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Politische Einigung

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Im Europarat und im Europäisdien Wirtschaftrat (OECE) — der früher oder später ihm angeschlossen Verden wird — sind die Instrumente der politischen Einigung gegeben. Sie stellen die Früchte jener jahrzehntelangen Arbeit dar, die von den Bewegungen Coudenhove-Ca-lergis, der parlamentarischen Union, der Föderalisten und anderen mehr unternommen wurde. Sie sind aber nicht nur das Ergebnis des guten Willens der Europäer. Heute gibt es fast keinen führenden Politiker im Westen, der nicht für eine Einigung Europas eintreten würde. Die Geschichte lehrt uns jedoch, daß die Einigung immer unter dem Druck einer föderierenden Macht zustande kam. Und auch in unserem Falle ist ihr Einfluß nicht zu verkennen.

Wir stehen im Kraftfeld zweier föderierender Mächte: der Vereinigten Staaten von Amerika und der Räteunion. Geopolitiker würden erklären, daß sich ihre föderierenden Kräfte etwa der Elbe-Triest-Linie entlang ausgleichen. Wir wollen uns darauf beschränken, festzustellen, daß die Einigung Europas sowohl im Osten wie im Westen angestrebt wird, mit dem Unterschied, daß man im Osten auf die Uniformität ein größeres Gewicht legt als im Westen, wo eher die Harmonie der Vielfalt das Ideal darstellt.

Die anziehendsten Züge der Einigungsbestrebungen in Westeuropa sind das Bestreben zum Ausgleich des föderierenden Einflusses und die Existenz zweier Auffassungen über die Zukunft des geeinigten Europas. Die einen wollen im geeinigten Westeuropa ein Provisorium erblicken auf dem Wege zum geeinten Gesamteuropa und aus ihm den Ruhepol der Welt schaffen. Entgegen dieser Neutralitätskonzeption hält die Auffassung der Atlantischen Gemeinschaft dieses Ideal wohl für wünschenswert, glaubt aber nicht an seine Verwirklichung.

Ein geeintes Westeuropa würde — mit seinen afrikanischen Besitzungen — eine Weltmacht darstellen. Seine 300 Millionen Einwohner bedeuten 150 Prozent der Bevölkerungszahl Rußlands und 200 Prozent jeher der USA. Sein Industriepotential — und auf lange Sicht auch sein Militärpotential — sind jenen Rußlands überlegen und stehen hinter den Vereinigten Staaten nur um weniges zurück. Die Existenz dieses Staatenblockes, der eine eigene und unabhängige Politik zu befolgen wüßte, wäre für die Sowjetunion eine Garantie gegen einen Angriff aus dem Westen. Für die USA vermöchte er einen wohlhabenden Wirtschaftspartner zu bilden, der die gleichen Ideale der Demokratie vertritt wie sie.

Die Vertreter der anderen Richtung weisen auf die Einstellung der kommunistischen Parteien gegenüber den Einigungsbestrebungen hin, als Beweis dafür, daß das geeinte Westeuropa so-wjetischerseits keinen „Geleitbrief“ erhoffen könnte. Die Einigung allein genügt nicht. Ohne Macht wird sie keinen Eindruck machen. Es gibt daher nur eine Lösung: die Atlantische Gemeinschaft. Pierre Billotte, der Frankreich im Generalstabskomitee der Vereinten Nationen vertreten .hatte, weiß in seinem Buche manches Argument zu nennen, um seine Theorie zu unterstützen. Und seine Worte wurden in Frankreich gut aufgenommen. Robert Schuman wünscht die Ergänzung des Atlantikpaktes. „L e Monde“ spricht von einer „atlantischen Kominform“.

Alle diese Vorschläge können im Gedanken einer atlantischen Föderation zusammengefaßt werden, bestehend aus den USA, Kanada und Westeuropa. Es wäre sogar möglich, Großbritannien und das Commonwealth als selbständigen Partner dieser Föderation anzuerkennen, was manche Schwierigkeit aus dem Wege schaffen würde. Denn das begreifliche Zögern Großbritanniens, seine Commonwealthinteressen den europäischen Problemen unterzuordnen, hat auf die Tätigkeit des Europarats eine unerfreuliche Auswirkung. Andererseits ist es unmöglich, „Westeuropa“ ohne Großbritannien zu schaffen. Im Falle einer „Atlantischen Föderation“ böte sich die Lösung von selbst. Gleichzeitig wäre das System der Föderation für alle Beteiligten eine Garantie gegen Übergriffe der Mächtigeren den Schwächeren gegenüber.

Im atlantischen Rahmen wäre auch das deutsche Problem leichter zu lösen als im westeuropäischen. Das militärische Problem könnte ebenfalls einer Lösung zugeführt werden, indem die gegenwärtigen Besatzungstruppen zum Kern des atlantischen Unionsheeres würden. Die wirtschaftlichen Vorteile liegen auf der Hand. So lauten die Worte der Vorkämpfer der „atlantischen Gemeinschaft“, die auch der Überzeugung sind, daß die amerikanische öffentliche Meinung einen Vorschlag zur Föderation günstig aufnehmen würde.

Diese Gedanken haben nur den einen Fehler, daß sie die eindeutige Stellungnahme Europas für den „American way of Iife“ zu fordern scheinen. Wenn man ein Zögern bemerkt, so nicht deshalb, weil etwa im Ideellen eine Meinungsverschiedenheit herrschen würde. Es ist jedoch so, daß die meisten europäischen Politiker den außenpolitischen Methoden der USA gegenüber ein wenn auch sorgfältig verborgenes Mißtrauen hegen und ihnen einen Stich ins Amateurhafte nicht absprechen wollen.

Das grundlegende Dilemma des Europäers im Gegensatz USA—Sowjetunion — welcher die bestehenden Gegensätze Europa—Sowjetunion und Europa—USA überschattet — wurde am besten von dem Schriftsteller Arthur Koestler zum Ausdruck gebracht. „Für uns heißt es nicht zwischen Weiß und Schwarz zu wählen“ — sagte er vor einigen Jahren einer amerikanischen Zuhörerschaft —, „denn ihr seid für uns nicht Weiß, sondern Grau; immerhin fühlen wir mehr Verwandtschaft zum Grau als zum Schwarzen.“

Es wäre aber wohl noch verfrüht, diesem Dilemma eine zu große Bedeutung beizumessen. Vorerst muß Europa geeinigt werden. Es wird dann die Aufgabe der gewählten Vertreter der europäischen Völker sein, eine Entscheidung zu treffen. Und wir dürfen auf das Genie Europas vertrauen, daß es den riditigen Weg finden wird.

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