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Der letzte Kakanier

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CAVALIERE, HUSCHER UND ANDERE ERZAHLUNGEN. Von Fritz von HersmanoT-sky-Orlando. Herausgegeben und bearbeitet von Friedrich T o r b e r g. Verlag Albert Langen-Georg Müller, Wien-München, 1983. 316 Seiten. Preis 14.80 DM.

„Es ist eine traurige aber unbestreitbare Tatsache, daß die Welt dem Phänomen Österreich mit tiefem Unwissen gegenübersteht.“ So beginnt der zweite (und letzte) große Roman Herzmanovskys, „Maskenspiel der Genien“. Wenn der Dichter „Österreich“ sagt, so meint er freilich nicht das „neue“ Österreich unserer Tage, auch nicht jenes von 1929, als er mit der Niederschrift des „Maskenspiels“ begann, sondern jenes versunkene, große, umfassende Reich — das ihm, dem Dichter, immer noch nicht groß genug war. Denn er zählte Italien und Griechenland, den Vorderen Orient, eigentlich die ganze Levante dazu, und erst dann ist „Tarockanien“ vollständig, wenn es dem Herrn Nepo-muk von Streysand möglich sein wird, in den attischen Wäldern die Schalmeienposten des österreichischen Außenamtes zu kontrollieren ... Dieses Österreich, das einerseits infolge purer Nachlässigkeit, anderseits durch allerlei Quertreibereien nicht verwirklicht worden ist, kennt die Welt nicht. Kennt sie seinen Dichter, seinen letzten Künder und Apologeten? Friedrich Torberg hat das Seine dazu getan, das ebenso kostbare wie köstliche Werk der Vergessenheit zu entreißen, ja es erst eigentlich an den Tag zu bringen. Genau zehn Jahre nach Herzmanovsky-Orlandos Tod erscheint der vierte und letzte Band der „Gesammelten Werke“, die der Herausgeber aber lieber als „ausgewählte Werke“ bezeichnet wissen möchte. Vorausgegangen waren: „Der Gaulsehreck im Rosennetz“ (1928 erstmalig erschienen und 1957 neu editiert), „Afaskenspiel der Genien“ (in den Jahren 1929 bis 1931 geschrieben und 1958 herausgegeben), „Lustspiele und Ballette“ (zu verschiedenen Zeiten entstanden und 1960 erstmalig veröffentlicht). Und nun legt Torberg — „vorläufig definitiv“, wie Kaiser Franz Joseph zu sagen pflegte — als letzten Band der Werke zehn Erzählungen und das umfangreiche Romanfragment „Scoglio Porno oder Bordfest am Fliegenden Holländer“ vor.

Die zehn „Erzählungen“ sind Schnurren, Grotesken, Anekdoten — mit vielen amüsanten Details und zumeist auf eine bestimmte Pointe zusteuernd. Aber das ist Herzmanovskys Stärke nicht. Er braucht immer einen größeren „Auslauf“ —

schon weil der Anlauf bei ihm so lange dauert. „Scoglio Porno“ gibt diesen weiten Rahmen her. Es handelt sich hier um eine legendäre Adriainsel, eine k. u. k. Oase, die allerlei Sommerfrischler und abenteuerliche Gestalten anzieht, wie sie sich im Leben, überall wo er auftauchte, auch um den Dichter zu scharen pflegten. Die geistige Landschaft dieses glücklichen Eilands (das übrigens infolge eines Mißverständnisses von der k. u. k. Kriegsmarine in den Grund gebohrt wird) ähnelt jener des „Maskenspiels“. Hier finden sich, wie in dem Schwesterwerk, wieder herrliche Naturschilderungen von betörendem Reiz, Visionen von nahöstlichen Ideallandschaften, von Städten, Inseln und Küsten, die ein unwirklicher Goldhauch umgibt. So gleich zu Beginn des Romanfragments, mit dem hellwachen Kommentar des Autors: „Erstaunlich, daß ein so betriebsamer Kontinent wie Europa solch märchenhaft verträumtes Küstenland überhaupt sein eigen nennen kann. Nirgends ist das Verglühen Venedigs, das des antiken Roms und der Turbanzeit so spürbar geblieben wie hier.“

Und auf dieser paradiesischen Insel tummeln sich die Herzma-novskyschen Käuze: Ein kaiserlicher Rat, der eine Bibliothek der Selbstquäler besitzt, mit einem Verzeichnis aller Unglückshäuser, die wegen Spukens verlassen werden mußten; ein Herr Löbel Schottländer, der die Karlsbader Quellen betrieben hat und Dinge vorausahnt, von denen sich unser Verstand nichts träumen läßt („Nur zwei-, dreihundert Jahr*, und Wien hat eine Untergrundbahn!“); die vier heiligen Johannesse auf Patmos, exklusive Anachore-ten, die mit gotischen Koffern aus Zedernholz reisen, die mit spitzen eisenbeschlagenen Dächern und wunderschönen Malereien aus der Heildgenlegende geschmückt sind (die Echtheit dieser „Johannesse“ wird allerdings von einem gewissen Dr. Lyon angezweifelt: der eine sei ein gewisser Bernhard Taussig aus Mährisch-Trübau, die anderen hießen angeblich alle Pollak, ohne miteinander verwandt zu sein). Da wird von der Schwarzschule von Venedig berichtet, wo speziell die maritimen Infernaliker ausgebildet werden, in einem Haus, in dem eine Weiße-Mäuse-Handlung drin ist, neben einer Filiale der Singer-Nähmaschinen und einer Trattoria, in der man nur schwarze Spaghetti bekommt usw. Man könnte seitenlang zitieren, denn wo man dieses Buch (und eigentlich alles von Herzmanovsky) aufschlägt, da ist es amüsant, geistvoll und hintergründig-verkauzt. Das Konzert der Baßgeigen zum Beispiel, deren galliges Zwitschern beim Zuhören den Eindruck von piepsenden Drachenküken wachruft ... Oder das merkwürdige Schicksal jener zwei Fregatten, die Perikles II. der großen Maria Theresia schenkte: Auf dem Weg zum Meer blieben sie im Gebirge stecken, wo die Kanonen binnen kurzem von Wilddieben gestohlen wurden; nach und nach wurde dann aus der einen Fregatte eine Wallfahrtskirche und aus der anderen ein Gasthof, der noch heute, im Verfall, eines der wenigen halbwegs komfortablen Hotels Österreichs ist...

Nun liegen also Herzmanovskys Phantasien und Spaße gesammelt vor. Was der Herausgeber geleistet hat (und der Verlag auf sich nahm), wurde von Torberg knapp angedeutet. Aber eine unverdächtige Zeugin, die vor zwei Jahren verstorbene Gattin des Dichters, Carmen Maria, hat über die Arbeitsweise Herzmanovskys berichtet: „So häuften sich, in seiner unleserlichen Handschrift und mit seiner schlampig-genialen Mißachtung jeder Arbeitsmethode, auf unzähligen Zetteln des verschiedensten Formats die Formulierungen und Notizen ...“

Dies alles — sorgfältig gesichtet, klug geordnet und schön gedruckt — nunmehr ohne Beschwer lesen zu dürfen: dies Vergnügen soll man sich nicht entgehen lassen.

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