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Zwischen Nüchternheit und Beseelung

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Kammerschauspielerin Annemarie Düringer: ihren Schweizer Landsleuten und Theaterfreunden eine ferne Märchenerscheinung, durchmaß sie doch nach ihrer Ausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in Wien eine so steile Bühnenlaufbahn, daß es — mit Ausnahme ihrer Mitwirkung an den Luzerner Festwochen als Recha neben Ernst Deutsch in einer Inszenierung von Horst Gneckow — nicht gelang, sie an eine Schweizer Bühne zu binden. Das Schillertheater, Berlin, die Kammerspiele München und das Wiener Burgtheater sind die drei großen Bühnen, an denen sie nach ihren eigenen Worten immer wieder das Seltene erfährt, die Menschen im dunkeln Raum aus ihrem Alltag herauszureißen und für eine Weile am Zügel zu führen, um sie beglückt zu sich selbst zu entlassen.

In der Laudatio bei der Ringverleihung im Stadttheater Bern, heißt es: „Der liebenswerten Frau, deren künstlerische Wirkungskraft aus Treue zu sich selbst erwächst“. Durch alle frohgemute Feststimmung klang doch der Ernst der Zeit hindurch, der in einem Mißverständnis alles zu entgeheimnissen sucht, die Masken im Theater herunterzureißen, wie es der Hausherr Doktor honoris causa Walter Oberer andeutete. Und darüber vergißt, was er bei Annemarie Düringer verwirklicht sieht, daß Kunst und Theater in besonderem Maße für das Volk ist, das „die Fortsetzung seines eigenen Lebens mit andern Mitteln sucht“ und darum in dieser „Tätigkeit eine künstlerisch gestaltete Funktion erblickt, die es erlaubt, und uns oft notwendigerweise auch dazu zwingt, das im Leben Geleistete zu überblicken, zu revidieren und neue Standorte zu suchen“.

Von dem Charakter war die Rede, den man sich im Theater schwer erhalten und noch schwerer erarbeiten könne, von der Einsamkeit und Verzweiflung, aus denen dann die Leistung erwächst. In den Augen von Friedrich Heer ist das Theater dazu da, daß die Gesellschaft sich zusammenspiele und immer mehr zu Wort komme. Hier wird das gemeinsame ABC der Mitmenschlichkeit gesprochen. Annemarie Düringer existentielle Basis erblickt er in ihrem Ernst, in einer Verantwortlichkeit, die es ihr unmöglich macht, den Fremden zu betrügen. Aus der Spannung zwischen Nüchternheit und Beseelung erwächst ihr die Kraft in der Ergriffenheit, das Publikum zu ergreifen. Das erheische einen ständigen Opferdienst, aus dem schmerzwachen Bewußtsein in der Selbstaufgabe zur Vertiefung des inneren Raumes vorzudringen. In der ihm eigenen Mischung aus Zweifel und Zuversicht klangen seine Ausführungen aus in die Erklärung: „Das Spiel des Menschen ist noch nicht verloren auf dieser kalten Erde.“ Eine Zuversicht, die sich auf die Anwesenden übertrug, aus dem von tiefem künstlerischen Ernst, mit dem Aimemarie Düringer in ihren Dankesworten von dem die Zeiten und alle Krisen, die sie als Zeichen unserer eigenen Unsicherheit versteht, überdauernden Auftrag der Schauspielkunst sprach.

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