert worden und selbst der Oberste Gerichtshof hatte die Reisefreiheit bezweifelt. Mehrere langwierige Gerichtsfälle hatten überdies in den letzten sechs Jahren aufgrund des geltenden Verfassungsartikels die Informationsfreiheit dramatisch beschnitten.

Private irische Beratungskliniken mußten schließen, britische Zeitschriften mußten in ihren irischen Ausgaben Anzeigen für legale Abtreibungskliniken schwärzen, irische Studenten wurden vor Gericht gestellt, weil sie die Telefonnummern dieser Kliniken veröffentlicht hatten.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befand die Zensurmaßnahmen des irischen Staates vor kurzem zwar für widerrechtlich, aber erst die jüngsten Volksentscheide gewährleisten, daß die vier- bis siebentausend Irinnen, die jedes Jahr in England abtreiben, dies unter weniger demütigenden Umständen als bisher tun können: namentlich ohne zu riskieren, zu Hause als Kriminelle zu gelten. Die irische Gesellschaft hat damit erstmals offiziell zur Kenntnis genommen, daß irische Frauen in der Tat abtreiben.

Der dritte Zusatz versuchte, die Verfügbarkeit des legalen Schwangerschaftsabbruchs in Irland zu regeln. Das Oberste Gericht hatte dem Mädchen „X" bekanntlich im März die Abtreibung gestattet, weil eine Selbstmorddrohung ihr Leben gefährdete. Die „Gleichwertigkeitsregel" des Verfassungsartikels von 1983 konnte also zugunsten der Mutter interpretiert werden, auch wenn das den sicheren Tod des Ungeborenen nach sich zog. Die erklärte Absicht der Regierung war es, den Suizidverdacht als Indikation wieder auszuschließen, weil dies nach Ansicht der Regierung über kurz oder lang zu einer freien Verfügbarkeit der Abtreibung geführt hätte. Es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzuneh- ■ men, daß die Wähler diesem Vorhaben zugestimmt hätten, wenn die Regierung es dabei belassen hätte. Doch aus unerfindlichen Gründen konzentrierten sich die 55 Wörter des vorgeschlagenen Zusatzes auf eine überaus ungeschickte Formulierung der medizinischen Indikation, um erst in einer Schlußbemerkung den Suizid auszuschließen.

Abtreibung sollte verboten sein, außer „um das Leben, nicht aber die Gesundheit der Mutter zu retten". Erwartungsgemäß schwoll daraufhin die Schar der Gegner dramatisch an. Während vorher nur die der katholischen Kirche nahestehenden Laienorganisation der absoluten Abtreibungsgegner ihren Widerstand angekündigt hatten (weil sie ja jede Legalisierung der Abtreibung ablehnen), gingen nun auch die Liberalen, Linken und Feministinnen auf die Barrikaden. Eine sorgfältige Umfrage unter den Mitgliedern der „Irish Countrywoman's Association", dem irischen Landfrauenverband, ergab klare Mehrheiten zugunsten der Abtreibung, um die Gesundheit der Mutter zu gewährleisten. Niemand könnte diesen Verband der frivolen Liberalität bezichtigen. Die Gegnerschaft der Liberalen richtete sich in erster Linie auf die überaus fragwürdige Unterscheidung von Leben und Gesundheit.

Das Verhalten der Regierung war gleich in doppelter Hinsicht widersinnig: Zum einen, weil irische Frauen in England abtreiben. In Irland fänden sich kaum willige Ärzte - und Krankenschwestern schon gar nicht. Zum zweiten behauptete die Regierung, ihr umstrittener Zusatz formuliere nur die geltende Praxis. In der Tat beteuerten zahlreiche Gynäkologen, daß ihr berufseigener Verhaltenskodex seit jeher die Rettung des Lebens der Mutter bei akuter Bedrohung gestatte.

Es gibt eine Handvoll Beispiele, wo der Verdacht besteht, daß irische Frauen während der Schwangerschaft nicht jede menschenmögliche Behandlung erhielten (namentlich bei der Behandlung von Krebs), aber niemand behauptet, daß dies die Regel in irischen Krankenhäusern darstellt. In der grauen Alltagswirklichkeit, wo verzweifelte Frauen aus Fleisch und Blut nach einem Ausweg suchen, hätte sich also weder bei einem Ja noch bei einem Nein etwas geändert. Mit Ausnahme des Suizidszenarios, das nun nach der Ablehnung eine Indikation darstellt. Es wäre aber irreführend, wollte man das Nein der Wähler dahingehend interpretieren, daß die Sorge um das psychische Wohlbefinden der Frau das Hauptmotiv der Gegner dargestellt hätte.

Sowohl die militanten Abtreibungsgegner wie auch die breite Allianz der Frauenverbände beanspruchen den Sieg. In der Tat haben beide recht. Der Umstand, daß der traditionell liberalste Wahlkreis Irlands im wohlhabenden Süden Dublins ebenso deutlich Nein sagte wie die katholischen Hochburgen auf dem Lande, mahnt zur Vorsicht. In drei Wahlkreisen (zwei im äußersten Nordwesten, einer im Hinterland von Cork) lehnten die Wähler alle drei Vorlagen ab.

An ihrem prinzipiellen Nein zu jeglicher Art der Abtreibung kann es also keinen Zweifel geben. Es mag eine Rolle gespielt haben, daß die katholischen Bischöfe dieser Diözesen die dreifache Ablehnung empfahlen, im Gegensatz zur irischen Bischofskonferenz, die zwar die Abtreibung verdammte, aber einräumte, daß sowohl ein Ja als auch ein Nein moralisch zu vertreten sei.

Doch für den Rest des Landes gilt wohl eine Mischung der beiden Beweggründe. DerErzbischof von Dublin hatte zwar ebenfalls die dreifache Verwerfung gefordert, aber kaum jemand würde das Nein des liberalen Bürgertums damit begründen. ■

Die Aussage, daß Irland die medizinische Indikation abgelehnt habe, und damit seinem Ruf als kanonischer Musterschüler einmal mehr gerecht wurde, ist gefährlich. Es scheint vielmehr, daß die Irinnen und Iren erkannt haben, daß komplexe ethische Konflikte nicht mit frommen Wünschen in der Verfassung gelöst werden können. Der Verzicht auf löbliche Ideale im Grundgesetz entspringt der Einsicht, daß Frauen den Preis für diese heile Welt bezahlen müssen. Der Grund für das bisherige Verhalten der Politiker liegt ausschließlich in ihrer Feigheit. Ausführungsgesetze bedingen, daß jeder Abgeordnete sich offenbart, Referenden schieben die Verantwortung dem Bürger zu.

Die neue Regierung wird nun um eine sachliche Gesetzgebung zum Artikel von 1983 nicht mehr herumkommen. Es ist zu erwarten, daß Vergewaltigung und Inzest dann ebenfalls als Indikation anerkannt werden. Die fundamentalistischen Laienorganisationen allerdings haben bereits verkündet, daß sie ein erneutes Referendum wollen, um ein absolutes Verbot ein für alle Mal festzuschreiben.

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