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Sind Blitze, sind Donner in Wolken verschwunden?

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Sirtd nach den spektakulären Ereignissen in der österreichischen Kirche im vergangenen Jahr 1995 nun wieder Grabesruhe und allgemeines Stillschweigen eingetreten? Ist der ungeahnte und für alle überraschende Aufbruch an Lebendigkeit und Mündigkeit im Kirchenvolk versandet? Sind letztlich Enttäuschung und Resignation verstärkt worden?

Mitnichten: Das „Kirchenvolks-Begehren" hat eine Entwicklung in Gang gesetzt beziehungsweise beschleunigt, die nicht mehr zurückzu-dreheh und nicht mehr zu bremsen ist. „Es ist sehr viel in unserer Kirche in Bewegung geraten, die Schubladen mit den heiklen Themen sind wieder offen, ;es ist ungeheuer viel ins öffentliche Gespräch gekommen, nichts ist in der Kirche wie vorher", konstatieren selbst Vertreterinnen und Vertreter jener offiziellen Kirchenkreise, die dem „Kirchenvolks-Begehren" am Anfang sehr skeptisch und distanziert gegenüberstanden.

Um nicht in falsche Selbstüberschätzung zu verfallen, sollte man das Unternehmen „Kirchenvolks-Begehren" mit einem kleinen Zahnrad vergleichen, das mit viel Phantasie und Energie versucht, das große, schwerfällige und recht unbeweglich scheinende Zahnrad „Kirche" in Bewegung zu setzen. Den physikalischen Gesetzen der Trägheit und des Widerstandes folgend, gestaltet sich die erste Phase des Antreibens, des „InBewegung-Setzen-Wollens", naturgemäß äußerst mühsam und beschwerlich: Zu groß sind die Unterschiede zwischen dem überdimensionalen Apparat mit all seinen beharrenden Kräften und dem kleinen, zerbrechlichen Zahnrädchen.

Und auf dem Weg bis zu jenem (toten) Funkt, an dem der Stillstand einzutreten droht und der überwunden werden muß, um die Bewegung in Gang zu halten, kann es schon passieren, daß das kleine Zahnrad oft versucht ist, angesichts der scheinbaren Übermacht zu kapitulieren. Welche Kraftquellen und Antriebskräfte halten das kleine Zahnrad „Kirchenvolks-Begehren" in Bewegung?

Zunächst ist es der unerschütterliche Glaube an einen Gott der Liebe, der den Menschen als freies Wesen geschaffen und zu Liebe und Verantwortung berufen hat. Gott wollte keine unmündigen Marionetten, sondern mündige Partner, die die Welt und ihr Leben in Freiheit und Verantwortung gestalten können. In Jesus Christus lebt Gott uns vor, welche befreiende und menschenfreundliche Kraft die Freiheit des Menschen entfalten kann, wenn sie sich ganz von der Liebe leiten läßt. „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ,einer' in Christus Jesus" (Gal 3,28). So ist die Gleichwertigkeit aller Menschen, unabhängig von Geschlecht, Rasse und Stand, eine logische Konsequenz aus dem Engagement Gottes für die Menschen.

Wer sich in Gott und seiner bedingungslosen Liebe geborgen weiß, fühlt sich zum offenen Wort und zur Lust an der kreativen Phantasie beflügelt. Diese allen Kirchenmitgliedern zukommende Mündigkeit und Verantwortung für die Weitergabe der Botschaft Jesu wurde in Taufe und Firmung jeder und jedem einzelnen von uns zugesagt, und auch das kirchliche Gesetzbuch räumt jedem Gläubigen das Recht ein beziehungsweise erlegt ihm sogar die Pflicht auf, seine Meinung zu äußern, wenn es um das Wohl der Kirche geht.

Schließlich ist das II. Vatikanische Konzil mit seinem Bestreben, die Fenster und Türen der Kirche weit zu öffnen und frische Luft hereinzulassen, eine unausrottbare Energiequelle für die gegenwärtige Reformbewegung. Das vom Konzil in Rückbesinnung auf das Neue Testament wiederbelebte Kirchenbild der Communio, also des pilgernden Gottesvolkes und des „Priestertums aller Gläubigen", hat zahlreiche nachfolgende Synoden und Diözesanforen geprägt. In ihnen wurde die neue alte (weil bibelgemäße) Theologie vom menschenfreundlichen, befreienden Gott und vom gemeinsamen Unterwegssein in konkrete Beschlüsse gegossen.

Diesem Vorgang liegt die zwingende Erkenntnis zugrunde, daß die Rede vom freimachenden, aufrichtenden Gott und von der erlösenden Botschaft Jesu auch im Erscheinungsbild und in den Strukturen der Kirche sichtbar werden muß. Wer nur von der in Christus begründeten gleichen Würde aller Menschen, also auch von Mann und Frau, spricht, diese aber in der eigenen Praxis nicht lebt, macht sich unglaubwürdig und verliert das Vertrauen der Menschen. Wer von dem mündig- und mutmachenden Gott, der den Menschen an seinem eigenen Leben teilhaben läßt, nur spricht, in der Praxis aber die Menschen bevormundet und entmündigt, verliert sukzessive an gesellschaftlicher Akzeptanz.

