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Ernst und Streng, Komik und Traum

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Homo ludens: Der Mensch ist ein Wesen, das spielt. Theater: es ist in unserem europäischen Horizont von Aischylos bis zu Albees „Winziger Alice” ein Spiel, in dem der Mensch darum ringt, immer mehr zu Wort zu kommen, gegen Götter, gegen Könige, gegen Tyrannen, gegen überstarke Mächte. Aul dem Theater nimmt der Mensch den Göttern die Maske ab, nimmt die Maske an sich. Hinter der attischen Tragödie steht das erste und letzte Spiel des Menschen: das Opfer des Menschen. Persona, die Maske des Schauspielers hat nichts mit personare, durchtönen, zu tun, sondern stammt von Pershu ab, von der etruskischen Todesgottheit. Die Römer trugen bei Begräbnissen die Persona, die Maske, die ihre Ahnen verkörperte. Eine sehr ernste Angelegenheit also, das Theater.

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Homo ludens: Der Mensch ist ein Wesen, das spielt. Theater: es ist in unserem europäischen Horizont von Aischylos bis zu Albees „Winziger Alice” ein Spiel, in dem der Mensch darum ringt, immer mehr zu Wort zu kommen, gegen Götter, gegen Könige, gegen Tyrannen, gegen überstarke Mächte. Aul dem Theater nimmt der Mensch den Göttern die Maske ab, nimmt die Maske an sich. Hinter der attischen Tragödie steht das erste und letzte Spiel des Menschen: das Opfer des Menschen. Persona, die Maske des Schauspielers hat nichts mit personare, durchtönen, zu tun, sondern stammt von Pershu ab, von der etruskischen Todesgottheit. Die Römer trugen bei Begräbnissen die Persona, die Maske, die ihre Ahnen verkörperte. Eine sehr ernste Angelegenheit also, das Theater.

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Das Theater wird nicht leichter in einer Zeit, in der tausendjährige Kulturen abrutschen Ins Nichts, wie Dachlawinen in den Schmutz der Straße, in einer Zeit, in der nur wenige Menschen mehr eine gemeinsame Sprache sprechen, ein gemeinsames ABC der Mitmenschlichkeit. In einer solchen Zeit kann sich der Schauspieler nur selber behaupten in der totalen Hingabe an seine Rolle, in der Einfoi-derumg des Publikums, sehen, verstehen zu lernen, was es durchaus nicht leicht versteht: das Ganz-anders-Sein des anderen, des nächsten, des fernsten Menschen.

Wir befinden uns mit diesen Andeutungen am Horizont des schöpferischen Lebenswerkes der Schauspielerin Annemarie Düringer. Dieses Berner Menschenkind hat sich in seinem Künstlerleben die höchste Leistung erkämpft: im steten Ringen um die Inkarnation, um die Fleischwerdung, um die Geistwerdung der Gestalten, die der Dichter sich einbildet, die der Regisseur aus-bildet, die der Darsteller zum Leben erweckt: auf der Bühne, die ihm jeden

Abend das Letzte abverlangt, wenn er diese Sache, die sich Theater nennt, ernst, ganz früher einmal sagte man heilig ernst nimmt.

Noch in den zartesten, noch in den zärtlichsten Gestaltungen, die Annemarie Düringer schuf, bebt ein Frnst, eine Strenge, die sich einbergen kann in die Süße einer sehnsüchtigen Frau, in die Traumseligkeit eines verliebten, süßen jungen Mädchens, in die pralle Komik einer Frau John. Dieser Ernst einer totalen Hingabe an die schöpferische Gestaltung einer Rolle ist die existentielle Basis, die es Annemarie Düringer ermöglicht hat, alle Rollen der Menschen zu spielen; die sie auf der Bühne unseres Lebens spielen, die liebende Frau und die Mörderin, die Glückselige und die Zerbrechende. Die Schauspielerin Annemarie Düringer ist durch Kontinente getrennt von Schauspielern, die nur sich selbst spielen, von Schauspielern, die nur „gute Mensch an” darstellen wollen. Jede Selbstverliebtheit ist ihr fremd, sie will sich nichts vermachen, sich selbst und andere nicht betrügen: die Mitspieler, das Publikum, den Autor. Eine ethische Nüchternheit beseelt — ich wage die Verbindung dieser beiden Lebenshaltungen, also „Nüchternheit” und ,3eseelung”, die meist weit voneinander getrennt in gegensätzlichen Menschentypen sich einhausen — die sitrahlkräftigen Gestaltungen von Annemarie Düringer die zunächst nur dies wollte: sich ausdrücken, selbständig etwas leisten.

