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Die Neuordnung der Geschlechterverhältnisse hat dramatische Folgen - auch wenn die katholische Kirche das erst zu ahnen beginnt.

Gegenwärtig arbeitet sich die katholische Kirche, zumindest in unseren Breiten, am Schock ihrer "zweiten Entmachtung" ab, ihrer Entmachtung diesmal in den Köpfen, Seelen und Biografien ihrer eigenen Mitglieder. Auf ihre erste Entmachtung nach dem Sieg des bürgerlichen Gesellschaftsprojekts im 19. Jahrhundert hatte sie zuerst mit dem Aufbau eines defensiv-geschlossenen Milieus reagiert. Später dann, mit dem II. Vaticanum, konnte sie ihre Relativierung und Entmonopolisierung konzeptionell und produktiv verarbeiten.

Religiöse Praxis wird erst seit kurzem in die Freiheit des Einzelnen gelegt. Innerhalb der Freiheitsgeschichte der Moderne geschieht das ziemlich spät und ungefähr zeitgleich mit der Verflüssigung der Geschlechterrollen. Männer und Frauen werden gegenwärtig freigesetzt aus den "zur Natur verklärten ständischen Schalen des Geschlechts" (Ulrich Beck). Die Alltagswirklichkeit und nicht nur das Selbstverständnis der halben Menschheit hat sich dramatisch verändert.

Die Revolution der Geschlechterverhältnisse hat stattgefunden. Ihr entscheidender Durchbruch gelang ihr in der Neugestaltung von Frauenbiografien durch den gleichberechtigten Bildungs- und damit Statuszugang. Die fundamentale Neuordnung der Geschlechterverhältnisse zieht tief greifende kulturelle wie politische Veränderungen nach sich. Nicht nur die Kirche, auch die Gesellschaft beginnt das erst zu ahnen.

Feminisierte Kirchen

Der Anteil der Frauen an den Kirchenbesuchern liegt freilich noch immer über jenem der Männer, bei den Älteren allerdings deutlicher als bei den Jüngeren. Das Auslaufen dieser Rollenaufteilung ist nur eine Frage der Zeit. Damit endet der im letzten Jahrhundert begonnene Prozess der Feminisierung der Kirchen, ohne jedoch an seinen Ausgangspunkt zurückzukehren. Denn die Kirchenbänke, die die Frauen vakant zurücklassen, werden nicht von Männern aufgefüllt.

Wer in dieser Situation die alte Ordnung der Geschlechter propagiert, gerät ins Abseits der Gesellschaft, ins Abseits der Frauenbiografien und ins Abseits seiner eigenen Inkulturationsfähigkeit. Vor allem aber stellt er sich nicht der Herausforderung, das Evangelium aus neuer Perspektive zu entdecken und neue Wirklichkeiten mit dem Evangelium zu konfrontieren. Das aber ist die Aufgabe der Kirche.

Neuere deutsche Studien zeigen, was auch schon die große Untersuchung der Deutschen Bischofskonferenz 1993 aufgewiesen hatte: Es gibt gerade bei den engagierten katholischen Frauen manifeste Wahrnehmungen der Nicht-Beachtung und der Marginalisierung in der Kirche - mittlerweile über Generationen hinweg. Nach wie vor scheint es in den Gemeinden zudem eine geschlechterstereotype Aufteilung der Tätigkeitsfelder zu geben und erleben sich etwa auch Theologinnen als nur bedingt gewollt.

Der große Unterschied zwischen den Generationen liegt im Umgang mit diesen Erfahrungen: Die Jüngeren - die Grenze dürfte etwa bei den 50-Jährigen und damit bei der ersten Frauengeneration mit selbstverständlichem Bildungszugang liegen - führen einen Möglichkeitsdiskurs, die Älteren einen Erlaubnisdiskurs. Die jüngeren Frauen fragen, was ist mir wo möglich, und gehen dorthin, wo es ihnen möglich ist, aber auch von dort weg, wo es nicht möglich ist. Die älteren Frauen suchen die Erlaubnis zu dem, was sie wünschen, erkennen also die Erlaubnisautorität der Hierarchie noch an.

Die älteren Frauen suchen trotz allem ihren Ort in ihrer Kirche und finden ihn auch - etwa in den Frauenverbänden oder in den Gemeinden. Die jüngeren Frauen hingegen suchen einen Ort für ihre religiösen/sozialen Bedürfnisse und finden ihn bisweilen auch in der Kirche. Anders gesagt: Die jüngeren Frauen kämpfen gar nicht mehr um ihren Ort in der Kirche. Das signalisiert eine elementare Verschiebung, ja einen veritablen Bruch. Er entspricht freilich der generellen Verschiebung des religiösen Vergesellschaftungssystems weg von der Schicksalsgemeinschaft hin zur markt- und bedürfnisorientierten Nutzung religiöser Angebote.

