Es sollte sein Hauptwerk werden, ein gewaltiger Zyklus historischer Interpretation. Nun ist „Der tote Preuße“ da, aber Ernst von Salomon starb kurz nach Beendigung, .des “Manuskripts, im Dezember 1972, . U.'JIn Frankreich wird Ernst von Salomon längst zu den Klassikern der modernen Literatur gerechnet. In Deutschland hat er seinen Platz heute noch nicht gefunden; auch nach seinem Tod irrt er irgendwo im Niemandsland zwischen Literatur, Politik und Kolportage („Die schöne Wilhelmine“) umher.Das wird wohl nicht so bleiben. Aus Distanz wird er vermutlich einen Platz neben Fallada,
Frankreich hat die Anarcho-Revolte nur zögernd mitgemacht. Zwar kommen viele ihrer Keime aus französischem Boden, und die „Situationistische Internationale“ — die geistig respektabelste revolutionäre Gruppe, fern vom Vulgärmarxismus der andern — ist in ihren besten Produkten (Guy Debord, Raoul Van-eigem) ein französisches Gewächs. Außerdem waren die Barrikaden vom Mai 1968 ja ein ganz respektables Bukett. Das alles ändert nichts daran, daß Frankreich nie so mitgemacht hat, wie man zwischen Berkeley und Berlin mitmachte. Ein noch vorhandener Fundus an politischer Vernunft, auch eine Portion guten Geschmacks wirkten bremsend. Ähnlich war es ja mit der industriellen Zivilisation, gegen welche sich die Revolte wendet: Die Grundlagen zu ihr wurden in Frankreich gelegt, durchgeführt haben sie andere Länder.
Konservativsein scheint allmählich Mode zu werden. Die linken Themen sind bis in ihre feinsten Verästelungen durchgespielt, und es bleibt für die Dinke bloß noch die Überlegung übrig, ob sie das, was sie geistig ausgebrütet hat, nun auch zu verwirklichen suchen soll. Aber zu entdecken gibt es für sie nichts mehr — der Mensch ist für sie von sozialem und physischem Status her endgültig festgelegt; das schwache Fünklein von „Prinzip Hoffnung“ als Zucker drüber ändert daran auch nichts mehr. Das Lied ist ausgeleiert (auch wenn es noch gefährlich werden kann). Zu den Symptomen,
Eine Schwalbe macht bekanntlich nodi keinen Sommer, und eine zweite auch noch nicht. Von der dritten an beginnt man sich zu fragen, ob der Vogelzug sich gewendet hat. In den letziten Wochen und Monaten sind in der deutschen Presse Artikel aufgetaucht, die alle ungefähr den gleichen Inhalt haben: „Warum eigentlich nicht konservativ?" Wenn ein Günther Zehm in der „Welt" über eine Neu’besinnung auf das viel geschmähte „Konservative" meditiert, so kann man das Immer noch damit abtun, daß die Springer-Presse ein Minderheitsphänomen ist und darum nicht t^isch sei. Schreibt ein Dolf
Als ich einem unserer klügsten Kommentatoren sagte, daß ich über Sex und Politik schreiben wolle, warf er hin: „Wieso denn, das ist doch das gleiche...“ Nun, er liebt die Abkürzungen. Hier müssen wir doch noch etwas eingehender von dem Zusammenhang zwischen der Sexwelle und der Politik sprechen. Die Sexwelle hat inzwischen jeder zur Kenntnis genommen. Man kann die Augen wirklich nicht vor ihr schließen — daran hindert uns schon die Plakatsäule an der nächsten Straßenecke. So beschäftigt man sich denn auch mit dieser Welle in allen Tonarten. Seltsamerweise fragen sich aber die wenigsten, was dieser Tabu-Dammbruch politisch bedeutet. Daß er mit der Politik zu tun hat — darauf sollte eigentlich schon der zeitliche Ablauf hinweisen. Die Sexwelle läuft nämlich parallel mit dem Ausverkauf des bisher angesammelten politischen Potentials. Und da die Sexwelle ein Phänomen der gesamten westlichen Welt ist, muß man sagen, sie läuft parallel mit dem politischen Unsicherwerden des Westens.
