Leihmutterschaft: Grenzenlose Gier im Namen des Glücks

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Der jüngste Skandal um Leihmutterschaft in Griechenland offenbart deutlicher denn je, worauf dieses Geschäft grundsätzlich basiert: auf Menschenhandel und Ausbeutung. Ein Gastkommentar.

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Der jüngste Skandal um Leihmutterschaft in Griechenland offenbart deutlicher denn je, worauf dieses Geschäft grundsätzlich basiert: auf Menschenhandel und Ausbeutung. Ein Gastkommentar.

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Die Bilder der weinenden Leihmutter-Babys in Bunkern in der Ukraine sehen wir vielleicht noch vor uns. Der neue Skandal um Leihmutterschaft auf Kreta zeigt nun einmal mehr, dass Leihmutterschaft eine zutiefst menschenverachtende Methode ist: Eine Klinik soll im großen Stil Frauen aus Osteuropa ausgebeutet und Menschen mit Kinderwunsch durch Scheinbehandlungen betrogen haben. Der 73-jährige Inhaber der Klinik soll ein Netz von Zuhältern aufgebaut haben, die Frauen aus Moldawien, der Ukraine, Georgien, Rumänien und Bulgarien nach Griechenland geschafft haben. Dort wurden sie als Eizellen- „Spenderinnen“ und Leihmütter ausgebeutet. Viele dieser Frauen sind Romnja, alle stammen aus sehr armen Verhältnissen, wie der ORF am 19.8.2023 berichtete.

Die Frauen seien von der Öffentlichkeit abgeschirmt und in 14 Wohnungen in erbärmlichen Verhältnissen untergebracht und überwacht worden. Die Betreiber(innen) der Klinik verlangten zwischen 70.000 und 100.000 Euro. Maximal 600 Euro erhielten die Leihmütter monatlich. Ihre Gegenleistung:

– Sie lassen Hormonstimulationen über sich ergehen, die ihre Gesundheit kurz- und langfristig gefährden können, damit nicht nur eine Eizelle in ihnen heranreift, sondern mindestens zehn bis zwölf, die von geschäftstüchtigen „Wunschkinder-Kliniken“ unter Narkose entnommen und mit hohen Gewinnen weiterverkauft werden.

– Oder sie „arbeiten“ als Leihmutter: Sie erfahren Hormonstimulationen, um den Körper auf die Schwangerschaft einzustimmen, das Einsetzen eines Embryos, eine risikoreiche Schwangerschaft mit einer ihnen fremden Eizelle und einen Kaiserschnitt, damit das Baby den Käufer(inne)n übergeben werden kann.

Bereit für unangenehmes Wissen?

Ich vermisse in unserer Gesellschaft bei vielen Themen das Mit-Fühlen, die Bereitschaft, sich unangenehmes Wissen anzueignen. Seit vielen Jahren weist „Aktion Leben“ auf die Verletzungen der Menschenrechte und des Kindeswohls hin, die der Leihmutterschaft zugrunde liegen und ohne die sie nicht funktioniert

Niemand kann sagen, nicht genug zu wissen. Das Problem ist: Wer für ein Verbot ist, stellt sich gegen Lobbyisten, die sagen: Alles kein Problem! Die Frauen taten es gern. Schaut nur die glücklichen Familien an! Ohne Leihmutter hätten sie kein Kind haben können. Ja, das ist leider so. Wir fühlen mit allen, die kein Kind bekommen können und sich eines wünschen. Wir wissen, dass hier jedes Wort verletzend sein kann. Und doch muss klar sein: Leihmutterschaft ist Babyhandel. Es sind riskante Schwangerschaften mit fremden Eizellen. Es sind auch Schwangerschaften unter großem Stress. Das alles ist weder der Gesundheit der Frau noch der Gesundheit der Kinder zuträglich.

Leihmutterschaft benutzt Frauen und bringt Babys um ihr erstes Zuhause. Nichts davon können wir wollen.

In den Berichten rund um die Klinik von Chania wurde eine Frau zitiert, die von Depressionen verschleppter Frauen berichtet. Auch Dr. Sheela Saravanan, Spezialistin für Gesundheit in menschlicher Reproduktion, berichtete seit Jahren über die katastrophalen Auswirkungen der Leihmutterschaft in Indien, von Depressionen unter den Schwangeren sowie körperlichen Beschwerden bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen und Todesfällen.

Chania in Griechenland ist die Spitze des Eisbergs. Denn Leihmutterschaft folgt Marktgesetzen, arme Frauen, findige Anwälte und gierige Geschäftsleute gibt es überall. Skandale gibt es viele rund um Leihmutterschaft. Aber es reicht anscheinend noch lange nicht. Bis zum weltweiten Verbot und dessen Durchsetzung werden noch viele Frauen krank oder sterbend auf der Strecke bleiben und Kinder bedenkenlos Traumatisierungen ausgesetzt, die niemand wahrhaben will.

Ware Kind muss „unbeschädigt“ sein

Aus jahrzehntelanger Erfahrung mit der Beratung und Begleitung schwangerer Frauen und Beschäftigung mit vorgeburtlicher Psychologie wissen wir: Leihmutterschaft ist in vielfacher Hinsicht auch eine tiefe Verletzung des Kindes. Es wird mit Vorbehalten gezeugt, es muss gesund sein, ein bestimmtes Geschlecht haben, eine bestimmte genetische Ausstattung besitzen … Das Kind wird vorsätzlich um eine sichere vorgeburtliche Bindung gebracht, da bei der Leihmutter ein starker innerer Konflikt entsteht, würde sie sich zu tief auf eine emotionale Beziehung einlassen. Jede Art von Bindung erzeugt Trennungsschmerz – davor versuchen sich die Frauen zu schützen. Meist erhält die Leihmutter nur Geld, wenn Schwangerschaft und Geburt komplikationsfrei verlaufen und die „Ware“ Kind unbeschädigt übergeben wird. Ein weiterer Stressfaktor, der auf das Baby wirkt.

Durch den bei Leihmutterschaft standardisierten Kaiserschnitt und die unmittelbare Wegnahme von der Mutter wird das Baby abrupt aus seiner vertrauten Welt gerissen. Jedes Neugeborene braucht nach der Geburt den vertrauten Herzschlag der Mutter, den vertrauten Geruch aus dem Mutterleib und ihre Stimme, um sich in seiner neuen Welt zurechtzufinden.

Leihmutterschaft nimmt dem Baby all das. Sie ist Sklavenhalterei, Menschenhandel, benutzt den Körper von Frauen, gefährdet ihre Gesundheit, ihr Leben. Und Leihmutterschaft nimmt den Babys ihr erstes Zuhause. Nichts davon können wir wollen – als Gesellschaft, die hoffentlich noch immer den Menschenrechten verpflichtet ist.

Die Autorin ist Generalsekretärin von "Aktion Leben Österreich".

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