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Ultra-Gorilla

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Was ist mit dem längst in die französische Alltagssprache eingegangenen Wort „Gorilla“ gemeint? Es wurde keineswegs von einem entrüsteten Antikommunisten als Schimpfwort verwendet. Vielmehr bezeichnet es einen Beruf, nämlich den eines Geheimpolizisten. Man muß ihn sich mit mächtigem Brustkasten, Schultern wie ein Kleiderschrank und bedrohlich hängenden Armen vorstellen. Trotz der zentnerschweren Muskelpakete zeichnet er sich durch bedächtige Überlegtheit aus und kann sogar eher als jovial charakterisiert werden, sofern er nicht gerade jemanden zu Brei verarbeitet. Woher wir das alles wissen? Nun, der „Gorilla“ ist die Schöpfung eines der erfolgreichsten französischen Kriminalschriftsteller, nämlich von Antoine Dominique, der in Wirklichkeit Ponchardier heißt und über erhebliche Erfahrungen in Geheimdienst- und Untergrund-tätigkeit verschiedenster Art verfügen soll. In Frankreichs beliebtester Reihe von Kriminalromanen, der „Serie n o i r e“, hat er bisher 40 Romane veröffentlicht, deren Hauptfigur der „Gorilla“ ist, und von da ist die Figur in den Film weitergewandert, wo sie nun in dem ExCatcher Lino Ventura eine allseitig befriedigende Verkörperung gefunden hat. Ventura hat nicht nur die Gorillasilhouette einer umgekehrten Baßgeige, sondern er ist auch durch und durch gut: er schlägt wirklich nur zu, wenn der andere es nicht einsehen will, und dieser andere, dem die Knochen zerschmettert werden, ist stets der Böse.

Wir haben in diesen Tagen unseren ersten „Gorilla“-Roman gelesen. Wer das für unseriös hält, dem möchten wir zu bedenken geben, daß die „Schwarze Serie“ immerhin bei dem Verleger von Valery, Gide und Peguy erscheint: nämlich bei G a 11 i m a r d, und ihr Direktor, Marcel Duhamel (nicht mit dem Romancier und „Figaro“-Leitartikler Georges Duhamel zu verwechseln), nach Anfängen im Hotelfach sogar einmal Kabinettschef eines Ministerpräsi-•*flWften,iwenn auch ¥m¥ Vött^^lgaf ?F reT$-wesert ist. Im übrigen ist das, was seit 1951, dem:;'I¥seheinen des ietzterirrgr6<ß'en RcmriäW;,'in Frankreich an „seriösen“ Romanen produziert und mit Goncourt-Preisen prämiiert wird, so epigonisch und blaß, daß wir endlich einmal wissen wollten, was in Frankreich diejenigen Leute lesen, die nicht mitreden, sondern einfach sich unterhalten wollen. Und wir müssen sagen: der Vorstoß in die schwarzen Tiefen lohnte sich.

Wir wählten den vierzigsten und bisher letzten Roman von Dominique, weil in ihm laut Titel gleich drei Gorillas vorkommen: „Drei Gorillas auf einem Schiff.“ Das Schiff ist ein französischer Petroltanker, der das „schwarze Gold“ der Sahara nach Amerika transportieren soll. Von den drei Gorillas, die sich in seinen engen Kajüten anglotzen, ist Nr. 1, mit Namen Geo Paquet, der authentische: er gehört dem französischen Geheimdienst an. Gorilla Nr. 2 ist Kapitän des Schiffes; auf dem Piano in seiner Kajüte spielt er mit behaarten Armen Beethoven, weil ihn seine Frau mit dem Gorilla Nr. 3 betrügt. Dieser aber, Franzose wie die beiden andern und von Beruf zweiter Kapitän des Schiffes, hat noch andere Aktivitäten. Er ist ein roter Gorilla, war „im Maquis von Sumatra“ und wurde dann von den „extremistischen Technikern von Johore“ kadergeschult. Seine Aufgabe, von Moskau (oder gar Peking?) gestellt, besteht darin, den Tanker in die Luft zu sprengen, um so dem aufsteigenden Ölprestige Frankreichs einen tödlichen Schlag zu versetzen. (Wieso, das können wir aus Raummangel nicht bis ins Detail ausführen; wir haben es im übrigen auch nicht ganz kapiert.) Er arbeitet dabei mit einem Araber namens Shuitah zusammen, der in den Häfen auftaucht, wo der Tanker anlaufen soll, und laut Dominique ständig ölig zu grinsen scheint. Er taucht aber auch in den Wandelgängen der UNO auf: im Hauptberuf ist er nämlich Vertreter eines nicht genannten arabischen Staates bei der hohen Versammlung.