Es kommt vor, daß man in den Zeitungen Dinge liest, deren Ungeheuerlichkeit einem erst hinterher zu Bewußtsein kommt. Das liegt' daran, daß man den Ton gewohnt ist — bloß die Dosierung ist etwas zu stark: Man spürt die Absicht, und man wird verstimmt. So ging es uns kürzlich beim Uberfliegen der Titelseite der „Zeit“. Unter dem Titel „Buhlen um das Publikum“ wurden dort die Bemühungen einer
Der neue Wiener Roman: Heimito von Doderer und Albert Paris GüterslohSeit dein Tode von Hans Henny Jahnn und Wolf von Niebel-schütz hat sich der Schwerpunkt des deutschen Romans eindeutig nach Wien verlagert. Nur hier, im Umkreis von Heimito von Doderer, wird der Roman in seinem eigentlichen Sinne noch bewußt gepflegt — und das heißt: geschrieben und theoretisch erforscht. Gewiß gibt es auch diesseits der Salzach noch Erzähler von Rang. Aber eben Erzähler, nicht Romanciers. Gerd Gaiser ist ein Meister der Verdichtung komplexer Situationen in geschlossene Bilder, etwa in „Das Schiff
Die französische Rechte ist in den letzten Jahren mehr und mehr in die Rolle eines universalen Sündenbockes geschlittert. Für die „progressiven“ Kräfte auf der ganzen Welt ist sie eine Art von Statthalter des im Orkus verschwundenen Hitler auf Erden geworden: eine Verkörperung der finstersten, menschenversklavenden Reaktion. Bloß den diabolischen Glanz, der bisher dieser Rolle anhaftete, hat man ihr geraubt und ihr dafür den Stempel der Stupidität aufgeprägt. Es war Guy Mollet, der im Kleinen so listenreiche Boß der französischen Mehrheitssozialisten, der das Stichwort gab, als
Der Morvan ist eine der eigenartigsten Landschaften Frankreichs. Im herberen, nördlichen Teil von Burgund gelegen, von der Basilika von Vėzelay bis zu der von Autun sich erstreckend, gehen ihr die Effekte bekannterer Teile von Frankreich ab. Jeder steile Aufschwung, jeder jähe Abbruch fehlen in dieser gleichmäßigen Kette von sanft geschwungenen Hügeln, auf deren Kuppen stetig sich entvölkernde Weiler und Städtchen liegen. An einem der entlegensten Flecken dieser Landschaft von hintergründiger Intensität liegt eines der wenigen kulturellen Zentren der französischen Provinz, das sich
Die Geschichte der französischen Rechten ist eine Geschichte unaufhörlicher Spaltungen. Unter diesem Gesetz stehen schon ihre Anfänge als Phänomen der modernen Politik — Anfänge, die ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts fallen. Damals begann auf dem rechten Flügel der fran- rösischen Politik sich die Erkenntnis lurchzusetzen, daß man nicht einfach lie Zustände vor der großen Revolu- ion wiederherstellen könne. Und es begann ein neuer Impuls diesen Flügel m beleben: Damals wanderte der Na- :ionalismus, der seit 1789 eine Sache ler Linken gewesen war, zur Rechten linüber;
Endlich beginnt man in dem Spiel um Algerien einigermaßen klar zu sehen. Gewiß hat noch keiner der Partner seine Karten ganz aufgedeckt. Man wird noch eine Unzahl von Finten, Propagandaaktionen und „Intoxikationen” über sich ergehen lassen müssen. Aber die ersten Karten liegen nun auf dem Tisch, und man kann an ihnen ablesen, was sich die Spieler zumindest als taktisches Nahziel gesetzt haben. Das strategische Fernziel braucht nicht genau in der Verlängerung dieser Linie zu liegen; es kann aber auch nicht genau in der entgegengesetzten Richtung liegen...Die Ausgangslage ist bekannt.
