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Frau in Kirche und Gesellschaft

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Es entspricht nicht den Tatsachen, wenn man sagt, daß die Berufstätigkeit der Frau eine Erscheinung der Neuzeit sei. In einer Gesellschaft, in der 80 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig war, hatte die Frau einen ganz wesentlichen Anteil an der Produktion. Und sie war dort alles eher als die ungelernte Hilfskaft, sondern verfügte über ein hohes Maß an beruflichem Können.

Das entscheidend Neue unserer Gesellschaft ist, daß sich diese Berufsarbeit der Frau außerhalb der eigenen Familie vollzieht...

Der wirtschaftliche Rollenwandel der Frau wird von einem tiefgreifenden sozialen Rollenwandef begleitet. Jede Gesellschaft wird in entscheidendem Maß davon bestimmt, wer die Führungsrollen innehat.

In einer ständisch-patriarchalischen Gesellschaft liegen die entscheidenden Führungsaufgaben in den Händen der Männer. In einer bürgerlichen? Leistungsgesellschaft kam es zu einer gewissen Arbeitsteilung. Der innerhäusliche Bereich mit seiner Alltagsroutine war de facto den Frauen reserviert. In Grenzfällen und bei Konflikten lag die Entscheidungsgewalt beim Mann. Der Bereich der Öffentlichkeit war weithin das Privileg der Männer.

In einer Gesellschaft der Gleichberechtigung und der allgemeinen Menschenrechte wird diese geschichtlich gewordene Rollenverteilung nicht mehr angenommen. Es wird vor allem nicht mehr angenommen, daß die traditionelle Rollenverfestigung als „naturgegeben" anzusehen und damit unveränderlich sei.

Darum wird die grundsätzliche und praktische Gleichstellung von Mann und Frau gefordert. Wer diese Forderung mit der konkreten Wirklichkeit vergleicht, wird sich keiner Täuschung hingeben, wie weit der Weg von der Theorie zur Praxis noch ist.

Das liegt keineswegs nur im Widerstand der bisher privilegierten Rollenträger. Es liegt auch zu einem guten Teil bei den Frauen selber, die sich aus begreiflichen, aber zum Teil überwindbaren Gründen gegen diesen Rollenwandel sträuben.

Diese Widerstände werden nicht selten durch übertriebene Forderungen und klassenkämpferische Methoden verstärkt. Wichtig aber erscheint die Feststellung, daß wir vor einem tiefgreifenden sozialen Rollenwandel der Frau stehen, der sich sowohl auf das Bewußtsein der Frauen selber als auch auf das gesellschaftliche Leben auswirken wird.

Es besteht kein Zweifel, daß die Rolle der Frau in der Urkirche entscheidend von. den gesellschaftlichen Vorstellungen des späten Judentums und des Griechentums geprägt wurde, in der die Frau verschiedenen Diskriminierungen ausgesetzt war.

Christus selber hat so wie in den anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens keine Bewegung zur Befreiung der Frau ins Leben gerufen. Sein persönliches Verhalten den Frauen gegenüber aber war ohne Tabu und in diesem Sinn völlig gegen die herrschende Diskriminierung ...

Die Kirche muß den Rollenwandel auf den verschiedenen Ebenen selber akzeptieren und fördern. Es darf nicht so sein, daß die Aussagen des II. Vatikanischen Konzils nicht ernst genommen werden und daß man eigentlich noch ein Frauenbild vertritt, das schlechthin als diskriminierend und damit als Unrecht bezeichnet werden muß.

Die Verwirklichung der berechtigten Ansprüche der Frau hängt wesentlich von einem gesamtgesellschaftlichen Bewußtseinswandel ab. Darum wird sich die Kirche bemühen, einen entscheidenden Beitrag zu diesem Bewußtseinswandel zu leisten.

So wie die Kirche überall dort ihre Stimme erheben muß, wo Unrecht geschieht und Menschen ausgebeutet werden, so muß sie das immer wieder auch zum Schutz der Frauen tun.

Es gibt heute neue Formen der Ausbeutung der Frau in den Massenmedien, in der Reklame, in der Prostitution usw. Die Diskriminierung und Ausbeutung der Frau zeigt sich in mehreren Ländern der Dritten Welt in sklavenähnlichen Zuständen.

Die Kirche muß zur Kenntnis nehmen, daß der gesellschaftliche Rollenwandel die Frau vor neue und schwere Aufgaben stellt. Die Frauen müssen auf diese Belastungen vorbereitet werden, auch schon in der Schule und in der Jugendarbeit.

Der gesellschaftliche Rollenwandel bringt der Frau nicht nur Räume der Freiheit und der Selbstverwirklichung. Er bringt auch Leid und Bedrängnis. Es braucht von Seiten der Seelsorge ein spezifisches Bewußtsein der Lebenskrisen der Frau und die Bereitschaft, sie dort zu begleiten.

Es ist erschütternd, wie die Frau im Fall der Ehescheidung und Wiederverheiratung seelsorglich isoliert wird. Die alleinstehende berufstätige Frau fühlt sich ebenfalls nicht selten allein gelassen ...

Das sind Auszüge aus einem umfassenden Referat, das der Autor vor der Katholischen Frauenbewegung der Diözese St. Pölten am 5. Oktober gehalten hat.

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