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Die Organisierung des Westens

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Die Notwendigkeit der Organisierung des Westens wurde im Moment klar, als man sich darüber Rechnung geben mußte, daß die Meinungsverschiedenheiten mit dem Osten längere Ze;t andauern dürften. Das Entstehen verschiedener regionaler Gruppen, wie zum Beispiel jener der Signatarmächte des Brüsseler Abkommens, konnte noch auf die Charta der Vereinten Nationen zurückgeführt werden. Unverkennbar war es aber, daß die anderen Organe ihre Rechtfertigung nicht mehr ausschließlich in diesem Dokument finden konnten. Auf amerikanische Initiative wurden Marshall-Plan und der Europäische Wirtschaftsrat (OECE) ins Leben gerufen, und ihnen entsprangen die regionalen Wirtschaftsverbände, wie die Uniscan, welche Großbritannien und die skandinavischen Länder zusammenfaßt, oder die Finebel, welche die Benelux mit Frankreich und Italien verbindet. Der Initiative der verschiedenen Vereinigungen für ein geeintes Europa ist die Schaffung des Europarats zuzuschreiben. Wieder auf amerikanische Initiative hin ist der Atlantikpakt unterzeichnet worden. Die Vielfältigkeit dieser Organisationen zeigt es unmißverständlich, daß die Bestrebungen zur notwendigen Organisierung des Westens bei weitem nicht so einheitlich sind, als es wünschenswert wäre.

Es stehen sich nicht nur verschiedene Auffassungen, sondern auch verschiedene Zielsetzungen gegenüber. Die wirtschaftliche, die politische und die militärische. Dementsprechend wechselt auch der Rahmen und wird bald europäisch, bald aber atlantisch. Der „atlantische“ Begriff war bis vor kurzem den militärischen Vorhaben vorbehalten. Seit der ehemalige französische General Pierre Billotte sein, Werk „Die Stunde der Wahl“ veröffentlicht hat und der französische Außenminister auf der Sitzung des Nationalausschusses der MRP den Wunsch äußerte, daß man den negativ-militärischen Charakter des Atlantikpaktes durch einen positiv-politischen ergänze, scheint eine „Atlantische Gemeinschaft“ im Werden begriffen zu sein.

Die wirtschaftliche Einigung Westeuropas

Ursprünglich Durchführungsinstanz des Marshall-Plans, wurde der Europäische Wirtschaftsrat allmählich zu einer Organisation für die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Seit dem Entstehen des Europarats ist diese Eigenschaft der OECE nur betonter geworden. Die Volkswirtschaftler hoffen, daß die Einigung des Westens auf diesem Gebiet am ehesteh vollzogen werden wird. Sie erklären, daß diese Einigung durch die Großraumwirtschaft gefordert weriie. Der westeuropäische Wirtschaftsraum, zusammen mit den ergänzenden afrikanischen Gebieten, stelle einen gesunden Körper dar, der heutige Zustand ein Absurdum.

Selbstverständlich ist es nicht leicht, diese Union herbeizuführen. Manche Staaten beharren bei einer sozialistischen Planwirtschaft, andere vertreten den wirtschaftlichen Liberalismus. In Frankreich — das bei dem einen begonnen hat, um heute fast beim anderen anzulangen — glauben die Experten, daß eine Synthese nicht allzu schwer herbeizuführen sei. Die national gelenkten Wirtschaften müßten in einer einzigen europäisch gelenkten Wirtschaft aufgehen, In der die private Initiative der einzelnen Wirtschaftstreibenden genügenden Raum finden würde. Diese europäische Wirtschaft müßte naturgemäß ein einheitliches Währungssystem besitzen, das nach dem Vorbild des amerikanischen „Federal Reserve System“ aufgebaut werden könnte.

Der Egoismus der Wirtschaftskreise hat versdiiedenen Einigungsbestrebungen immer wieder schwere Hindernisse ge-• stellt. Es ist anzunehmen, daß er bei einem so großzügigen Projekt wie der Schaffung eines einzigen westeuropäischen Wirtschaftsraumes vervielfacht auftreten würde. Tatsächlich wäre diese Einigung unvorstellbar, ohne daß einige Betriebe, deren Existenz dann wirtschaftlich nicht gerechtfertigt werden kann, sich umstellen.

Aber die Erkenntnis, daß hier die letzte Chance der europäischen Wiederaufrichtung liegt, bricht sich Bahn. Der Vorschlag Schumans, die Stahl- und Kohlengewinnung Frankreichs und Deutschlands in einer einheitlichen Organisation zusammenzufassen, an der auch alle anderen europäischen Länder teilnehmen können, der einstimmige Beschluß der westdeutschen Regierung, am Europarat teilzunehmen, erweisen, daß das Stadium der tastenden Versuche zu Ende geht. Der Diskussion folgt beiderseits ein mutiger Schritt über den trennenden Graben. Eine ernsthafte deutsch-französische Verständigung über die Mitte und den Westen des Kontinents zu verbreitern, ist kein utopisches Ziel. Ob sie die maritime und mondiale Rückendeckung Großbritanniens erhält, ist der Erkenntnis der britischen Staatsmänner anheimgegeben, daß alle Opfer, die England im letzten Kriege gebracht hat, vergeblich wären, wenn es sich nicht zu einer konstruktiven Mitwirkung beim Aufbau der europäischen Wirtschaftseinheit entschließt.

Die wirtschaftliche Einigung ist Wegbereiter der politischen.

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