Wien, Berlin, Hollywood. Weit weg von Bern führte sie ihr Lebensweg, führte die Straße ihres künstleri schen Aufstieges. Dies gehört zum Schicksal vorzüglich von schöpferischen Menschen in der Schweiz, in Österreich, daß sie in einem freiwilligen Exodus aus dem Vaterland, der Vaterstadt, dem Vaterhaus, in anderem Land sich auf das stärkste entfalten. So auch der Sohn eines Wiener Schneiders, der erst im Abend seines Lebens auch in Wien auf der Bühne zum arbeiten kam: Fritz Kortner, der als Regisseur für Annemarie Düringer zu einem ganz großen Erlebnis wurde. Direkt vom Reinhardtseminar weg engagierte 1949 Erhard Buschfoeck, ein Menschenleben lang der gute Geist des Burgtheaters, ein Mann von hoher künstlerischer Sensibilität, das Mädchen Annemarie ans Burgtheater für die Rolle der Schura in „Jegor Buly- tschoch und die Anderen” von Gorki. Das Theater ist in diesen frühen Nachkriegsjahren noch eine heile Welt. Das Mädchen Annemarie kommt in dieser ihrer ersten Epoche am Burgtheater 1949 bis 1954 in die gute Hut der Regisseure Gielen, Viertel, Felsenstein, Rott, sie kommt, in der Ronacher-Burg (das Burgtheater spielt damals im Variete Ronacher, das Haus am Ring ist durch den Krieg arg mitgenommen) in ein Ensemble, dem Werner Krauss, Aslan, Baiser, Skoda, Meinrad, Neugebauer, Oskar Werner, O. W. Fischer, die Dorsch, die Bleibtreu, die Eis, die Thimig, die Seidler angehören. Eine Arbeitsgemeinschaft von je vier bis sechs Generationen. Annemarie Düringer glaubt an die Heilskraft des Ensembles. Die da mit ihr spielen, auf der Bühne, müssen gute Partner sein. Annemarie Düringer entfaltet ihre künstlerische Persönlichkeit am stärksten in einem Raum, den sie mit ihren Partnern gestaltet: einen zunächst imaginären Raum, der sich im Spiel ausweitet und das Publikum umfängt. Das ist ihre Überzeugung. Faszination ist die Aufgabe des Theaters. Faszination, nicht als ein falscher Zauber, als Verführung des Publikums, Faszination als Ergriffenheit, Ergriffenheit bis zur Ekstase, zur Entrückung.

Diese wird realisiert, wenn es den Schauspielern gelingt, den imaginären Raum des Dichters auf der Bühne aufzubauen und ihn so weit zu machen, so hoch, so tief, daß er das Publikum ergreift, und aus Zuschauern Ergriffene macht. Die Leistung der Annemarie Düringer. Das Mädchen Annemarie spielt junge Mädchen im Burgtheater: die Recha in „Nathan der Weise”, die Eve im „Zerbrochenen Krug”, die Hermia im „Sommemachtstraum”, die Inken in Hauptmanns „Vor Sonnenuntergang”, die Marie in Wildgans’ „Armut”, die Sylvaine in Zuckmayers „Gesang im Feuerofen” die Abigail in Millers „Hexenjagd”.

Dann das, was manche die große Welt nennen: Filme in Deutschland, in Amerika. Später immer wieder Femsehspiele. Diese große Welt, die Filme und das Fernsehen, hat Annemarie Düringer nicht beschädigt, nicht in der Substanz versehrt, wie manche andere hochbegabte Schauspieler.