offizielle Vorschläge auszuarbeiten; an dem Konzil liegt es, die Beschlüsse zu fassen. Der Gedanke des Papstes scheint also dieser zu sein: Die Vorbereitenden Kommissionen sollen die Diskussionsvorlagen schaffen, dann will der Papst die Reaktionen des versammelten Episkopats prüfen. Falls diese der Vorlage günstig sind, kann das Konzil kurz dauern. Falls sich aber eine bedeutende Opposition unter den am Konzil teilnehmenden Bischöfen zeigen sollte, so wird dieser Gelegenheit gegeben werden, auf die weiteren Beratungen Einfluß zu nehmen. Dann allerdings wird das Konzil viel länger
Der französische Staatscher, General de Gaulle, wurde vor seinem eben beendeten Algerienbesuch von vielen Seiten vor diesem gewarnt. Die blutigen Unruhen in Algerien während seines Aufenthaltes scheinen diesen Stimmen recht zu geben. Hier ist aber auch eine andere Seite zu sehen — und in ihre Abgründe fuhrt der folgende Artikel ein. General de Gaulle wollte sich bewußt in Algerien seinen gefährlichsten Feinden stellen, jenen Algerier-Franzosen, die gegen jede Autonomie Algeriens sind. Durch sein Erscheinen, seinen Mut, mit der er ihnen entgegentrat, hat er sich, seiner Überzeugung
Welche Veränderung hat sich im politischen Klima Frankreichs vom Herbst 1958 bis zu diesem Herbst vollzogen! Damals, vor zwei Jahren, hatte der drohende Aufmarsch in Bürgerkriegsstellungen aufgehört, das Land schien seine Einheit wiedergefunden zu haben, und in der Welt hatte Frankreich einen Rang zurückgewonnen, den es zwei Jahrzehnte lang nicht mehr gekannt hatte. Heute marschieren die Rechte und die Linke wieder in die Bürgerkriegsstellungen ein, die Mitte verödet, im Ausland ist Frankreich wieder zum schwarzen Schaf für seine Verbündeten und zur schwachen Stelle der Allianz
Wenn zu Beginn des Herbstes der Jeanson-Prozeß so überstürzt und schlecht vorbereitet über die Pariser Szene ging, so hatte das seinen politischen Grund: er sollte das Gegengewicht zu dem Prozeß bilden, der diesen Donnerstag im Pariser Justizpalast beginnt — gegen den „Prozeß der Barrikaden“ (vom Jännerputsch dieses Jahres .in Algier), den man um des bekanntesten Angeklagten willen auch den „Lagaillarde-Prozeß“ nennt. Das gaullistische Regime brauchte einen solchen Ausweis, daß es gegen die äußerste Linke hart zuschlägt. Der Lagaillarde-Prozeß ist nämlich für die
Daß mit dem Deutschenhaß in Frankreich nicht mehr viel in Bewegung zu setzen ist, weiß jeder, der in Frankreich lebt. Während des zweiten Weltkriegs haben, im Gegensatz zum ersten, Tausende von Franzosen Tausende von Deutschen kennengelernt. Und das hat, bei allem, was geschehen ist, doch allzu summarische Urteile, wie sie drei Jahrzehnte früher üblich waren, unmöglich gemacht. Man hat gemerkt, daß es auch jenseits des Rheins „solche und solche“ gibt.Dieser Stand der Dinge wird nun aber einer Probe ausgesetzt, der die unmittelbar Beteiligten auf französischer und deutscher Seite
Seit vor sechs Jahren der Algerienkrieg ausgebrochen ist, stehen dem Franzosen drei Verhaltensweisen gegenüber diesem Krieg und seinen bekannten, von beiden Lagern begangenen Unmenschlichkeiten offen. Die simpelste und im Ausland am wenigsten überzeugende, bei der Struktur des französischen Geistes im Lande selbst aber immer noch wirksame Haltung ist die „juristische“ : Algerien sei nach der Verfassung ein Bestandteil Frankreichs; das verbiete dem Ausland jegliche Einmischung wie auch jeder französischen Exekutive das Preisgeben dieses Territoriums. Nach dieser Argumentation ist Recht
Das Wort vom deutsch-französischen Gespräch ist heute eine sehr geläufige Floskel. Auf den ersten Blick scheint sie auch der Realität zu entsprechen: Es werden am laufenden Band Tagungen und Gespräche mit Partnern aus beiden Ländern abgehalten, es gibt Zeitschriften und Institute, die allein diesem Austausch gewidmet sind, kurzum: An Betrieb fehlt es nicht. Schaut man jedoch genauer hin, so entdeckt man einen seltsamen Widerspruch. Im Politischen, Wirtschaftlichen, Sozialen ist der Kontakt besser als je in den letzten hundert Jahren; die Wunden des letzten Krieges sind ziemlich vernarbt,
Im Sozialkörper Frankreichs ist heute die Armee zweifellos die ausschlaggebende organisierte Kraft, und daran wird sich kaum etwas ändern, solange der Algerienkrieg nicht ein Ende gefunden hat. Es wäre jedoch falsch, sich die Armee als monolithischen Block vorzustellen. Nicht einmal das Korps der Berufsoffiziere, die militärsch das Rückgrat der Armee bilden, ist politisch eine Einheit. Und vieles, was die Armee in den letzten Monaten tat — oder, weit wichtiger, nicht tat —, ist aus der Sorge zu erklären, ihre Einheit nicht auf die Probe zu stellen und so vielleicht ihre
Was ist mit dem längst in die französische Alltagssprache eingegangenen Wort „Gorilla“ gemeint? Es wurde keineswegs von einem entrüsteten Antikommunisten als Schimpfwort verwendet. Vielmehr bezeichnet es einen Beruf, nämlich den eines Geheimpolizisten. Man muß ihn sich mit mächtigem Brustkasten, Schultern wie ein Kleiderschrank und bedrohlich hängenden Armen vorstellen. Trotz der zentnerschweren Muskelpakete zeichnet er sich durch bedächtige Überlegtheit aus und kann sogar eher als jovial charakterisiert werden, sofern er nicht gerade jemanden zu Brei verarbeitet. Woher wir das
In den letzten zwei Jahren hielt man sich in der französischen Politik, von einigen extremen Gruppierungen abgesehen, an die Regel, daß das Algerienproblem „eine Angelegenheit des Generals de Gaulle“ sei. Man erwartete von dem mit der größten Machtvollkommenheit seit Napoleon ausgestatteten Franzosen, daß er so oder so dieses Problem lösen werde. Er hatte das bis vor kurzem nicht getan, und so mehrte sich denn wieder das Auftreten von Gruppen, die ihrerseits etwas für die Lösung dieses erstickend auf Frankreich lastenden Problems tun wollen.Auffällig ist dabei das Bestreben, die
Es gibt eine Garantie dafür, daß das Regiment de Gaulle noch dauern kann, obwohl das, was Voraussetzung dieses Experimentes war — die in Aussicht gestellte Beendigung des Algerienkrieges durch de Gaulle —, nicht eingetroffen ist. Diese Garantie besteht darin, daß eine erhebliche Opposition zwar vorhanden, aber vorerst politisch kaum manövrierfähig ist.Beim umfänglichsten Teil dieser Opposition ist das eine Manövrierunfähigkeit, die sich aus der von Grund auf passiven Natur dieser Opposition ergibt: Es sind die Massen, die zu Beginn der Fünften Republik kurz aus ihrem politischen
An den Pariser Hauswänden kann man einiges über Politik lernen — wenigstens darüber, wie man mit einem Mindestaufwand an Worten schlagkräftige politische Propaganda macht. Seit einigen Wochen steht dort überall, teils von Hand hingekritzelt, teils auf gedruckten Klebezetteln, das Wort „Budapest“ zu lesen. Und plötzlich nimmt sich in den Augen des Franzosen, der bis dahin einfach stolz auf den Besuch des „röten Zaren“ bei seinem Staatschef war, die von dem Treffen erhoffte „Entspannung“ in anderem Lichte aus.Der Mann, der propagandistisch so simpel — und deswegen so
Was ist das Endergebnis dieser mit so viel Spektakel angekündigten und auch durchgeführten Reise des „roten Zaren“ durch Frankreich? In der „großen Politik“ wird sie keine Folgen von Belang haben: weder an der französischen noch an der russischen Politik wird sich etwas Wesentliches ändern. Das wurde spätestens an dem Tag sichtbar, als der Dickschädel de Gaulle die antideutsche Brandrede des Dickschädels Chruschtschow in Reims auf seine Weise beantwortete — nämlich mit einem Angebot von Basen und Depots an die Bundeswehr. Man hatte es aber schon vorher daran erkennen
Seit seiner Rückkehr an die Macht steht de Gaulle vor dem gleichen Dilemma: will er Frankreich jene Stellung in der Welt zurückgewinnen, die er seinem Lande für angemessen hält, so muß er zuvor den Algerienkrieg beenden; dieser Krieg läßt sich jedoch, da der immer wieder angekündigte Waffensieg ausbleibt, nur durch Verhandlungen mit? dem Kriegsgegner, also dem FLN.-.beenden; solche Verhandlungen aber drohen den innerfranzösischen Bürgerkrieg auszulösen. Hat sich daran etwas seit dem zweiten Putsch von Algier geändert?Auf die Gefahr hin, als Spielverderber angesehen zu werden,
Seit Anfang Dezember fließt das Erdöl der Sahära von der wichtigsten Zapfstelle H a s s i -Messaud in einer Pipeline bis zum Mittelmeer. Mehr als 13.000 Tonnen Rohöl können täglich diesen Weg nehmen. Das ist ein großer Vorzug gegenüber dem bisherigen Transport, der größtenteils per Eisenbahn vor sich ging. Die Einweihung der Pipeline ist denn auch von Premierminister Debre persönlich zusammen mit Saharaminister Soustelle und der Muselmanin des Kabinetts, Fräulein Sid Cara, feierlich vorgenommen worden.Lange vor dieser Zeremonie aber ist das Oel der Sahara schon zu einem zentralen
Man hat gesagt, die französischen Gemeinde- wählen seien nicht ein Votum gegen den General de Gaulle gewesen, sondern nur eines gegen die Gaullisten. Die Stellung des Staatschefs sei noch unerschüttert wie zuvor. Das stimmt zumindest insoweit, als immer noch die Mehrheit des französischen Volkes hinter de Gaulle steht. Aber tut sie das noch aus denselben Gründen wie im Herbst? Damals war man dem General dankbar dafür, daß er den Bürgerkrieg verhindert habe, und man vertraute darauf, daß er nun Frankreich in eine bessere Zukunft führen werde. Diese Hoffnungen haben sich — ob nun zu
Vor kurzem hat im Elysee-Palast, dem Sitz von Präsident de Gaulle, die erste Sitzung des Exekutivrates der französischen „Gemeinschaft” (Communautė) stattgefunden. Man hat diesen ersten Zusammentritt der „Regierung” der französisch-afrikanischen Völkergemeinschaft mit Spannung erwartet. Würde es dem neuen Regime in Paris gelingen, die allmächtige Tradition des jakobinischen Zentralismus zu durchbrechen und ein von wirklich föderalistischem Geiste durch- tränktes „Commonwealth” nach britischem Muster zu schaffen? Nur wenn das gelingt, hat Frankreich eine Chance, die
Eine Agenturmeldung: „Die erst vor einigen Tagen gegründete Nationalistische Partei, die von den Leitern der Bewegung Jeune Nation’ ins Leben gerufen worden war und gegen die Demokratie auftrat, Staatspräsident De Gaulle-beleidigte, ist wegen Staatsfeindlichkeit verboten worden. Die Polizei hielt in den Büros und bei den führenden Mitgliedern der Partei Hausdurchsuchungen, bei denen „umfangreiches Material sichergestellt wurde.” Wer war diese „Nationalistische Partei”? Welche Kräfte standen hinter ihr, welche Kräfte stehen latent hinter allen diesen rechtsextremistischen
Was ist eine Affäre in Frankreich? Zu ihren Kennzeichen scheint zu gehören, daß sie im Privaten beginnt, aber über die Bühne des Pariser Gesellschaftsbetriebes sich bis in die Politik hinein erstreckt. Ein zweites Kennzeichen einer richtigen Affäre ist, daß sie kuriose Beziehungen zwischen Unterwelt und Halbwelt auf der einen und der Geldaristokratie auf der anderen Seite ans Tageslicht bringt. Drittens wird eine Affäre nie ganz geklärt: ein Großteil ihrer Verzweigungen bleibt in mysteriösem Dunkel, ein paar Kleine werden gehenkt, und über das Ganze wächst allmählich das Gras der
Zs den Symptomen, die ein Anpeilen unseres geistigen Standortes erlauben, gehört, daß die Vorliebe unserer Väter für die Gotik allmählich vom Hang zur romanischen Kunst abgelöst wird. Dieser Vorgang reiht sich ein in den allgemeinen Zug unserer Zeit zum Archaischen hin, der auch auf mannigfachen anderen Gebieten festzustellen ist. In der französischen Malerei des 17. Jahrhunderts beispielsweise stehen uns heute die bäurisch-schweren Figuren eines Georges de la Tour näher als die höfische Szenerie Poussins; ihr Zusammenschluß in elementare Kuben nimmt für unser Gefühl bereits das
Mit seinen einschneidenden Währungsmaßnahmen hat eine neue Phase des Regimes de Gaulle begonnen. Die bisherige erste Phase beschränkte sich in der Hauptsache auf Proklamationen und auf die juristisch-verfassungsmäßige Vorbereitung der Zukunft. Daneben hatte ein 'Sturzbach von „Ordonnanzen“ (so heißen die der Billigung des Parlamentes nicht unterliegenden Gesetze) in einer Unzahl von Einzelfällen die überalterte Verwaltungsmaschinerie des Landes neuen Gegebenheiten angepaßt — Maßnahmen, die bisher durch die schwerfälligen Legislationsprozeduren blockiert worden waren. (Wir
Veränderte politische Situationen erfordern auch veränderte Maßstäbe. Dem „Experiment de Gaulle 1958” gegenüber hat man sich noch nicht auf einen gültigen Maßstab einigen können. Daß die aus der Vierten Republik gewohnten Wertungen zum mindesten vorläufig nicht mehr angewendet werden können, spürt man wohl Aber vorerst wird das Urteil noch verwirrt durch historische Analogien, die weder auf die Person des Generals de Gaulle noch auf den Zustand Frankreichs im Jahre 1958 zutreffen.Im Ausland sitzende Kritiker Frankreichs stellen seit dem Plebiszit vom 28. September den General
Schon im Sommer gab es Leute, die sich wunderten, daß General de Gaulle die ihm von der alten Kammer so großzügig erteilten Vollmachten nicht benutzte, um die einschneidenden Maßnahmen zu ergreifen, ohne die sein Haus auf Sand gebaut sein wird. Diese Leute erhielten von den Anhängern des Generals die Antwort: de Gaulle wartet das Referendum ab; hat er erst das Volk hinter sich, dann packt er zu. Nun, das Referendum vom 28. Oktober hat de Gaulle nicht nur eine V'erfünftel-mehrheit, sondern auch noch die unbeschränktesten Vollmachten eingebracht, die in Frankreich ein republikanischer
Paris, im OktoberMan kennt jene chemischen Prozesse, bei denen ein paar Tropfen einer neuen Flüssigkeit eine gestaltlose Masse zu konturierter Form gerinnen lassen. Ein ähnlicher Prozeß hat sich in der französischen Politik vollzogen. Sie hat über Nacht jene beunruhigende Unbestimmtheit verloren, die im Inland wie im Ausland so viele Sorgen bereitet hat. Anlaß war, daß General de Gaulle sein jahrelanges Schweigen über seine politischen Ziele, das er ja auch nach seiner Rückkehr an die Macht aufrechterhielt, nun endlich gebrochen hat. Seine autoritativ vorgetragenen Direktiven für die
Als de Gaulle in Paris vor dem „Verfassungs-Konsultativkomitee“ zum ersten Male ausrief, die überseeischen Territorien hätten die Wahl zwischen dem geplanten Bundesstaat oder dem Abfall, so hielt man das für eine bloße „bou-tade“. Daß es sich aber um mehr als einen Temperamentsausbruch handelte, stellte sich anläßlich der afrikanischen Propagandatournee des Generals recht bald heraus. Auf ihr hat er das Angebot, die überseeischen Territorien in die völlige Unabhängigkeit zu entlassen, ausdrücklich wiederholt, und zwar nicht nur einmal, sondern mehrere Male.Um die
Es gibt in der Politik Vorgänge, die an sich nicht bedeutend sind, aber stellvertretende Bedeutung haben. Das sind jene „faits divers“ am Rande der großen geschichtlichen Strömung, in denen eine politische Situation in anekdotischer Zuspitzung deutlicher sichtbar wird als durch lange Analysen. Das gaullistische Experiment- von 1958 kennt schon eine ganze Reihe solcher „Affären“, die um ihrer Symbol-haftigkeit willen Aufmerksamkeit verdienen.DER PRÄFEKT UND DER LEUTNANTGibt es beispielsweise etwas, was das gegenwärtige unentschiedene Schwanken zwischen'Legalität und Revolution
Im Franzosen wohnen zwei Wesen, die einander auszuschließen scheinen: auf der einen Seite ist er ein handfester Praktiker, auf der andern ein Liebhaber abstrakter Spiele des Verstandes. Recht deutlich wird das wieder an der Reaktion der französischen Oeffentlichkeit auf de Gaulies Verfassungsentwurf, der nun endlich veröffentlicht, worden ist. Einerseits wird augenzwinkernd gesagt, daß man noch jede Verfassung umgangen oder unterlaufen habe. Der gleiche Mens-.h aber ist imstande, sich mit Leidenschaft am Umdrehen jedes einzelnen Paragraphen dieses Entwurfes zu beteiligen, obwohl noch nicht
Die Zusammenstellung der Regierung de Gaulle stellt ein eigenartiges Experiment dar. Es sind in ihr recht verschiedenartige und teils sogar unvereinbar scheinende Elemente vereint. Und es ist abzuwarten, wie diese Equipe funktionieren wird. Denn so erdrückend das persönliche Uebergewicht von de Gaulle auch sein mag — allein schon des Generals Unvertrautheit mit so gar manchem Sachgebiet hat zur Folge, daß es immerhin auch ein wenig auf seine Minister ankommt.DIE MÄNNER DES „SYSTEMS“Unter diesen lassen sich vier verschiedene Gruppen unterscheiden. Die auffälligste (und umstrittenste)
Paris, im Juni Ein „Mouvement Populaire de 13 m a i“ hat zu einer Pressekonferenz eingeladen, an der es sich der Oeffentlichkeit vorstellen will. Es nimmt schon mit seinem Namen in Anspruch, den Geist des Putsches in Algerien und seiner Träger, der „Wohlfahrtsausschüsse“, auf Frankreich auszudehnen, Darum geht man mit Spannung hin, um zu erfahren, was diese „Volksbewegung vom 13. Mai“ will. Gastgeber ist das im letzten Herbst von den beiden Bauernführern Paul A n t i e r und Dorgeres zusammen mit P o u j a d e gegründete „R a s-semblement Paysan“ mit Sitz in der Rue de
Paris, im Juni Während de Gaulies Triumphzug durch Algerien mischte sich in die Rufe „Vive de Gaulle!“ und „Algerie Francaise!“ ständig ein „Soustelle! Soustelle!“ In Oran unterbrach dieser Zwischenruf “sogar de Gaulies Rede, so daß der General ärgerlich ausrief: „Ich möchte schon bitten M schweigt endlich! Ich fordere euch alle auf, mir auf dem Weg zu folgen, auf den Frankreich zu führen ich die Aufgabe habe.“ Wer ist dieser Mann, der bis zu de Gaulles Fahrt nach Algerien als des Generals Sprachrohr galt und dessen Name nun dem Regierungschef mit drohendem Unterton als