Wer den Menschen als von Gott geschaffenes und gutgeheißenes Wesen bekennt, zugleich aber seine Körperlichkeit und Sexualität tabuisiert oder in moralisierende Kategorien zwängt, wird sich schwertun, seine Anhäufung von Verboten und Geboten als befreiende Frohbotschaft zu „verkaufen". Und wer Sonntag für Sonntag Erzählungen über den unverschämt offenen und mutigen Umgang Jesu mit Außenseitern und Gebrandmarkten seiner Zeit vorliest, den „Gestrauchelten" in den eigenen Reihen aber mit dem wenig einfühlsamen Hinweis auf Vorschriften und Gesetze begegnet, darf sich nicht wundern, wenn sich immer mehr Menschen von dieser Institution enttäuscht und verletzt abwenden.

Nicht mehr und nicht weniger als die Glaubwürdigkeit unserer Kirche steht also auf dem Spiel. Und das war und ist auch die Hauptantriebskraft des „Kirchenvolks-Be-gehrens". Es mußte keine neue Theologie erfunden, kein neues Kirchenbild hervorgezaubert werden. Die Herausforderungen des Evangeliums an unsere Kirche liegen klar auf dem Tisch. Nun geht es darum, aus der spirituellen Ein-wurzelung in den liebenden Gott Jesu Christi auch die praktischen, „politischen" Konsequenzen für das Leben der Kirche zu ziehen. Dabei ist es immer unangenehmer, an den eigenen, liebgewonnenen Strukturen etwas zu verändern, als an andere und ihre Umkehrbereitschaft zu appellieren. Aber: „Wenn du der Unterdrückung bei dir ein Ende machst, auf keinen mit dem Finger zeigst und niemand verleumdest, dem Hungrigen dein Brot reichst und den Darbenden satt machst, dann geht im Dunkel dein Licht auf, und deine Finsternis wird hell wie der Mittag", weiß schon der Prophet Jesaja über das richtig verstandene Fasten (Jes 58,9f).

Der Unterdrückung und Ungerechtigkeit „bei sich" ein Ende zu bereiten, kann wahrlich nicht als kirchliche Nabelschau und unwichtige Äußerlichkeit abgetan werden. Nur ein Ofen, der gut brennt, kann auch andere erwärmen. Nur eine Kirche, die ihre göttliche Botschaft auch glaubwürdig und überzeugend lebt, besitzt Strahlkraft und Anziehungskraft für die Menschen.

Die Widerstände im großen Zahnrad des Kirchenapparates sind beträchtlich. Eine kleine, aber an den Schalthebeln der kirchlichen Macht sitzende Gruppe hält unbeirrt an einer veralteten, längst überholten neuscholastischen Theologie, an einem vorkonziliaren, monarchischen Kirchenbild fest. Eigene Schwäche und Ängstlichkeit wird durch blinden Gehorsam gegenüber der kirchlichen Autorität und einer nicht weiter hinterfragten kirchlichen Tradition kompensiert. Man klammert sich an vertraute Strukturen und Regeln, als machten sie das Wesen unseres Glaubens aus, weil man durch ihre Veränderung offenbar den Verlust der eigenen Identität befürchtet.

Machtbesessene unter ihnen haben -ganz einfach und vordergründig -Angst vor dem Verlust der eigenen Macht. Instinktiv wittern sie die Gefahr: Wenn die Kirchenleitung einmal, und sei es in noch so nebensächlichen Belangen, dem Volk den Eindruck vermittelt, auf seinen Wunsch hin etwas zu verändern, droht langfristig der gänzliche Einsturz der hierarchischen Mauer. Daher: Wehret den Anfängen. Besonders verfänglich ist, daß diese Angst vor Machtverlust meistens auch mit der Angst vor Frauen und einer allgemeinen Sexualangst einhergeht.

Trotzdem: Der Aufbruch in der Kirche, vom II. Vatikanum ausgehend und im „Kirchenvolks-Begehren" neubelebt, läßt sich nicht mehr aufhalten. Die Durchführung dieser Aktion in Deutschland, Südtirol, Frankreich, Italien, Belgien, Kanada und Spanien und konkrete diesbezügliche Pläne in Holland, Portugal und den USA bestätigen, daß das Anliegen der Erneuerung unserer Kirche kein spezifisch österreichisches Thema im Gefolge der „Affäre Groer", sondern ein brennendes Bedürfnis von gesamtkirchlicher Dimension ist.

Wer tagtäglich mit Menschen, und besonders mit jungen, zu tun hat, weiß es: Wir als Kirche haben nicht mehr viel Zeit. Wer die Kirche und die Menschen liebt, wird nicht aufhören, sich mit ganzer Kraft dafür einzusetzen, daß die frohmachende und lebensspendende Botschaft Jesu den Menschen unserer Zeit zugänglich gemacht wird durch eine kirchliche Gemeinschaft, die das lebt, wovon sie spricht: die Liebe des menschgewordenen Gottes.

Der Autor ist

AHS-Lehrer in Innsbruck

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