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Die Hypothek des Todes

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Gehen wir von den Geburtenziffern auf das Tausend der Bevölkerung aus, so gelangen wir unter Berücksichtigung des Durchschnittsalters zum Resultat, daß bei einem Durchschnittsalter von 50 Jahren zur Bestandserhaltung 20 Geburten auf das Tausend der Bevölkerung dem notwendigen „Geburten-Soll“ entsprechen (50X20 = 1000). Demnach wäre das Geburten-Soll bei einem Durchschnittsalter der Bevölkerung von Jahren Geburten-Soll

50 20

57 17,6

60 16,6

75 13,3

Demgegenüber steht derzeit ein Geburten-Ist in Deutschland von neun auf das Tausend, in Oesterreich von sieben auf das Tausend der Bevölkerung!

Die ganze Tragweite derartiger Ziffern zeigt sich aber erst, wenn wir nach Burgdörfer mit „bereinigten Geburtenziffern“ operieren, das heißt solchen, die auch den Altersaufbau der Bevölkerung mit berücksichtigen. Im Hinblick auf die immer stärkere Altersklassenbesetzung der älteren Jahrgänge spricht Burgdörfer von einer „Hypothek des Todes“ und Grotjahn warnt, daß die ganze destruktive Tragweite des Geburtenrückganges erst beim Wegsterben der älteren Jahrgänge erschreckend offenbar werden würde, d. h. wenn die „Hypothek des Todes“ fällig wird.

Diese Vorgänge führen zu einer tiefgreifenden Umschichtung und Strukturumwandlung des gesamten Bevölkerungsaufbaues. Gegen die unbequemen Tatsachen wendet man gern ein: Der Geburtenrückgang sei in unserer Zeit nicht nur nicht schädlich, sondern vielmehr nützlich, ja sogar unbedingt notwendig. Man operiert mit einem künstlich hinaufgesteigerten Problem der „Uebervölkerung“, mit einer suggerierten Panik vor einer „Welthungersnot“: Ohne eine starke Einschränkung der Geburten würde die Erde die Bevölkerung nicht mehr ernähren können.

Man hat in diesem Zusammenhang besonders auf die regionale Uebervölkerung in Indien hingewiesen und behauptet, daß eine Einschränkung der Geburten dort eine absolute Notwendigkeit der Selbsterhaltung sei. Der amerikanische Arzt Dr. Abraham Stone hat für die notleidende Bevölkerung Indiens sogar eine Art von Rosenkranz in roter und grüner Farbe für die Berechnung der fruchtbaren (rot) und unfruchtbaren (grün) Tage nach Knaus empfohlen. Demgegenüber muß man sich darüber klar sein, daß damit nur von der eigentlichen Ursache abgelenkt wird; von der Kernfrage, der sozialen Frage: Wenn ein von Natur so reiches Land von Massennotständen heimgesucht wird, so ist das nur ein Zeichen, daß die soziale Struktur nicht in Ordnung ist. Der „Rosenkranz“ nach Dr. Stone ist hierfür ein armseliges Vorbeu-gungsmittel. Wirkliche Therapie würde in Steigerung der Produktionsmöglichkeiten und gerechter Verteilung bestehen.

Vom Standpunkt der Volkswirtschaft sind die Wirkungen des Geburtenrückganges weit mehr negativ als positiv zu beurteilen. Die erhoffte und oft verheißene Erhöhung des Lebensstandards erweist sich als eine Illusion.

Wohl vermag der einzelne durch Kleinhaltung der Familie sich von den anderen einen Vorsprung im Lebenskampfe zu verschaffen, aber aufs Ganze gesehen, sind auch die wirtschaftlichen Wirkungen durchaus schädliche. Die zugrunde liegende Theorie von Malthus erweist sich immer mehr als eine Irrlehre von äußerst verhängnisvollen Folgen. Sie übersieht vor allem die grundlegende Tatsache, daß der Mensch ein wertschaffender produktiver Faktor ist.

Neben den biologischen und sozialen Problemen haben wir es auch mit schwerwiegenden sittlich -religiösen Problemen zu tun. Bis etwa zum Jahre 1918 konnte die Moralstatistik hinsichtlich der Geburtenziffern, der Ehescheidungen und der Selbstmordziffern, die untereinander in einem tiefen inneren Zusammenhang stehen, Unterschiede nach dem Religionsbekenntnis feststellen. Hierbei fanden sich die größten Geburts- und die kleinsten Selbstmordziffern bei Katholiken und bei orthodoxen Juden, während weitaus kleinere Geburten- und größere Selbstmordziffern bei den freisinnigen Juden und bei den liberalen Protestanten festgestellt wurden.

Seither haben diese Ziffern zwischen Katholiken und Protestanten eine weitgehende Angleichung erfahren: Ein ernstes Zeichen dafür, daß der bloße „Taufscheinkatholizismus“ die innere volkerhaltendc Kraft verloren hat. In der jüdischen Orthodoxie finden wir noch feste Bindungen an eine strenge traditionelle Sexualethik (et. Jakob Levy, Newman), indes das liberale Judentum sich weitgehend von diesen traditionellen Bindungen gelöst hat.

So erscheint der in der Literatur ständig wiederkehrende Flinweis auf Juden und Chinesen als Beispiele für die „Unsterblichkeit der Völker“ nicht mehr recht zeitgemäß, denn auch China hat sich weitgehend vom Familien- und Ahnenkult emanzipiert.

Immerhin kann ausgesprochen werden, daß der Osten seit der Revision der russischen Ehe- und Familiengesetzgebung aus der ersten Sturm- und Drangzeit des sogenannten „Kriegskommunismus“ der drohenden Geburtenauflösung Einhalt geboten hat. Der Osten steht heute dem Westen auf dem Sektor der biologischen Fruchtbarkeit mit weitaus überragender Vitalität gegenüber, während der Westen im Begriffe steht, seine eigene Lebensbasis zu zerstören und hierbei noch auf seinen „Fortschritt“ stolz ist. Heute erscheint schon die Frage berechtigt, ob der Osten einen Krieg braucht, um die Weltherrschaft zu erringen oder ob diese ihm nicht von selbst zufallen muß, ob ihm die Zukunft nicht auch ohne Kampf gehört?

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