Karenzgeld für alle?

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Es wäre erfreulich, würde die Karenzgeld-Debatte eine Grundsatzdiskussion über Sozialleistungen und die Situation der Familie auslösen (siehe Seite 4).

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Es wäre erfreulich, würde die Karenzgeld-Debatte eine Grundsatzdiskussion über Sozialleistungen und die Situation der Familie auslösen (siehe Seite 4).

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So lautstark die SPÖ erklärt, das von Familienminister Martin Bartenstein angestrebte Modell "Karenzgeld für alle" (Furche 38/1998) sei "vom Tisch", so oft muß sie sich von ÖVP-Seite anhören, daß dies keineswegs der Fall ist. Und immerhin befürworten laut einer profil/market-Umfrage 59 Prozent der Bevölkerung - unter den 15- bis 29jährigen sogar 72 Prozent - die ÖVP-Position.

Das Thema wird demnach voraussichtlich den Wahlkampf beherrschen, der bereits unverhohlen eingesetzt hat. Gerade in der Frage Karenzgeld wird schon heftig polemisiert und lizitiert, werden Neidgefühle geweckt und alte ideologische Ladenhüter ausgegraben. Dabei wäre alles viel einfacher, würden die wichtigen Fragen dazu schön der Reihe nach betrachtet: Ist das "Karenzgeld für alle" wünschenswert und sinnvoll? Ist es sozial gerecht? Was kostet es ? Sollten andere familienpolitische Maßnahmen Vorrang haben?

Die erste Frage verdient ein uneingeschränktes Ja. Daß Kinder in ihrer Existenz abgesichert aufwachsen sollen, und zwar weit über heutige Karenzfristen hinaus (die inzwischen beschlossene Möglichkeit, die zwei Jahre Karenzurlaub je nach Bedarf bis zum siebenten Geburtstag des Kindes zu beanspruchen, ist auch ein Schritt in die richtige Richtung), sollte weithin unbestritten sein. Wenn irgendwo mit einer Art Grundsicherung begonnen werden soll, dann hier und bei den alten Menschen - bei Leuten im erwerbsfähigen Alter müßte man über ein richtiges Modell sicher viel länger nachdenken.

Es gibt heute gute Gründe, alles, was Mut zum Kind macht und Gelegenheit gibt, es in den ersten Lebensjahren durch eine Bezugsperson intensiv zu betreuen, zu begrüßen. Die auf uns zukommende Alterstruktur und die damit verbundenen Probleme für den Generationenvertrag sind dabei nur ein Aspekt. Besonders schwer wiegen die Folgen mangelnder Nestwärme, die der Psychologe Heinz Zangerle (siehe Seite 4) aufzeigt. Das Karenzgeld für alle muß natürlich Ideologen, die am liebsten alle Frauen im außerhäuslichen Job und alle Kinder in Krabbelstuben und Kindergärten sehen, schmerzen, es drängt aber Frauen keineswegs an den häuslichen Herd, es erleichtert nur denen, die zumindest einige Jahre Hausfrauen oder Hausmänner sein wollen, die Entscheidung und macht sie auch unabhängiger vom Einkommen ihres Ehepartners. Abgesehen davon kommt ein flächendeckendes Netz von Kinderbetreuungseinrichtungen wesentlich teurer als die Ausweitung des Karenzgeldes.

Die Frage, was sozial gerecht ist, kann man endlos diskutieren. Wäre es zum Beispiel gerecht, wenn man jeden seines Glückes Schmied sein läßt (Marktwirtschaft ohne Adjektiva) oder wenn man jedem ohne Rücksicht auf die Leistung (die man wieder unterschiedlich beurteilen könnte) genau den gleichen Lohn gibt? Die SPÖ- und Gewerkschaftsargumente gegen ein "Karenzgeld für alle" - Karenzgeld sei nur als Ersatz für eine entfallende Entlohnung gedacht und stehe daher nur Leuten zu, die bis dahin gearbeitet haben - sind sozialpolitisch veraltet. Die SPÖ hat als soziale Bewegung abgedankt, wenn sie sich nur mehr zum Anwalt derer macht, die eingezahlt und das Eingezahlte wieder herausbekommen wollen.

