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Das neue Irland Seine Rolle im zweiten Weltkrieg

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Am Nachmittag des 25. April 1938 unterzeichneten im Kabinettsaal in Downing Street der britische Premierminister Neville ChamberLain und der irische Ministerpräsident Eamon De Valera ein Handels- und Verteidigungsabkommen, das den Schlußpunkt unter eine stürmische Epoche der irisch-englischen Beziehungen setzte. Am Vorabend des zweiten Weltkrieges regelte die Regierung der vereinigten Königreiche in diesem Abkommen mit Irland alle strittigen Punkte zwischen den beiden Ländern, mit Ausnahme der Teilungsfrage, wobei das bedeutsamste Zugeständnis die Revision des Verteidigungsabkommens aus dem Jahre 1921 war. Durch diese neuen Abmachungen übertrug die britische Regierung Irland das Admiralitätsrecht mitsamt den bestehenden Anlagen und der Hafenverteidigung inBerrehaven, Coph, Lough S w i 11 y. Dieses Abkommen war ein persönlicher Triumph De Valeras, der seit Jahren mit fester Hand den Kampf um die Unabhängigkeit geführt hatte und dem nun der ehemalige Gegner in großzügiger Weise entgegenkam. Irland, oder wie es nun offiziell genannt wurde „Eire“, gab sich noch im gleichen Jahre durch die Wahl des alten gälischen Gelehrten und Dichters Dr. Douglas Hyde zum Präsidenten das verfassungsmäßige Oberhaupt und zeigte damit der Welt an, daß das irische Volk bereit war, den gefährlichen Zündstoff des ewigen Streites mit England zu beseitigen, allerdings auf der Basis der Anerkennung seiner Unabhängigkeit.

Kaum ein Jahr nach der Hissung der Hagge des irischen Freistaates über den wiedergewonnenen Zugängen zum Meer brach der zweite Weltkrieg aus und die Regierung Irlands erklärte, wie es nicht anders zu erwarten war, die strikte Neutralität. De Valera, der mit harter Tatkraft aber auch sich elastisch den jeweiligen realpolitischen Gegebenheiten anpassend, seinen Staat führte, erhob diese Neutralitätserklärung geradezu zu einem nationalen Prinzip, das für Irland mehr war als eine technische Feststellung seiner völkerrechtlichen Stellung. Für Irland war der zweite Weltkrieg eine Gelegenheit, der Welt zu beweisen, daß nach einem mehr als 700 jährigen Kampf gegen England Irland tatsächlich frei war, Herr seines eigenen Willens, selbst in der Stunde, in der die tödlichste Gefahr für die britischen Inseln heraufzog.

Während sich da und dort in England bereits kritische Stimmen erhoben und man befürchtete, daß Irland eines Tages zum Sprungbrett oder Einfallstor einer feindlichen Armee werden könnte, war die irische Regierung fest entschlossen, einerseits das Recht der Unabhängigkeit absolut zu wahren, andererseits niemals zum Ausgangspunkt einer feindlichen Invasion zu werden. Dabei war die innerpolitische Stellung des irischen Ministerpräsidenten durchaus nicht einfach, denn die irischen Nationalisten und vor allem die Anhänger der irisch-republikanischen Armee (I. R. A.) hatten nie die weiterdauernde englische Besetzung Nordirlands vergessen. Deshalb konnte die irische Neutralitätserklärung auch deutlich darauf hinweisen, daß, solange diese offene Wunde bestand, eine Kriegsteilnahme auf seiten Großbritanniens nicht in Frage kam. So wurde Irland offiziell neucral, obgleich sich aus dieser Haltung die merkwürdigsten Komplikationen ergaben, denn durch seine Mitgliedschaft im britischen Commonwealth bliebe „extern“ an Großbritannien gebunden. Als die Frage der Neubesetzung eines Gesandtenpostens in Berlin während des Krieges plötzlich auftauchte, wurde Dr. T. J. K i e r n a n, der Leiter der Rundfunkstation in Dublin, für diese Aufgabe ausersehen. Deutschland konnte jedoch, ohne Überreichung des Anerkennungsschreibens, das verfassungsgemäß vom britischen König unterzeichnet sein mußte, den Gesandten nicht akzeptieren.

Diese Schwierigkeit wurde dadurch umgangen, daß man die Frage der Besetzung des Gesandtenpostens einfach offen ließ; die irische Gesandschaft in Berlin, die übrigens 1943 durch einen Luftangriff zerstört wurde, blieb in Händen eines Legationsrates. Trotz dieser scheinbar so antibritischen Einstellung der Regierung war während des ganzen Krieges die tatsächliche Haltung der irischen Bevölkerung auf seiten der Alliierten. Die katholischen Iren lehnten beispielsweise die Ideologien dos nationalsozialistischen Deutschland strikte ab.