Die Dramatik der Vorgänge selbst ist nicht zu leugnen. Sollte die katholische Kirche nicht bald ein glaubhaft nach-patriarchales Konzept ihrer selbst realisieren, spricht einiges dafür, dass es zumindest in den westlichen Ländern zu einem weiteren Marginalisierungs-, ja massiven Exkulturationsprozess der Kirche kommen wird.

Sichtbare Macht

Da nicht anzunehmen ist, dass die gegenwärtig gültigen kirchenrechtlichen Zulassungsbedingungen zum priesterlichen Amt in absehbarer Zeit geändert werden, bleibt die Frage: Was tun? Möglich, auch unter den geltenden Bedingungen, und unbedingt notwendig scheinen mir repräsentative Sichtbarkeit, basisorientierte Öffentlichkeit und balancierte Kirchlichkeit.

* Repräsentative Sichtbarkeit: Die katholische Kirche sollte alles daran setzen, Frauen sichtbar in Leitungspositionen zu bringen. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich. Immerhin gibt es bereits Pastoral- und Schulamtsleiterinnen, Ordinariatsrätinnen und Personalchefinnen. Viele von ihnen widerlegen schlicht durch ihre Existenz und Kompetenz patriarchale Stereotypen. Das hat es vor wenigen Jahren noch nicht gegeben.

* Basisorientierte Öffentlichkeit: Die katholische Kirche sollte weiterhin intensiv daran arbeiten, Orte reversibler und aufmerksamer religiöser Kommunikation jenseits des alten, tendenziell repressiven religiösen Diskurses zu schaffen. Solange wir in Erlaubnisdiskursen stecken bleiben, sind wir auf dem falschen Pfad. Der Rückzug der Priester aus der Fläche etwa, so bedauerlich er ist, macht Räume frei für Laien, also auch und besonders für Frauen. Dies sollten Frauen entschieden nutzen zur Gestaltung von kommunikativen Räumen, die von ihnen geprägt sind.

* Drittens, und am heikelsten: balancierte Kirchlichkeit. Offenkundig gibt es schon heute in der katholischen Kirche so etwas wie eine "Kirche der Frauen", und sie wird von den älteren wie auch - wenngleich mit geringerem Anteil - von jüngeren Frauen gebildet. Gerade manche ältere Frauen haben sich ihren Ort in der Kirche und ihren Ort von Kirche geschaffen. Frauen scheinen sich dabei zunehmend frei zu machen von der Leitungsautorität und ihre eigene, frauendominierte kirchliche Erfahrungswirklichkeit zu gestalten.

Zumutung für Patriarchat

Die "Kirche der Frauen" ist eine Zumutung für die patriarchale Kirche, denn jene ist neu und ungewohnt für diese, sie weiß nicht mit ihr umzugehen und kann sich zu ihr nicht in ein kreatives Verhältnis setzen. Die patriarchale Kirche ist aber auch eine Zumutung für die "Kirche der Frauen", denn jene schätzt sie nicht, gibt ihr keine Macht und neigt dazu, ihre personale Ernsthaftigkeit, religiöse Qualität und evangelisatorische Potenz zu unterschätzen.

Die "Kirche der Frauen" ist aber auch eine unausweichliche Größe für die patriarchale Kirche, denn ohne jene ist sie nicht zukunftsfähig, kann sie das Evangelium bei den Frauen nicht verkünden und noch weniger entdecken und letztlich ihre eigene Existenz nicht sichern. Die patriarchale Kirche ist aber auch eine unausweichliche Größe für die "Kirche der Frauen", denn diese entstammt jener, teilt mit ihr viele Traditionen und kann sich nur mit Bezug auf sie ihrer eigenen Herkunft versichern.

Hildegard Wustmans, Dezernatsleiterin in der Diözese Limburg, hat in ihrer Grazer Habilitationsschrift die Kategorie der "Balance" vorgeschlagen, um das Verhältnis der "Kirche der Frauen" zum traditionellen kirchlichen Raum zu beschreiben. Balancen sind heikle Angelegenheiten, und für sie sind immer beide Seiten verantwortlich. Sie gehen leichter verloren, als man sie einrichtet, und sie sind nie gesichert. Zudem sind sie anstrengend. Hat man sie aber einmal gefunden, ermöglichen sie das schier Unmögliche: Dinge ins Schweben zu bringen, die ständig zu kippen drohen - und dann einfach liegen bleiben.

Es geht nicht um Utopien, sondern um Orte, die es tatsächlich gibt, um Orte, die eine Differenz zu ihrer Umgebung setzen und dadurch verschwiegene Wahrheiten ans Licht bringen. Solche Orte gibt es schon. Man sollte sie nicht verstecken, sondern ausstellen und herzeigen. Denn sonst sprechen sie nicht, obwohl sie viel zu sagen hätten.

Der Autor ist Professor am Institut für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz (s. Tipp rechts).

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