Die Achse Wien-Berlin wird entscheidend für den künstlerischen Prozeß, für die Entfaltung aller Ausdrucksmöglichkeiten der Annemarie Düringer. Sie spielt bei O. F. Schuh am Kurfürstendamm die La- vinia in „Trauer muß Elektra tragen”, später die Sara in „Fast ein Poet”. Ihre Gestaltung der Amalie in den „Räubern” in der Regie Kortners am Schülertheater wird vom Star der Berliner Kritik, Friedrich

Luft, als die beste schauspielersiche Leistung des Jahres gefeiert, bringt ihr enthusiastische Aufnahme durch das Berliner Publikum. Berlin und Wien sind zwei Kontinente. Wer sich, als Schauspieler, in diesen beiden Kontinenten behaupten kann, muß sich selbst das Höchste abverlangen. Berlin ist — ich erlaube mir diese Bemerkung als Wiener — eine eher weiche Stadt. Eine leicht sich öffnende, leicht empfängliche, leicht für Neues aufnahmebereite, unschwer sich begeisternde Stadt. Über diese Weichheit sollte der Berliner Witz nicht täuschen. Berlin läßt sich gerne erobern, das Berliner Publikum geht leicht mit.

Wien ist eine schwere Stadt. Eine harte Stadt. Nicht selten eine grausame Stadt: erbarmungslos gerade gegen seine schöpferischen Kinder. Das goldene Wiener Herz ist härter als Kruppstahl. Dazu kommt dies: während in Deutschland der Autor in der Inszenierung und für das Publikum das Primäre ist, konzentriert sich das Wiener Publikum in erbarmungsloser Härte auf den Schauspieler: und verwirft ihn,’ den großen Namen, wenn er, der Schauspieler, ihm nicht gefällt, als zu leicht erscheint, gewogen auf dieser Waage. Dieses Klima, ich wage es zu behaupten, dieses mörderische Klima tat dem Berner Menschenkind Annemarie Düringer in all dem Leid, das es ihm zufügte, ein letztes Gutes an: das Wiener Publikum und das Wiener Klima forderten ihr den letzten Einsatz ab.

Ausgesetzt den harten Winden Wiens, gestaltete Annemarie Düringer nach ihrer ersten Rückkehr ans Burgtheater, 1966, in der Regie von Lindtberg und Lothar im wiederher- gestelilten Haus am Ring die Rolle der Isabeüa in „Maß für Maß”, und der Rahel in Grillparzers „Jüdin aus Toledo”.

Endgültig kehrt Annemarie Düringer 1960 ans Burgtheater zurück. Haeussermann holt sie für die Rolle der Titania im „Sommemachtstraum”. Die außerordentliche Spannweite ihres künstlerischen Ausdrucksvermögens mögen hier einige wenige Rollen-Gestaltungen ansa- gen: das Fräulein Julie, die Porzia, die Viola, Shakespeare, Brecht, Schüler, französische Lustspielautoren, englische Dramatiker der Gegenwart, Albee also, und wieder Klassiker, Moliöre und Schüler und Grillparzer. Annemarie Düringer erarbeitet sich einen Raum, der von der Laura bis zur Frau John, von der Esther bis zur Lacrimosa in Raimunds „Bauer als Millionär” reicht. Sie arbeitet zusammen mit bedeutenden Regisseuren: Peter Hall Felsenstein, Steimfooeck, Wicki, bei Gastspielen an den Kammerspielen in München auch mit Schweikart, Everding und dem unvergeßlichen, in diesem Jahr verstorbenen Hor- witz.

Was bleibt? Eben dies: ein schöpferisches Lebenswerk, das dem deutschsprachigen Theater im Dritteljahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg eine Vertiefung des inneren Raumes grbracht hat: in streng- herzlicher Zusammenarbeit mit ihren Partnern, mit ihren Regisseuren, im Dienst am Werk des Dichters, hat Annemarie Düringer sich hingegeben an die Rolle, an die Rollen. Persona: personale Gestaltung, Fleischwerdung in einer Rolle. Große Schauspielkunst ist einfach dies: ein Opferdienst, ein unerhörtes Menschenopfer auf der Bühne vollbracht. Hinter dieser Opferleistung tritt, in Annemarie Düringer, in Hellstem, schmerz-wachen Bewußtsein, das eigene Leben zurück, die eigen- eigenste Person, in ihr letztes, unberührbares Geheimnis. Heraklit meint: Logos pais, die Gottheit ist ein spielend Kind. Ein göttlich Kind, das sich selbst vergißt, in seinem hohen Spiel, das Welten schafft. Ein Berner Menschenkind hat, bewußt sich selbst entsagend, in seinem Leben auf der Bühne — den Spielplan erweitert; wer Annemarie Düringer gesehen, erlebt hat in ihren großen Rallengestaltungen, erfährt: das Spiel des Menschen ist noch nicht verloren auf dieser kalten Erde.

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