6592577-1952_36_06.jpg
Digital In Arbeit

Schuld ?

Werbung
Werbung
Werbung

Zum gleichen Thema geht uns unter anderem noch folgende Stellungnahme zu:

Es ist zu begrüßen, daß Frau Dr. Anna Harmer das Problem der „modernen Frau aufgegriffen und die „Furche" durch die Veröffentlichung des Beitrags auf der ersten Seite der Folge 34, dazu unmittelbar vor dem Katholikentag, die Bedeutung dieser Frage unterstrichen hat. Es scheint mir nur, daß die Autorin am Schlüsse wohl das Stichwort gegeben, aber nicht den Weg zu seiner Erfüllung gewiesen hat. Ist es wirklich so, daß „die tiefsten Werte der Frauenseele durch Frauenschuld verlorengegangen sind? Man kann ebensowenig die Frau allein aus einer soziologischen Entwicklung herausnehmen, wie einer Generation allein die Verantwortung für eine Zeiterscheinung aufbürden,- und vor allem ist es unmöglich, die Lebensform von heute bei der Urteilsfindung auszuschalten. Wenn die Verfasserin Otto Karrer zitiert, der Frau sei es nicht gelungen, „den Männerstaat mit fraulichen Idealen zu durchsetzen", und darauf erwidert, „daß die männlichen Bereiche der Politik, der Wirtschaft und der Technik niemals Sphäre der Frau gewesen seien , so wäre dazu zu sagen, daß es in Gesellschaft und Staat auch noch die Gebiete der Kultur, des Rechts und vor allem den schier unerschöpflichen Bereich des Sozialen gibt, in denen die Frau als Frau wohl etwas zu sagen hätte; je mehr diese Gebiete von fraulichem Geist durchdrungen wären, um so besser wäre es um uns und die Gesellschaft bestellt. Aufgabe der katholischen Frauen wäre es, sich auf diesen Gebieten durchzusetzen und nicht das Feld jenen Männern und Frauen zu überlassen, die es mit mehr oder weniger, bestimmt aber nicht mit christlichem Geist durchdringen. Wo ist das Heer der katholischen Frauen, die die wenigen Kräfte, die auf unser kulturelles Leben, vor allem unsere Schulen, noch Einfluß nehmen, unterstützen? Wo sind die katholischen Frauen, wenn es gilt, zur interessierten Gesetzgebung die Stimme zu erheben, oder wenn es darum geht, auf sozialem Gebiet den Zweckentscheidungen und arbeitsmarktpolitischen Erwägungen — den Menschen gegenüberzustellen?

In den angerufenen vergangenen Jahrhunderten hatten die Frauen wohl ein Heim, dessen Mittelpunkt sie sein konnten! Wie viele Frauen, die es wollen, haben es heute, wenn wir (ohne die Zerstörung der Städte durch Kriegseinwirkung zu berücksichtigen) allein an die Millionen Flüchtlinge und Heimatvertriebene denken? Wo bleibt die „Versorgung" nach den, allein materiellen, Zusammenbrüchen von zwei Weltkriegen? Wo sind die Männer, die auch zur Familie gehören, geblieben? Wie viele Hunderttausende Frauen, allein in Europa, müssen „aus dem Heim in Betriebe", um für sich und ihre Angehörigen den Lebensunterhalt zu verdienen?

Trägt die im Beruf stehende und nicht durch ihre Schuld unverheiratete Frau allein die Schuld daran, wenn ihre „geistige Existenz aushungert und ihr seelisches Leben verkümmert", oder wäre es nicht Aufgabe der Gesellschaft, diesen Frauen den Daseinskampf zu erleichtern, ihnen dadurch die geistige, phy-

sische und materielle Möglichkeit der Freude zu geben? Ist der von Staats wegen verlangte „totale Einsatz“ der Frauen schon so schnell vergessen?

Es ließe sich noch manches sagen, um „die Schuld“ der Frau ins richtige Licht zu rücken, nicht zuletzt, daß die „modernen Frauen" schließlich die Töchter ihrer Eltern, die Zöglinge ihrer Schulen und vor allem auch die Kinder ihrer Pfarreien sind! Könnte sich hier nicht

der Gedanke an eine Kollektivschuld aufdrängen?

Mit einem „Stichwort" läßt sich eine Entwicklung nicht zurückschrauben! Wenn wir im Jahr 1952 die „ancilla domini" der früheren Zeit verlangen, dann müssen auch die Vorbedingungen dafür geschaffen werden. Das ist aber nicht die Arbeit und Aufgabe der Frau allein, es ist die Pflicht des Staates, der Gesellschaft und der Kirche.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung