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Großes Volk — Kieme Leute

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Die Gefahr einer „Übervölkerung” ist heute in den hochindustrialisierten Ländern nicht gegeben. Im Gegenteil. Da Wirtschafts- öd - Sözialördftung zunächst den materiellen Erfordernissen des Willens zum Kind kaum Rechnung trugen, sank die Geburtenrate in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen in den meisten Industrieländern unter das zur Erhaltung des Volksbestandes erforderliche Minimum. Dazu kommt, daß — im Gegensatz zur vorindustriellen Epoche — eine (an sich gewiß auch früher praktizierte) materialistische und egoistische Lebensauffassung heute gerade in der Verhütung des Kindersegens ihren vorzüglichen Ausdruck findet. Daher kommt heute gleicherweise den Bemühungen um eine verantwortungsvolle Sexualerziehung, um eine Festigung und Vertiefung der ehelichen Beziehungen und um die Weckung und Stärkung der elterlichen Verantwortung im Hinblick auf die familiären Aufgaben, wie auch — auf materiellem Gebiet — den Bemühungen um einen voll wirksamen Ausgleich der Familienlasten besondere Bedeutung zu.

Die Notwendigkeit des Familienlastenausgleichs ist heute in allen Industriestaaten erkannt und seine Verwirklichung überall im Gange. Die Forderung nach einem solchen Ausgleich stellt sich unabhängig vom allgemeinen Einkommensniveau und Lebensstandard. Denn sein Zweck ist die Beseitigung der Diskrepanz zwischen beruflicher Arbeitsleistung und dem Lebensertrag dieser Leistung, die sich aus der Sorgepflicht für eine unterschiedliche Zahl von Kindern herleitet.

Die eheliche Fruchtbarkeit

Eingehende Untersuchungen in der Deutschen Bundesrepublik ergaben, daß — auf die gesamte Ehedauer bezogen — etwa ein Viertel aller Ehen heute kinderlos bleibt, ein Viertel ein Kind, ein weiteres Viertel zwei Kinder, das restliche Viertel drei oder mehr Kinder hervorbringt. Daraus ergibt sich, daß das Viertel mit drei und mehr Kindern mehr als die Hälfte der nächsten Generation bereitstellt. Die sogenannten „kinderreichen Familien” sind demnach keine gesellschaftliche Randerscheinung, die man ungestraft sozial benachteiligen dürfte. Vielmehr verdankt die Gesellschaft diesen Familien ihren Fortbestand.

Als die in Wien erscheinende Wochenschrift „Heute” im Anschluß an einen Artikel von Univ.-Prof. Doktor Hermann Knaus1 einer Leser- diskiussion Raum gab, kam j auch der Verfasser mit einem längeren, grundsätzlichen Beitrag au Wort in dem er sich der obigen (von Prof. DDr. Karl Freudenberg, Berlin, stammenden) statistischen Angaben bediente2. In einer abschließenden Stellungnahme3 antwortete Prof. Knaus darauf wie folgt:

Diese Schätzung stimmt weder mit den Feststellungen des Statistischen Zentralamtes noch mit meinen geburtshilflichen Erfahrungen überein. Als Naturforscher bin ich gewöhnt, meine Untersuchungen auf verläßliche Zahlen aufzubauen und deren Ergebnisse nicht ,im groben Durchschnitt’, sondern in exakten Zahlen bekanntzugeben. Nicht meine auf solide Berechnungen ge stützten Voraussagen, sondern die unrichtigen Schätzungen von Doktor H. Schwab ,sind ein Phantom’, das geeignet ist, leichtgläubige Leser und, was noch viel schlimmer ist, die verantwortlichen Politiker irrezuführen.”

Zum Beweis führte Prof. Knaus an, daß nach dem Ergebnis der Volkszählung 1951 in Gesamtösterreich nur 6,6 Prozent der Ehepaare drei oder mehr Kinder hatten, von den Wiener

Ehepaaren sogar nur 2,5 Prozent (1,9 Prozent drei, 0,61 Prozent vier oder mehr Kinder)., Dieser -Bfeweis ist mißglückt. Denn die erwähnte Statistik Mithält” keinerlei: Aussage darüber, wie viele Kinder in den Ehen tatsächlich hervorgebracht werden. Sie ist eine „Momentaufnahme”. Die alten Ehepaare, deren Kinder längst nicht mehr dem elterlichen Haushalt angehören, werden hier als „Kinderlose” gezählt, ebenso die jungen Ehepaare, die erst Kinder erwarten; mitgezählt sind weiter nur Kinder bis zum 14. Lebensjahr!

Mit „exakten Zahlen” über die Fruchtbarkeit der Ehen kann weder Prof. Knaus aufwarten noch könnte dies der Verfasser. Denn Österreich besitzt leider keine biologische Statistik. Trotz aller Bemühungen — nicht zuletzt von seiten der Familienorganisationen — wird auch die bevorstehende Volkszählung 1961 keine Aufschlüsse über die eheliche Fruchtbarkeit geben. (Wenn „Die Presse” in diesem Zusammenhang schrieb, die Volkszählung sei schließlich kein Kinsey-Report, so ist dem wohl grundsätzlich beizupflichten; im gegenständlichen Fall hätten aber lediglich die Frauen in bestehenden ersten Ehen nach der Gesamtzahl der ehelich geborenen Kinder befragt werden sollen— was doch wahrlich nicht als „Einbruch in die Intimsphäre” bezeichnet werden kann!) Jeder Statistiker hätte Prof. Knaus darüber aufklären können, daß eine Bevölkerung, deren Frauen nur zu 6,6 Prozent drei oder mehr Kindern das Leben schenken, unweigerlich aussterben müßte — wovon in Österreich keine Rede sein kann. Die im Statistischen Jahrbuch enthaltene Aufschlüsselung des Jahrganges 1959 nach der Geburtenfolge bestätigt im übrigen weithin die von Prof. Knaus in Zweifel gezogenen Angaben über die eheliche Fruchtbarkeit. Es wurden 1959 geboren:

38.586 erste Kinder,

31.814 zweite Kinder,

39.013 dritte und weitere Kinder.

Möglichst viele Kinder?

Knaus hat also unrecht, wenn er behauptet, die Familienorganisationen hätten nur „eine erstaunlich kleine Gefolgschaft” von 6,6 Prozent Kinder- , reichen hinter sich. Er geht überhaupt fehl, wenn er meint, diese Organisationen würden nur die Interessen der Kinderreichen im Auge hiben, und

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