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Musica nova aus funf Landern

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Im Rahmen seines „Musica-nova-Zyklus“ veranstaltete der Österreichische Rundfunk, Studio Wien, während der ersten Aprilhälfte ein kleines Musikfest mit sieben Konzerten, die ausschließlich Ur- und Erstaufführungen brachten. Das von Hans Swarowsky geleitete Konzert begann recht vertrauenerweckend und gefällig mit „Sieben Studien über Themen von Paul Klee“ von dem 1925 in New York geborenen und in seiner 'Heimat als Dirigent, Musikpädagoge und Schriftsteller tätigen Gunther Schuller. Als Komponist beweist Schuller (allerdings keineswegs als erster!), wie unterhaltsam, farbig und leicht man auch mit Hilfe der neuen Techniken schreiben kann. Je knappe drei Minuten dauern die sieben kleinen Charakterstücke (Antik* Harmonien. Abstraktes Trio, Kleiner blauer Teufel, Die Zwitschermaschine. Arabische Stadt und Pastorale), die im ganzen weniger abstrakt — allerdings auch nicht immer ganz so poetisch — sind wie die betreffenden Bilder Klees.

Ernst Kreneks einsätziges, in vier Teile gegliedertes Konzert für zwei Klaviere und Orchester stammt aus dem Jahr 1951 und ist ein kraftvolles, höchst abwechslungsreiches, virtuos-effektvolles Bewegungsspiel, dem man nur ein wenig mehr Differenzierung in den Timbres, etwas weniger Robustheit und Härte im Harmonischen wünscht. (Ansgar Janke und Gernot Sieber, zwei noch recht junge Pianisten, blieben dem schwierigen Klavierpart nichts schuldig.)

Woran es gelegen haben mag, daß man von der letzten, im Todesjahr ihres Schöpfers uraufgeführten VIII. Symphonie von Karl Amadeus Hartmann einen so ungünstigen Eindruck empfing? Der erste, kürzere Teil des zweisätzigen Werkes (Cantilene) wird von dem darauf folgenden (Dithyrambe) völlig ausgelöscht. Hier dominiert alles das, was immer schon eine Gefahr in den Orehesterwerken Hartmanns war: das Übermaß an Lautstärke und Kontrapunkt, der zu dicke Satz, die minutenlang schmetternden und dröhnenden Blechbläser und anderes mehr. „Die dynamische Skala“, schrieb der Komponist in einer Spielanweisung zu dieser Partitur, „reicht vom fünffachen Piano bis zum fünffachen Forte.“ Von ersterem haben wir nichts gehört; was das letztere betrifft, so wären drei f genug gewesen. Der Gesamteindruck: ein lärmender Super-Reger (der übrigens auch ein Münchner war!). — Es pielte das Orchester des Österreichischen Rundfunks.

Bruno Maderna leitete ein Konzert der Wiener Symphoniker, das fast ausschließlich italienischen Komponisten gewidmet war. Gian Francesco Mali-piero, der bei uns viel zuwenig aufgeführte und bekannte ■ 82jährige Altmeister der italienischen Musik, versucht, wie man aus den Fünf Studien für Orchester schließen kann, mit der neuesten Entwicklung Schritt zu halten, was ihm freilich nur durch Preisgabe seiner so schätzenswerten Eigenart gelingt. So wirken die ersten drei Miniatursätze ein wenig gesichtslos, während im Lento der an frühitalienischen Vorbildern orientierte Lyrismus und im Finalsatz der barocke Kontrapunktiker schön und wohlklingend zur Geltung kommen.

Malipieros Schüler Bruno Maderna, ein Mann Her mittleren Generation, ist — äußerlich dem jungen Milhaud gleichend — ein gültiger Vertreter des mediterranen Typus: in seiner Fülle,Vitalität und Sensibilität. Sein Concert für Oboe d'amore (alternierend mit Oboe und Englischhorn) zeichnet sich durch äußerst zarte Farben des Begleitorchesters und einen überaus reichen, der „gebundenen“ Improvisation des Solisten Raum lassenden Part des konzertierenden Soloinstrumentes aus, das von dem jungen Lothar Faber aus Köln tonschön. virtuos und intelligent improvisierend geblasen wurde.

Luigi Nono, ebenfalls Schüler Malipieros und Bruno Maderna freundschaftlich verbunden, gehört zu den Starkomponisten der internationalen Festivals. Ebenso bekannt ist die demokratisch-humanitäre Tendenz seiner Vokalwerke, was ihn leider nicht davor bewahrt, als Künstler einem immer störenderen Manierismus zu verfallen. 'Der-erste Teil des Triptyehons „Centi di vita e d'amore“ — seinerseits wieder dreigeteilt — trägt den Titel „Sul ponte di Hiroshima“ und läßt, auf einen Text von Günther Anders — einen Uberlebenden die Opfer des größten Massenmords betrauern. Aber ist das noch Stoff für eine Kantate, ein Kunstwerk überhaupt? Muß, wer solches wagt, nicht zwangsläufig scheitern? Hierauf schildert, in Koloraturen voller abenteuerlicher Intervallsprünge (aber eben in Koloraturen), eine Frauenstimme mit den Worten der algerischen Dichterin Boupacha die selbst erlittenen Folterungen. Dann soll das Orchester in einem Epilog mit dem Titel „Tu“ uns dem Licht zu und in eine schönere Zukunft führen. Aber auch hier hören wir, wie im ersten Teil, nur eine Folge heftiger dynamischer Explosionen, die wie durch Kettenreaktionen ausgelöst scheinen und von einem zehn Mann starken Schlagwerkapparat, der mit vier Garnituren Röhrenglocken ausgestattet ist, produziert werden. (Ernst Haefliger und Haiina Lukomska waren die heldenhaften Solisten.)

Auch der Jugoslawe Milko Kelemen ist ein ganz „Moderner“. Aber in seinen aparten und phantasievollen „Equilibres für zwei Orchester“ beweist er nicht nur in der Anlage, sondern auch in der Durchführung Equiliber und Kunstverstand. Dem etwa zehn Minuten dauernden interessanten Werk fehlt es keineswegs an Originalität. Doch dient das große, hochdifferenzierte Orchester in erster Linie der Realisierung bestimmter klanglicher und poetischer Vorstellungen — worauf es ja in der Musik immer wieder ankommt.

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