6602494-1953_49_02.jpg
Digital In Arbeit

Wien lädt ein

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Wiener Orchester hat auf eine große Südamerika-Tournee mit etwa 40 Konzerten verzichtet, um bei den gleichzeitig stattfindenden Wiener Festwochen im Juni 1954 mitwirken zu können. Das Gastspielangebot war, wie man hört, besonders günstig und verlockend. Aber die Abwesenheit der Wiener Symphoniker in der kritischen Zeit hätte das Internationale Musikfest in Frage gestellt, das einen sehr wesentlichen Bestandteil der Festwochen bildet, und dessen schwierige Programme größtenteils von diesem Orchester exekutiert werden.

Soll man dieser versäumten Gelegenheit zur „Auslandswerbung“ nachtrauern — oder darf man sich über den Verzicht freuen?

Wir meinen, daß man das Orchester zu seiner Entscheidung beglückwünschen soll. Denn die Zeiten ändern sich, und mit ihnen auch die Art und Weise der wirksamsten Kulturwerbung.

In den vergangenen Jahren, bald nach 1945, waren nicht nur die Kunstschätze aus Oesterreich, sondern auch zahlreiche Ensembles im Ausland und hatten dort großen, ja allergrößten Erfolg. Man hat uns oft versichert, daß ein einziges Gastspiel der Philharmoniker oder der Wiener Staatsoper zuweilen mehr bewirkt habe als jahrelange Bemühungen der Diplomaten. Nun, das mag eine enthusiastische Uebertreibung sein. Denn wir leben nicht mehr in den Tagen des Orpheus, und ernste politische oder wirtschaftliche Differenzen werden nicht mit Gesang und Saitenspiel aus der Welt geschafft. Trotzdem soll man, was da für Oesterreich geleistet wurde, ohne Einschränkung dankbar anerkennen und gelten lassen. Zumal ja vielen Ausländern, die gern nach Wien gekommen wären, der Zugang in unsere Stadt so gut wie verwehrt war.

Inzwischen hat sich aber hier vieles zum Guten und Hocherfreulichen gewendet. Man kann, zumindest aus allen westlichen Ländern, wieder frei nach Wien einreisen. Diese neue Situation gilt es, zu erkennen und zu nützen. Während der ganzen Saison, das sind rund zehn Monate im Jahr, bietet Wien dem Besucher — immer noch! — Unvergleichliches. Besonders während der Wiener Festwochen gibt es eine solche Fülle von Theater- und Opernaufführungen, Konzerten und Ausstellungen aller Art, wie — im gleichen Zeitraum — an keinem andern Ort der Welt. Wir sagen das ohne schönrednerische Uebertreibung, auf Grund des Vergleiches von etwa einem Dutzend europäischer Festwochen- und Festspielprospekte. — Und das alles soll nur für die Wiener und die Besucher aus den Bundesländern sein? Das hieße sein Licht unter den Scheffel stellen!

Gewiß wird es sich immer wieder empfehlen, ein großes Ensemble zu Repräsentationszwecken ins Ausland zu entsenden. Aber im allgemeinen sollte die Parole künftig heißen:. „Wien lädt ein!“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung