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Der letzte Salomon

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Es sollte sein Hauptwerk werden, ein gewaltiger Zyklus historischer Interpretation. Nun ist „Der tote Preuße“ da, aber Ernst von Salomon starb kurz nach Beendigung, .des “Manuskripts, im Dezember 1972, . U.'J

In Frankreich wird Ernst von Salomon längst zu den Klassikern der modernen Literatur gerechnet. In Deutschland hat er seinen Platz heute noch nicht gefunden; auch nach seinem Tod irrt er irgendwo im Niemandsland zwischen Literatur, Politik und Kolportage („Die schöne Wilhelmine“) umher.

Das wird wohl nicht so bleiben. Aus Distanz wird er vermutlich einen Platz neben Fallada, Plivier und ähnlichen Schriftstellern einnehmen —als Vertreter einer harten, leicht expressionistisch gehöhten Reportage hohen Ranges, die eine bestimmte historische Situation in konkrete Szenen rafft. Wo Salomon nah am unmittelbar Erlebten bleibt, ist er stark und echt; hier gelingen ihm wirklich „klassische Texte, wie etwa die Schilderung seiner Zuchthausjahre in den „Geächteten“ (1930). Aber dieser Autor hat sich nicht auf das zu beschränken gewußt, was seine Stärke war. Das „Unökonomische“, das den Charme des Menschen Salomon ausmachte, hat den Schriftsteller immer wieder zu Unternehmungen verleitet, in denen er unter seine Qualität ging.

Von der „Schönen Wilhelmine“ wollen wir schweigen — Salomon gab offen zu, daß er diesen geschickt angerührten Brei aus Historienbild, Sex und Geheimbündlerei nur um des Honorares willen produziert habe. Daß die Rechnung aufging, erfreute alle, die sich in Salomons Gesellschaft auf Kosten der Königsmätresse mit dem preußischen Herzen betranken. Ernster wurde es bei seinem immer wieder durchbrechenden Drang, große Zeitfresken zu entwerfen. Der Unroman „Die Stadt“ (1932) ist da am exemplarischsten gescheitert: dieses dicke Buch sollte ein Gesamtbild des revolutionären Mitteleuropa von damals zeichnen und blieb doch nur eine Aneinanderreihung von endlosen Diskussionen ohne jegliche Plastik.

Beim „Fragebogen“ (1951) rechtfertigt die Kompartimentierung des Textes durch die numerierten Fragen das Puzzle aus sehr verschieden-wertigen Stücken. Gab man Salomon gewisse Zweifel an diesem Wälzer zu erkennen, so nahm er das gar nicht

übel, sondern brummte vergnügt: „Wartet meinen .Toten Preußen' ab — das wird mein Hauptwerk...“ Alle wußten von dem Grab eines anonymen preußischen. Soldaten, 1866 sieben“'Tage nach Köhiggfätz auf bayerischem Boden gefallen, das Salomon einmal im Kurpark von Bad Kissingen aufgefallen war. Und er sparte nicht mit Andeutungen, daß sein Hauptwerk in großem Bogen auf den unbekannten Mann in diesem Grab hinführen werde. Ob das Buch ein Roman werden sollte oder ein politischer Traktat — das konnte man allerdings nicht genau aus ihm herauskriegen.

Nun ist Der tote Preuße also da, fast sechshundert Seiten stark. Ob der Untertitel „Roman einer Staatsidee“ auch von Salomon stammt, wissen wir nicht. Ein Roman ist das Buch auf jeden Fall nicht. Es ist — um es mit einem Satz zu sagen — ein Versuch, die deutsche Geschichte seit der Germanenzeit neu zu erzählen, ein Versuch, der allerdings nicht bis zum Grab von 1866 führt, sondern mitten im 13. Jahrhundert abrupt abbricht. Ein Fragment also. Das Unterfangen selber hat Salomon (Jahrgang 1902) mit Recht vielen Autorerj gemeinsam, die zwischen 1870 und 1910 geboren wurden und in die große deutsche Krise hineinwuchsen: nämlich den Weg durch die Jahrhunderte noch einmal zu gehen, um so zu erfahren, an welchem Punkt der Kurve man heute steht. Der Ton war dabei jeweils recht verschieden; die Spanne reicht etwa von Wilhelm Schäfers Legenden-Innigkeit bis zum boshaften Spott des letzten in der Reihe, des Joachim Fernau.

Ernst von Salomons deutsche Geschichte, ganz auf die Dialektik von Reichsidee und deutscher Nationalität des „Seht, so war es“ aufgebaut, liegt ihm nicht. Es ist viel trockene Aufzählung in diesem Bericht, der Ploetz liegt stets geöffnet daneben, und aus dem Lexikon werden jeweils brav die Worterklärungen übertragen. Vom Spötter Salomon spürt man wenig, es steckt eher bitter-müde Saloppheit in dem Buch („Andere Städte kochten bereits die Suppe des Aufstandes“). Die Verfremdung der Geschichte — das gelingt Fernau wesentlich besser, und bei ihm findet man auch die großen Linien. Bei Salomon hingegen verliert man sich ins Detail, die Geschichte bleibt grau bei ihm, das Buch hat kein Feuer mehr.

Erwies man dem verstorbenen

Kämpen mit der Veröffentlichung dieses unfertigen Buches einen Dienst? Bei der Anzeige des Buches stießen wir uns daran, daß es nicht bei Rowohlt erscheint, denn die Geschichte Salomons ist schließlich ein Teil der Geschichte dieses Verlages. Nach der Lektüre haben wir Verständnis dafür, daß die Erben von Salomons großem alten Freund (jenem, der Gläser fraß) hier gepaßt haben. An „Der tote Preuße“ ist das

Beste die warmherzige Einführung von Lipinsky-Gottersdorf, die uns an die großen Seiten von Ernst von Sa-lomon erinnert.

DER TOTE PREUSSE. Roman einer Staatsidee. Von Ernst von Solomon. Mit einem Vorwort von Hans Lipinski-Gottersdorf. Langen-Mül-ler-Verlag, München. 573 Seiten, 29.80 D-Mark.

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