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Rundhorizont eines Theaterdirektors

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DIE BURG. Rundhoriiont eines Welttheater. Von Ernst Haeusserman. Mit 39 Farbtafeln und 200 Schwarzweißbildern. Hans-Deutsch-Verlar, Wien, 1964. 416 Seiten. Freia 460 S.

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DIE BURG. Rundhoriiont eines Welttheater. Von Ernst Haeusserman. Mit 39 Farbtafeln und 200 Schwarzweißbildern. Hans-Deutsch-Verlar, Wien, 1964. 416 Seiten. Freia 460 S.

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In der Geschichte der Zweiten Republik trat einmal der Fall ein, daß ein Regierungsmitglied seinen Ministersessel verlor, weil es noch während seiner Amtsperiode seine Memoiren veröffentlichte. Sollte sich der' gegenwärtige Burgtheaterdirektor dieser Tatsache nicht bewußt gewesen sein, als er vor einigen Wochen — sich seiner Tat noch dazu als einmalig rühmend! — den dickleibigen, großformatigen und pompösen Band „Die Burg, Rundhorizont eines Welttheaters“ herausbrachte? Die Frage wird um so dringlicher, weil es sich. bei diesem Buch nicht um den Rundhorizont eines Welttheaters, sondern um den Horizont seines gegenwärtigen Direktors handelt. Und der ist, bei aller Vorliebe des Autors für das Wort „wesentlich“, so verschwommen und eng, daß man fassungslos vor solch einem Konglomerat von Gemeinplätzen, Eigenlob und Tratsch steht, und man sich die Frage stellt, wo sind die vielen „Freunde“ geblieben, auf die sich der Autor auf beinahe jeder Seite beruft? Warum haben sie ihm nicht zum rechten Zeitpunkt gesagt, daß eine Publikation wie diese nicht zur Festigung seiner Position, sondern eher zu deren Schwächung beitragen könnte?

Wo immer man einige Seiten aufschlägt, alles ist ungenau, verwaschen, gespickt mit falschen Bezügen und Parallelen. Was in dem einen Satz behauptet wird, wird im nächsten wieder zurückgenommen; historische Tatsachen werden willkürlich ausgelegt und alles, alles wird auf den Autor rückbezogen.

Haeusserman behauptet, ein „Lernbuch des Burgtheaters“ vorzulegen. Nicht einmal dieser Anspruch ist erfüllt. Abgesehen davon, daß es kein Inhaltsverzeichnis gibt (es fehlt auch ein Aufbau), stützt sich der historische Teil lediglich auf Herterichs Burgtheaterbuch und den „Kulturfahrplan“. Der Rest besteht aus Memoiren, Gesprächen, Anekdoten (das einzige, was Haeusserman wirklich gut erzählen kann) und einigen bisher unzugänglichen Dokumenten,, die nur dem Direktor des. Burgtheaters zur Einsicht vorliegen.

Man weiß, daß dieses Buch viel zu rasch auf den Markt geworfen wurde, aber für schiefe und oberflächliche Informationen gibt es keine Entschuldigung. Wie kann es der Autor mit seinem „Burgtheaterherzen“ verantworten, wenn er etwa schreibt, „Figaros Hochzeit“ sei 1788 am Burgtheater uraufgeführt worden, während es 1786 war (dabei ist es gar nicht leicht, in diesem Buch Fehler zu entdecken, da kaum Tatsachen mitgeteilt werden); wie kann er behaupten, Schnitzlers „Professor Bernhardi“ sei „der einzige Beitrag der österreichischen Literatur zum Antisemitismus“ (Bruckners „Rassen“, Werf eis „Ja-kobowsky“, von Prosawerken gar nicht zu reden); wie kann er, weil es ihm ins Konzept paßt, die große Judenfreundlichkeit Amerikas rühmen (die Bezüge zu diesem Land werden beinahe grotesk hergestellt), wo nicht nur Millers „Brennpunkt“, der einem harten Stück Tatsache entspricht, den Gegenbeweis erbringt; wie kann er sein Buch unter den Primat des Menschen stellen und überhaupt nichts von der persönlichen und der Werktragik der Großen, etwa eines Mozart, eines Grillparzers, verlauten lassen; wie kann er verschweigen, wie sehr die Burgschauspieler unter dem Umzug ins neue Haus am Ring gelitten haben, das eine akustische Fatalität war; wie kann er der heutigen Boulevardpresse unterstellen, sie würde Joseph Schreyvogel, das große Vorbild aller Direktoren des Burgtheaters, sicher einen Manager nennen — womit sich der Schreiber indirekt den Platz neben diesem Mann einräumt. — Es sind herausgegriffene Beispiele.

