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Mit schmerzlichem Genuß

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IM BANNE DES BTJRGTHEATERS. Von Ernst Haeusserman. Europa-Verlag, Wien-Frankfurt-Zürich. 175 Seiten, Preis S 87.30, — BRÜCKE ZU VIELEN UFERN: Wesen und Eigenart der österreichischen Literatur. Von Joseph Streiką Europa-Verlag 131 Seiten. Preis S 73.50.

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IM BANNE DES BTJRGTHEATERS. Von Ernst Haeusserman. Europa-Verlag, Wien-Frankfurt-Zürich. 175 Seiten, Preis S 87.30, — BRÜCKE ZU VIELEN UFERN: Wesen und Eigenart der österreichischen Literatur. Von Joseph Streiką Europa-Verlag 131 Seiten. Preis S 73.50.

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Burgtheaterdirektor Ernst Haeus- serman scheint mit diesen „Reden und Aufsätzen“ seine Abschiedsvorstellung einleiten zu wollen. Eine lange Abschiedsvorstellung — sie wird 2 Jahre dauern, um erst gegen Ende richtig zu beginnen. Kammerschauspieler Paul Hoffmann wird nämlich erst im September 1968 die Burgtheaterdirektion übernehmen. Bis dahin soll Österreichs Volk und Kultur sozusagen im Banne Haeus- sermans stehen. Der Zauber löst sich allerdings sehr rasch und wird zur Langeweile, wenn man dieses Buch zu lesen hat. Eine Vorbermerkung scheint allerdings noch nötig: Es geht hier weder um Emotionen gegen das Burgtheater noch um eine Polemik gegen die Person Professor Haeussermanis, sondern nur um ein nicht gerade untypisches Büchlein von ihm...

Schon die Frage, warum es überhaupt geschrieben wurde, ist für den mit der Materie Vertrauten ein unlösbares Problem. Ein bloßer Menschenkenner, um nicht zu sagen Psychologe, würde sich hier schon leichter tun — aber darum soll es ja nicht gehen. Fest -steht lediglich, daß man das auf 175 Seiten Gestreckte leicht auf 2 Druckseiten hätte sagen können. Dann wären es einige interessante Feststellungen gewesen. So aber mußte uns zuerst einmal Jacques Hannak in einer unkritischen, oft überschwänglichen Laudatio zeigen, wie Haeusserman „blinkt und schillert und leuchtet von so vielerlei Ecken und Seiten seines Wesens“, müssen wir uns aufklären lassen, daß Haeusserman, „wenn er im Parlament säße, der glänzendste Zwischenrufer“ wäre, „den es dort seit Menschengedenken gegeben hat“, obwohl, wenn man schon unbedingt von Menschengedenken reden will, das höchstens zum Seltsamsten gehört, was seit jenem Gedenken über einen Burgtheaterdirektor geschrieben worden ist. Dann noch der emphatische Aufschrei der beherzten Herausgeberseele: ich stelle ihn“, nämlich

Haeusserman, „weit über einen Herbert von Karajan“; schließlich erfahren wir noch, daß die Ärzte für ihn, Haeusserman, Interesse zeigen, daß er, Haeusserman, gerne im Parlament säße und daß es ihm, nämlich Haeusserman, einen häufig „schmerzlichen Genuß“ bereite, „daß sich die Öffentlichkeit mit ihm so viel beschäftigt“. Am End’ hat aber doch Ernst Haeusserman das lange Wort. Der schmerzliche Genuß, so viele Seiten lang im Mittelpunkt zu stehen, wird zur wahren Orgie. Es wird nicht viel gesagt, das aber mit Ausdauer und ununterbrochen. Die Würdigungen von Tressler, Lindt- berg, Mell, Wagner, Csokor und Reinhardt sind anscheinend nur Anlässe, um von sich zu reden — angeschnittene Themen (Die Generationsfrage, Ensemble, Umbesetzungen, Repertoire, Kritik, Situation des Burgtheaters) läßt Haeusserman unermüdlich Revue passieren. Er gibt dabei weder echte Informationen noch grundsätzliche Gedanken. Dabei hätte es für ein solches Buch nur diese zwei Möglichkeiten gegeben: entweder rein praktisch auf die spezifischen Probleme mit Daten und Fakten genau einzugehen oder theoretisch (ästhetisch oder kulturgeschichtlich) die „Besonderheit Burgtheater“ herauszuarbeiten. Das vorliegende Sammelsurium von Halbwahrheiten, Phrasen und Banalitäten in endlosen Wiederholungen breitzuwalzen, ist ebenso uninteressant wie schlecht, ganz und gar überflüssig. Seit Menschengedenken, wenn der Vorredner möchte...

Es ist erstaunlich, wie wenig ernstzunehmende Fachliteratur über Wesenszüge der österreichischen Dichtung vorhanden ist. Uber einige zwar glänzende, aber bewußt im kleinen Rahmen bleibende Essays von Leuten wie Polgar, Fridell, Hofmannsthal und andere hinaus, fehlt jede tiefere Zusammienisahau, gibt es keine Übersicht, die das rein Historistische hinter sich gelassen hätte. Joseph Streikas „Brücke zu vielen Ufern — Wesen und Eigenart der österreichischen Literatur“ ist schon deshalb ein erfreuliches Unternehmen, das Anerkennung verdient. Streiką versucht sein gewiß nicht einfaches Thema von verschiedenen Gesichtspunkten her in den Griff zu bekommen — vom philosophischen, vom psychologisch-soziologischen, historischen, ästhetischen und vor allem natürlich vom literatur- geschichtlichen Aspekt. In einigen Einzelinterpretationen wird die Methode vorexerziert. An Martin Josef Prandstetter (1750 bis 1798) zum Beispiel, dem „aufrechten Josephiner“,

oder an dem „österreichischen Proust“ Herman Grab, bei dem eine „Entdeckung“ schön langsam angebracht wäre; an Joseph Roth, der den Titel eines „österreichischen Erzählers“ im 20. Jahrhundert am ehesten verdienen würde, und Hermann Broch, über den der zur Zeit in den USA lehrende Autor schon mehrfach gearbeitet hat. Die sonst natürlich sehr divergierenden Schriftsteller eint nach Streiką „über alle Schranken hinweg“ jene „All- Liebe“, die das „hohe Ethos“ österreichischer Dichtung ausmacht. Das mag zwar etwas pathetisch klingen,

Streiką weist es jedoch bis zum Ironiker Musil und zum Satiriker Karl Kraus überzeugend nach — der Versuch mußte unvollkommen bleiben, die immense Bedeutung des Humors und Witzes zur Wesensbestimmung der österreichischen Literatur (mindestens vom Wiener Volkstheater bis zu Ernst Jandl) scheint nicht ganz richtig gewürdigt zu sein — trotz eines eigenen Kapitels. Das Unternehmen bleibt Fragment (der Autor wußte das sicherlich), aber das Fragment hat Bedeutung und soll zur Weiterarbeit animieren.

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