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Nochmals: Das Unehelichenproblem

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Von Obermagistratsrat Dr. Rudolf Glesinger, Direktor des Jugendamtes der Stadt Graz

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Von Obermagistratsrat Dr. Rudolf Glesinger, Direktor des Jugendamtes der Stadt Graz

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Ergänzende Bemerkungen zu dem Artikel der „Furche“ vom 8. Jänner 1949.

Das Unehelichenproblem hat besonders für Österreich eine überragende Bedeutung, weil Österreich mit seiner Unehelichenziffer, wie Dr. Wilhelm Hecke im 132. Band der Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik schon im Jahre 1930 nachgewiesen hat, an der Spitze aller europäischen Länder marschiert. Noch im Jahre 1933 waren bei einer Gesamtgeburtenzahl in Österreich von 98.861 nicht weniger als 26.085, damals also mehr als ein Viertel, unehelich. Neben den großen Städten wiesen besonders die Alpenländer, vornehmlich Kärnten und Steiermark, die höchsten Unehelichenziffern aus. Wie der Grazer Kinderarzt Dr. S i m c h e n in Heft 9 des Jahrganges 1926 der Mitteilungen des Volksgesundheitsamts berichtet, betrug der Prozentsatz der unehelichen Geburten im Jahre 1900 in Kärnten 41,06 Prozent. Trotz den vermehrten Eheschließungen während der Kriegszeit dürften die Verhältnisse auch heute nicht viel anders liegen.

Die österreichische Gesellschaft für Bevöl kerungspolitik und Fürsorgewesen hat ihre

12. Fürsorgetagung im Jahre 1930 ausschließlich der gründlichen Erörterung des Unehe- lichenproblems in Österreich gewidmet. Das Ergebnis dieser Tagung wurde in der von der damaligen Zentralstelle für Kinderschutz und Jugendfürsorge in Wien herausgegebenen Zeitschrift für Kinderschutz, Familien- und Berufsfürsorge (22. Jahrgang, Nr. 10) eingehend besprochen. An der aufschlußreichen Wechselrede, die nicht nur auf die Ursachen der so überaus gesteigerten unehelichen Geburten in Österreich einging und die Stellung des unehelichen Kindes in rechtlicher, gesundheitlicher und sittlicher Beziehung erörterte, sondern auch nach gangbaren Wegen suchte,

um die Unehelichkeit emzudämmen und die schädlichen Folgen für das Kind möglichst auszuschalten, nahmen Statistiker, Ärzte, Sozialbeamte und Fürsorgerinnen aller Bundesländer teil. Besonders instruktiv erschien der Bericht des katholischen Pfarrers Franz F e 1 b e r aus Obersteiermark, der mit Recht darauf hin wies, daß bei der fürsorgerischen Behandlung der Unehelichenfrage zwischen Land und Großstadt streng unterschieden werden müsse. Er gab ein anschauliches Bild von dem Gedanken- und Gefühlsleben der Gebirgsbauern, denen die Unehelichkeit nicht als Schande erscheint, sondern uneheliche Kinder sowohl ihrer eigenen Familie als auch ihrer Dienstboten bei dem großen Mangel an Arbeitskräften vielfach sogar erwünscht kommen. Tatsächlich ist es nicht so leicht, die ganze Frage der Unehelichkeit einwandfrei klarzulegen, da hier nicht nur soziale und bevölkerungspolitische, sondern auch agrarpolitische und volkspsychologische Erwägungen hineinspielen. Jedenfalls ist es abwegig, wie einzelne Moralstatistiker dies getan haben, über die Unehelichkeit ohne gründliche Untersuchung der Verhältnisse ein Werturteil abzugeben. Denn die Verhinderung der Empfängnis durch allerlei Mittel, wie dies in manchen Ländern mit geringen Unehelichenziffern üblich ist, ist sicher das größere Übel.