Gerade die SPÖ hat schon unter Bruno Kreisky, als sie steuerliche Begünstigungen für Familien stark reduzierte und dafür einheitliche Familienbeihilfen und eine Geburtenbeihilfe einführte, stets davon gesprochen, ihr sei jedes Kind gleich viel wert. Gleichbehandlung für alle ist gerade auch beim Karenzgeld die beste und einfachste Lösung. Wird, wie auch vorgeschlagen wurde, als Karenzgeld ein relativ hoher Prozentsatz des Aktiveinkommens (das sehr teure schwedische Modell) ausbezahlt, so profitieren, selbst bei Einziehen einer Höchstgrenze), die Besserverdiener, man hätte nur vielleicht den Nebeneffekt, daß mehr Väter in Karenz gehen würden. Besondere Rücksicht auf soziale Umstände könnte aus anderen Töpfen gespeist werden.

Positiv ist auch, daß gleiches Karenzgeld für alle wenigstens in einem Bereich eine Vereinfachung darstellt. Unser heutiges System krankt doch daran, daß es überall Ausnahmen gibt, die mit ungeheurem und teurem Aufwand festgestellt werden müssen. Was immer an öffentlichen Geldern eingenommen oder ausgegeben wird, bei jeder einzelnen Maßnahme wird gestritten, gefeilscht, nach sozialer Staffelung gerufen, bis die Maßnahme nicht gesetzt oder total verwässert wird. Die einmal von den Liberalen propagierte Idee, einfach allen, die darauf Anspruch haben, die gleichen Sozialleistungen zu geben, diese aber dann mit dem Gesamteinkommen zu besteuern, wäre des Nachdenkens wert.

Zu den Kosten des Bartenstein-Modells gibt es unterschiedliche Berechnungen. Im Familienministerium ist von 700 bis 800 Millionen Mehraufwand pro Jahr die Rede. Dies ließe sich aus den steigenden Mitteln des Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) finanzieren. Bartenstein hat sogar Bereitschaft zugesagt, den jetzt aus der Arbeitslosenversicherung kommenden Anteil in Zukunft aus dem FLAF zu finanzieren.

Im Familienministerium mutmaßt man, daß die vom Finanzministerium genannten, wesentlich höheren Zahlen - bis zu drei Milliarden Mehrbelastung - von anderen Voraussetzungen ausgehen: vor allem von den noch relativ hohen Geburtenzahlen der letzten Jahre. Außerdem sei wohl der fast totale Rückgang von zwei auf eineinhalb Jahre bezahlte Karenz (denn nur selten nimmt der zweite Elternteil, meist der Vater, ein halbes Jahr Karenz in Anspruch und erhält dafür Karenzgeld) noch nicht berücksichtigt.

Natürlich wäre es wünschenswert, das Karenzgeld wieder grundsätzlich für zwei Jahre zu gewähren und weiter anzuheben - 8.000 Schilling pro Monat werden immer wieder als Ziel genannt -, doch würden alle diese Maßnahmen zusammen etwa fünf Milliarden Schilling pro Jahr erfordern. Das Bartenstein-Modell - das übrigens auch noch eine kleine Entlastung bei den Lohnnebenkosten bedeuten würde - wäre eine vorläufig gut vertretbare Lösung mit Augenmaß. Wichtig wäre nur, daß hier nicht nur Geld fließt, sondern wirklich auch der Lebensraum von Kindern verbessert, die Beziehung zu ihnen gefördert wird. Das liegt aber vor allem an den Eltern und Erziehungsberechtigten, nicht nur an der Politik.

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