Die Selbstbespiegelung des Autors bringt es mit sich, daß er auch über Institutionen und Menschen spricht, die nicht das geringste mit dem Burgtheater zu tun haben; das reicht von Schulkollegen und Stammtischfreundschaften bis zu seiner Sommerfrischewirtin, deren Tochter sogar mit des Direktors Hunden (!) im Bild aufscheint. Die Dinge, die ihn mit seinen Schauspielern und Mitarbeitern verbinden und zur Sprache kommen, reichen über die Tierliebe, Krawattenfetischismus, Hypochondrie bis zur gemeinsam besuchten Tanzschule Elmayer. Viel weiter leider nicht...

Einer der peinlichsten Punkte ist die Aufzählung der gegenwärtigen Burgschauspieler und Burgautoren;hier wird ein betrüblicher Tiefpunkt in bezug auf Taktgefühl und schiefe Rechtfertigungsversuche erreicht. Denn, das wurde noch nicht gesagt: der Autor spielt in seinem Buch die Rolle des Anklägers und Verteidigers und redet den Leser als „Hohes Gericht“ an. Er schreckt auch nicht vor irreführenden Verallgemeinerungen, willkürlichen Kritikerzitaten zurück und spricht von eindeutigen Erfolgen auch in Fällen, wo ihn die Tatsachen widerlegen („Publikum und Presse, sonst nicht immer einig, sind es im Fall Gobert durchaus“ — was keineswegs den Tatsachen entspricht!). Das „Pro-Austria-Pro-gramm“ steht nur auf dem Papier; zu kurz kommen Horvath, Schönherr, Chlumberg. Das Ganze schillert auf eine ungute Art durch die zahllosen Einblendungen aus dem privaten Bereich; es dürfte bestenfalls den Titel „Plaudereien eines Burgtheaterdirektors“ tragen, aber nicht vorgeben, im Interesse der „Wahrheitsfindung“ geschrieben worden zu sein.

Nicht zu vergessen: Der Versuch dieses Rechenschaftsberichtes dehnt sich natürlich auch auf sämtliche Nebenämter des Autors aus, unter besonderer Berücksichtigung seiner Salzburger Tätigkeit. Der Präsidentenposten einer Art „Austrian Council“ war bei der Niederschrift des Buches noch nicht spruchreif; ohne Zweifel ist Ernst Haeusserman ein hervorragender Werbefachmann — die Frage ist nur: für Österreich oder für sich selbst?

P. S.: Einer Pressenotiz war zu entnehmen, daß das Buch von einer großen deutschen Buchgemeinschaft in Massenauflage übernommen werden soll (Kontakte zum Verleger ergeben sich aus einer Salzburger Nebentätigkeit des Autors); damit würde uns nicht einmal die Hoffnung verbleiben, die Entgleisung unseres Burgtheaterdirektors wenigstens nur im eigenen Lande und in beschränktem Umfang verbreitet zu wissen. Und damit wird der Fall bedenklich. Nicht zuletzt auch im Hinblick auf die „Dienstordnung für die Mitglieder und Angestellten der Bundestheater“. (Verordnung des Bundesministers für Unterricht vom 25. Juni 1934 betreffend Einführung einer Dienstordnung bei den Bundestheatern.)

5. Den Mitgliedern und Angestellten ist es nicht gestattet, Mitteilungen zu veröffentlichen oder Auskünfte zu erteilen, die auf den inneren Dienstbetrieb Bezug haben oder geeignet sind, das Ansehen der Bundestheater, ihrer Mitglieder oder Angestellten herabzusetzen. Dies gilt insbesondere für die Veröffentlichung von Aufsätzen und Erklärungen, mögen sie mit oder ohne Namensfertigung erscheinen, durch die Presse und andere Druckwerke.

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