Die letzte französische Regierungskrise im Herbst 1957 hat das erschreckende Ausmaß des im französischen Volk steckenden Antiparlamen-tarismus offenbar werden lassen. Daß sich die Abgeordneten mitten im Algerienkrieg eine einmonatige Regierungsvakanz leisteten, wurde von der doch mancherlei Dinge gewohnten Oeffent-lichkeit als ein zu starkes Stück empfunden. Unter halbwegs normalen Umständen kann sich Frankreich solche Krisen ruhig leisten: seine Ministerialbürokratie verwaltet das Land unberührt von den parlamentarischen Stürmen weiter. Der Algerienkrieg jedoch ist die offene Wunde
Unlängst verkündete Ministerpräsident Gail-lard mit all seinem Charme des Jungen aus guter Familie einer Schar aufmerksamer Presseleute, daß Frankreichs Finanzsorgen für dieses Jahr behoben seien. Die amerikanische Anleihe sei höher ausgefallen, als man erhofft habe. Gleichwohl dürfe man nun in der „finanziellen Rigorosität“ (er vermied das Wort „austerite“) nicht nachlassen: es wäre eine Katastrophe, wenn man die großzügige Hilfe von jenseits des Atlantiks nicht zu einer unerbittlichen Weiterführung der wirtschaftlichen Sanierungsanstrengungen ausnütze. Bei diesen Worten
In Frankreich ist auf dem Grenzgebiet zwischen Politik und Wirtschaft Neues im Werden. Wir haben bereits von den genossenschaftlichen Ideen berichtet, die Poujade heute überraschenderweise vertritt. Das sachliche, unpolemische Interesse, mit dem diese Ideen selbst in einem Teil jener Presse diskutiert werden, die bisher Poujade entweder totschwieg oder nicht ernst nahm, ist auffällig.Woher dieses Interesse kommt, ist klar. Es ist der Hoffnung entsprungen, daß jene große Operation vielleicht doch vermeidbar. sein könnte, die so viele Experten für unausweichlich halten: nämlich die
Kann eine aus dem Ressentiment, aus dem Gefühl unaufhaltbaren Abstieges entsprungene politische Bewegung „konstruktiv“ werden? Der Poujadismus versucht dieses Experiment zur Zeit. Als Mendes-France vor vier Jahren aus Frankreich einen modernen Wirtschaftsstaat machen wollte, war der Poujadismus aus einem Schreckreflex von einer Sekte zu einer Massenbewegung geworden: sein Hauptklientel, der übermäßig aufgeblähte Kleinhandel (ein Speze-reiladen auf 60 Einwohner), spürte, daß die Operation vor allem auf seine Kosten vor sich gehen konnte. Aber der stürmische Vormarsch Poujades brach
So grundverschieden Nordafrika auch von Indochina sein mag — im Grundsätzlichen macht Frankreich in Algerien die gleichen Erfahrungen wie in Indochina. Heute scheint der Punkt erreicht, wo sich der algerische Maquis aus einer mit Formeln der westeuropäischen (französischen) Demokratie arbeitenden Emanzipationsbewegung in einen totalitären Organismus umwandelt. Diese Umstellung geht einher mit einem Wechsel in der Führungsschicht: die im Pariser Quartier Latin aufgewachsenen, vorwiegend arabischen Politiker wurden anscheinend endgültig in den Hintergrund gedrängt durch eine rein
Der Seismograph der offiziellen Pariser Politik schlägt bei wenigen Dingen so erregt aus wie bei bretonischen Angelegenheiten. Damit können höchstens noch elsässische Affären und — natürlich — Algerien konkurrieren. Mit anderen Worten: jener Seismograph reagiert am empfindlichsten, wenn es um den durch den Algerienkrieg akut gewordenen, latent jedoch seit Jahrzehnten schwelenden Kampf zwischen dem sakrosankten Zentralismus und föderalistischen Bestrebungen geht. Man hat das in diesen Wochen wieder recht anschaulich erlebt. Als die Meldung durch die Presse ging, am 10. November