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Die Tage der „Ordonnanzen“

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Mit seinen einschneidenden Währungsmaßnahmen hat eine neue Phase des Regimes de Gaulle begonnen. Die bisherige erste Phase beschränkte sich in der Hauptsache auf Proklamationen und auf die juristisch-verfassungsmäßige Vorbereitung der Zukunft. Daneben hatte ein 'Sturzbach von „Ordonnanzen“ (so heißen die der Billigung des Parlamentes nicht unterliegenden Gesetze) in einer Unzahl von Einzelfällen die überalterte Verwaltungsmaschinerie des Landes neuen Gegebenheiten angepaßt — Maßnahmen, die bisher durch die schwerfälligen Legislationsprozeduren blockiert worden waren. (Wir werden auf diese „Ordonnanzen“ noch zurückkommen, sobald der vorgesehene letzte Schub vor der Installation des Ministerpräsidenten Debrė erfolgt ist.) Wirklich tief in die Struktur Frankreichs eingreifende Maßnahmen fanden sich bisher nicht darunter.

Mit den Währungsmaßnahmen ist das anders: dieser Schnitt geht tief. Und wenn die Engländer auch mit ihrem Ueberrumpelungsmanöver die französische Regierung zu einer Aktion genötigt haben, die erst für später geplant war, so muß man dem Kabinett de Gaulle doch aufs Konto schreiben, daß es, einmal zum Sprung genötigt, sich nicht mit halben Maßnahmen begnügt hat. Insbesondere der Umfang der Liberalisierungsquote war für Frankreichs Partner eine freudige Ueberraschung und hätte wohl durch einen französischen Regierungschef von geringerer Autorität gar nicht durchgesetzt werden können. Welche Folgen der Schnitt haben wird, wagt allerdings noch kaum jemand vorauszusagen. Er könnte das Signal zum Aufstieg Frankreichs in den Rang einer der stärksten europäischen Wirtschaftsmächte sein. Es ist aber auch möglich, daß die Maßnahmen des Jahresendes nur ein bald wieder illusorisch werdender Aufschub sind. Wohin der Weg geht, hängt nämlich in starkem Ausmaß von irrationalen Faktoren ab, die sich nur schwer in rationale Planungen einbeziehen lassen.

In einem von protestantischer Gemeinschaftsethik durch äuerten Lande wie England ist eine Austerity-Politik kein Vabanquespiel. In Frankreich jedoch, wo der Bürger seit Generationen gewohnt ist, im Staat nur den Feind zu sehen, ist das anders. Hier hängt nun wirklich sehr viel davon ab, ob es dem General de Gaulle gelungen ist, seinen Landsleuten in den sieben ersten Regierungsmonaten einen neuen Gemein1 schaftssinn einzuimpfen. Der Erfolg der Währungsoperation hängt weitgehend von dreierle' ab: erstens davon, ob die einzelnen IVirtschafts-

gruppen der Verlockung widerstehen, die Preise in unverantwortlicher Weise hochschnellen zu lassen; zweitens davon, ob die Fluchtkapitalien in genügendem Ausmaß aus dem Ausland und dem Goldstrumpf in den Blutkreislauf der französischen Wirtschaft zurückkehren; und drittens davon, ob gewisse bevorzugte Schichten (damit sind keineswegs die paar Millionäre und die Großbetriebe gemeint, sondern die zahllosen mittleren und kleineren Unternehmungen) bereit sind, ihren Teil an den Opfern mitzutragen.

Die französischen Währungsmaßnahmen mußten so überstürzt durchgeführt werden, daß zwei wesentliche Begleitaktionen unterlassen werden mußten. Zunächst einmal wurden die „autonomen Republiken“ im Schwarzen Afrika nicht konsultiert, desgleichen nicht selbständige Mitglieder der Franczone, wie Marokko. Das hat nicht gerade ein günstiges Klima für die bevorstehende Organisation der „Communaute“ geschaffen. Weiter war es in der Eile nicht möglich, die Währungsoperationen mit jener überfälligen Reform der monströsen Steuergesetzgebung zu koppeln, die wohl auch nur ein de Gaulle dem Lande aufzwingen könnte. Es ist ein offenes Geheimnis, daß bloß die kleinen

Lohnempfänger und die großen Betriebe, die beide nicht schwindeln können, in Frankreich steuerlich wirksam erfaßt sind. Dazwischen jedoch, von den Bäckern und Metzgern bis zu den kleineren industriellen Betrieben, ist Steuerhinterziehung größten Ausmaßes Hausbrauch. Daß nun auf Luxusjachten und Landsitze Sondersteuern eingeführt wurden, dürfte also kaum genügen, um den „kleinen Mann“ von der Meinung abzubringen, er müsse den Hauptteil der Last tragen.

Hier aber könnte eine gefährliche Entwicklung für das gaullistische Regime einsetzen. Claude B o u r d e t hat festgestellt, daß de Gaulle nach dem Nimbus des „Mannes, der den Algerienkrieg beendet“, nun am Jahresende auch den Nimbus des „sozialen Generals" nicht mehr hat. Es kann mit dem besten Willen nicht bestritten werden, daß in dem Lande, das de Gaulle nicht an die Macht geholt hat, damit alles so wie bisher bleibe, in den letzten 14 Tagen ein bedenklicher Prozeß der Desillusionierung eingesetzt hat. Das wird nicht nur darin sichtbar, daß die Sozialisten zur Abwanderung in die Opposition gezwungen sind, wenn sie nicht Großteile ihrer Klientel an den Kommunismus verlieren wollen. (Die Verdrängung der Kommunisten aus dem Parlament scheint auf diese als eine Art von Jungbrunnen gewirkt zu haben.) Aufschlußreicher noch ist, was nun mit Verspätung durchgesickert ist: daß nämlich der klügste Gaullist, Soustelle, sich verzweifelt gegen die Währungsmaßnahmen des Trios Pinay- Baumgartner-Rueff gewehrt hat. Es konnte ihm nicht verborgen bleiben, daß der „zweite Gaullismus“ seine Entscheidungsschlacht an der sozialen Front zu schlagen haben wird.

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