Außerdem war dieser Krieg die erste europäische Auseinandersetzung in der Geschichte, an der Soldaten irischen Blutes nicht teilnahmen und die Iren, deren soldatische Eigenschaften unbestritten sind, fühlten sidi instinktiv irgendwie zur Seite gedrückt. Daraus erklärt sich auch, daß bei der erstbesten Gelegenheit unzählige Männer über die Grenze gingen und in die britischen Streitkräfte eintraten, trotzdem Irland selbst während des Krieges eine reguläre Armee von 40.000 Mann aufstellte; sie wurde ausschließlich mit britisdiem Material ausgerüstet. De Valera hätte es in der Hand gehabt, wie in der amerikanischen außenpolitischen Zeitschrift „Foreign Affairs“ jüngst in einer tiefschürfenden Untersuchung über Irlands Haltung im Krieg festgestellt wurde, durch ein striktes Verbot des Eintrittes in fremde Armeen dies zu verhindern. Nichs dergleichen geschah, im Gegenteil, aus dem jüngst veröffentlichten Zahlenmaterial geht hervor, daß nahezu 150.000 bis 180.000 junge Iren unter britischer Flagge als Freiwillige dienten und daß nidit weniger als sieben das Viktoria-Kreuz, die höchste britische Tapferkeitsaus-zeidinung, erwarben. Wohl wurden nadi dem Sieg in Europa formell Gerichtsverfahren gegen diese „Deserteure“ geführt, jedoch erfolgte der Freispruch immer unter der Motivierung, daß Desertion eigentlich die Flucht eines Soldaten aus der Gefahrenzone in die Sicherheit bedeute, während in diesen Fällen der umgekehrte Tatbestand vorlag! Auch durch Stellung von nahezu 170.000 Arbeitern, vor allem von Fachkräften der Industrie, unterstützte Irland die englisdie Sache, desgleichen durch Lieferung von Lebensmitteln. Dennoch blieb De Valeras Wille zur neutralen Einstellung des Landes aufrecht und während des ganzen Krieges herrschte die Zensur, die sehr häufig so streng war, daß sie ein uneingeweihter Beobachter geradezu als gegen die Alliierten gerichtet ansehen konnte. Nicht einmal Todesanzeigen irischer Seeleute, die in der britischen Kriegsmarine den Tod fanden, durften als solche gebracht werden, sondern mußten durch einen umschriebenen Text veröffentlicht werden. Dabei hatte es die Regierung nicht beabsichtigt, vielleicht durch diese Haltung die deutsche oder japanische Gesandtschaft zu täuschen, denn sowohl der deutsche Gesandte Dr. Eduard Hempel als auch der japanische Vertreter Mr. B e p p u San wußten ganz genau Bescheid über die Lage und über die Aussichtslosigkeit ihrer Bemühungen; Versuche zur Spionage und zur Absetzung von Fallschirmspringern der Achsenmächte scheiterten schon im ersten Kriegsjahr an der Wachsamkeit des irischen Geheimdienstes, der seine Erfahrungen in den fünfundzwanzig Jahren des britisch-irischen Kampfes nun richtig verwenden konnte. Lediglich bei offiziellen Regierungsfunktionen waren die Achsenvertreter geladen, gesellschaftlich konnten sie jedoch keinerlei Rückhalt finden.

Die Frage der deutschen und japanischen Botsdiaft war übrigens noch einmal der Gegenstand eines mehr formalen Zusammenstoßes mit den Alliierten. 1944, am Vorabend der Invasion, forderten die Vereinigten Staaten und England die Aufhebung der Gesandtschaften, wohl um jede Spionagemöglichkeit über die bereitgestellten Truppen- und Materialmassen zu verhindern. De Valera ergriff diese Gelegenheit mit beiden Händen, um nun auch gegenüber den Vereinigten Staaten die absolute Unabhängigkeit seines Staates zu demonstrieren, sowie er bereits 1940 Churchill vor jeder Wiederbesetzung der zurückgegebenen Hafenanlagen warnen ließ.

Irlands Haltung im zweiten Weltkrieg war in der westlichen Welt oft nicht verstanden worden, erscheint aber jetzt auf Grund der vorliegenden Tatsachen in einem neuen Licht. Die Erklärung liegt, wie riditig von einem amerikanischen Beobachter gesagt wurde, in dem stolzen, fast überempfindlichen Freiheitsgefühl des jungen Staates, der sich wohl seiner inneren Zugehörigkeit zu den vereinigten Nationen bewußt war, dem jedodi die jüngst gewonnene Unabhängigkeit mehr wert war, als jede Anerkennung des Augenblickes. Die Rede, die De Valera über die Frage der Mitgliedschaft in der UNO hielt, kennzeidmet am besten die Gefühle des Landes, denn er erklärte, daß Irland nicht mit dem Hut in der Hand bittend an jemanden herantreten würde. Andererseits hat die effektive freiwillige Leistung so vieler Iren in der Schlacht um Großbritannien die Beziehung zwischen den beiden Ländern auf einen Stand gebracht, der bisher nie erreicht wurde. Es ist zu hoffen, daß die jahrhundertelangen Wunden sidi nun sdiließen werden.

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