Feststeht allerdings, daß die Unehelichkeit eine schwere Gefährdung und vielfach auch Diffamierung des Kindes mit sich bringt und daher möglichst verhindert werden muß. Dies kann aber nur, wie dies auch Pfarrer F e 1 b e r betonte, zugunsten der Ehelichkeit geschehen. Die Lösung dieses Problems ist um so wichtiger, als die durch den Krieg hervorgerufene weitgehende Familienzerstörung eine Gefahr für unsere Jugend darstellt. Die Jugendämter und Jugendgerichte stellen nämlich übereinstimmend fest, daß die Kinder aus solchen gestörten Familien — dazu gehören auch die Kinder aus geschiedenen oder innerlich zerrütteten Ehen —, an der auch heute noch nicht im wesentlichen Abflauen begriffenen Jugendverwahrlosung und Jugendkriminalität noch stärker beteiligt sind, als die unehelichen Kinder. Es müßten also nicht nur die Eheschließungen möglichst gefördert werden, sondern es muß auch dafür Sorge getragen werden, daß die Familie wieder hergestellt wird. Die unüberlegten Eheschließungen der letzten Jahre und das sich daraus ergebende Überhandnehmen der Scheidungen haben a n den Kindern mehr Sch.a den angerichtet, als der Lage Unkundige annehmen würden und belasten besonders in der Erziehungsfürsorge Jugendämter und Jugendgerichte ganz bedeutend.

Neben einer zielbewußten staatlichen Familienpolitik, die es den jungen Leuten rechtzeitig ermöglicht, einen Haushalt zu gründen und sich nicht in bloßen Steuerermäßigungen erschöpfen darf, sondern auch bei der Erwerbung des nötigen Hausrats, die heute neben der Wohnungsfrage wohl das schwerste Problem darstellt, wirkliche und ausgiebige Hilfe bringen muß, wäre auch an die allgemeine wirtschaftliche Besserstellung der Familienerhalter, vielleicht durch Schaffung

@@@von Familienausgleichskassen oder ähnlichem zu denken.

Vor allem aber muß das Verantwortungsbewußtsein der jungen Eltern gegenüber den zu erwartenden Kindern erweckt und durch stete Belehrung wachgehalten werden. Dies kann nur von langer Hand allmählich geschehen. Hier müssen Schule und Kirche, Verwaltung und Justiz, öffentliche Fürsorge und private Hilfstätigkeit, aber auch die Jugendorganisationen und Jugend verbände aller Parteien einträchtig Zusammenwirken. Bei dem durch den Krieg hervorgerufenen Absinken der allgemeinen Moral, das noch immer nicht vollständig überwunden ist, wird dies keine leichte Aufgabe sein. Und trotzdem muß sie geleistet werden, wenn die Familie als Keimzelle von Volk und Staat wieder hergesteljt werden soll.

Jedenfalls ist es aber nach den Feststellungen der Statistik ein vollkommen ungeeigneter . und dazu n pch unmenschlicher und unsittlicher Weg, die Unehelichkeit durch Bemakelung und Diffamierung des unehelichen Kindes bekämpfen zu wollen. Eine solche ungerechte Behandlung des unehelichen Kindes ersehe ich auch darin,'daß bei Kindern unehelicher Geburt wohl die mütterlichen, aber nicht auch die väterlichen Großeltern alimentationsverpflichtet sind und daß diesen Kindern auch kein Erbrecht ihnen gegenüber zusteht. Es widerspricht meines Erachtens dem Naturrecht, daß wohl die Eltern der Kindesmutter und ąicht auch die Eltern des Kindesvater zur Erhaltung des Kindes herangezogen werden können. Der Einwand: „mater semper certa, pater semper incertus est“ erscheint hier nicht stichhältig, da ja als Vater nur der anzusehen ist, der die Vaterschaft entweder selbst anerkennt oder ihrer gerichtlich überwiesen worden ist.

Ich glaube, daß gerade die Befreiung der väterlichen Großeltern von der Alimentationspflicht die Unehelichkeit stark fördert. Für einen verantwortungslosen jungen Mann würden zweifellos mehr Hemmungen bestehen, wenn er sein Tun seiner Familie gegenüber verantworten und damit rechnen müßte, daß seine Eltern dadurch vielleicht auch finanziell belastet werden. Zudem be- stünde für das Kind auch die Möglichkeit, in der Familie des Vaters Rückhalt zu finden; durch entsprechende Einwirkung dieser Familie wird in manchen Fällen die Legitimierung des Kindes durch nachfolgende Ehe erfolgen können- Jedenfalls muß eine Neuregelung de Unehelichenrechts vor allem das Interesse des Kindes und erst in zweiter Linie das des unehelichen Vaters berücksichtigen.

Als vorläufige Maßnahme zur Erleichterung des oft schweren Loses der unehelichen Mütter wäre nach dem Muster anderer Länder an die Errichtung von eigenen Heimen für ledige Mütter zu denken. Bei der großen Unehe- lichenzahl in Österreich wird man aber auf diejem Wege kaum eine wirklich ausreichende Hilfe bringen können.

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