Die UNO ist der zweite Schauplatz des Romans, neben den penetrant-öligen Tankerkajüten. Hier taucht als wichtigere Figur noch Luis Manjajes auf, Repräsentant eines nicht genannten südamerikanischen Staates bei der UNO, wo er eine Kommission für — Öl präsidiert. (Wir tun es nicht absichtlich: es geht wirklich von A bis Z um Öl in diesem Buch.) Er verkörpert das Edle in dieser Welt. Das sieht man schon daran, daß er nicht Diplomat oder Politiker von Beruf ist, sondern Offizier. Sein Onkel, der Minister, welcher ihm den Posten verschaffte, hat ihm denn auch prophylaktisch gesagt: „Nimm dich in acht, Luis — als Offizier hattest du mit Menschen umzugehen, jetzt mußt du dich mit Worten herumschlagen ...“ Warum aber hat Manjajes die Militärkarriere verlassen, für die er sich allein geschaffen fühlt? „Man muß eben leben ... Seine Frau, eine Französin, eine Pariserin, hatte ein Recht darauf, das komfortable Leben zu führen, das sie immer geführt hatte.“

Unser Südamerikaner weiß, was er dem Lande schuldig ist, das ihm eine solche Frau geschenkt hat. Aber immer, wenn er sich einer der unzähligen frankreichfeindlichen Intrigen in der UNO zu widersetzen sucht, taucht der gleiche Widersacher auf: „... der Araber Shuitah, groß und stark auch er, von kurios .westlicher' Art, mit Londoner Chic. In dieser Kommission der UNO sprach man französisch. Man fand in ihr sämtliche Feinde Frankreichs. Diese erkennt man daran, daß sie französisch sprechen.“ Shuitah schreckt sogar vor einem Entführungsversuch an Manjajes' beiden reizenden Töchterchen nicht zurück, um ihrem Vater die Franko-philie auszutreiben. Aber der amerikanische Geheimdienst ist in diesem Buch insgeheim auf der Seite der Franzosen: treu vereint, halten der CIC und seine französische Entsprechung die Hand über die zwei Halbpariserinnen. (Von denen notabene ihr südamerikanischer Vater sagt, weshalb sie sich in New York nicht in der Fremde fühlen: „Sie sind nicht heimatlos — wie in meinem Land habe ich sie auch hier in die französische Schule getan.“)

Recht interessant sind übrigens die Gespräche, die des Gorillas (Nr. 1) Vorgesetzter, der monokelbehaftete und keck beschnauzte ältere General (in Zivil) Berthomieu, mit dem Kollegen vom CIC führt: „Die gegenwärtige UNO ist eine käufliche und demagogische Institution, eine Reklametribüne, die nicht für Ändlge W geschaffen“?Ä .7:'Man müßte diese Bude (cette boite) neu durchdenken, auf normalen und korrekten Grundlagen neu konstruieren, denn leider geht es ohne sie nicht mehr...“ Worauf der „Ricain“ mit einem als „launig“ charakterisierten „Bah/“ antwortet.

Aber immerhin, der Schnauzbart und der Ricain gehören schließlich der „Bude“ nicht selbst an. Manjajes jedoch tut das. Von ihm bekommt man zum gleichen Thema zu hören: Sehen Sie, in der UNO ist der Terror ein schlagendes Argument. Es ist der Islam, der diese Taktik entdeckt hat ... Um Stimmen in der UNO zu erhalten, genügt es, Kehlen aufzuschlitzen. Und zwar möglichst in großem Maßstab. Die Losung der UNO ist ja nun mal: bloß keine Geschichten I Also vermeidet man diese Geschichten, indem man jenen nachgibt, die Geschichten machen!“

Hören wir noch, was unser Gorilla (Nr. 1) zum Thema zu bemerken hat: „Das französische Parlament war für Geo ja schon eine byzantinische Welt überflüssiger Menschen — (ä pro-pos: wir vergessen ganz, zu sagen, daß Monsieur Ponchardier-Dominique in den 13. Mai verwickelt war) —, aber mit der UNO verglichen, geht sogar das französische Parlament noch an...“ Und erläuternd wird zugefügt: „Wellen von Wut durchdrangen den Gorilla.“

Im übrigen ist Monsieur Ponchardier gar nicht so, daß er subversive Äußerungen bloß seinen Romanfiguren in den Mund legt. Er hat sogar Anmerkungen zugefügt, mit denen er selbst politische Fachausdrücke erklärt. Beim Wort „brain-trust“ beispielsweise lautet die „Definition“ folgendermaßen: „Die amerikanische Politik und Diplomatie ist durchsetzt von diesen eigenartigen commercialo-politico-diplomatico-militaro-rikanischen Technikern I“ Hin und wieder ist eine Definition aber doch etwas geglückter: „Merde!“

Kehren wir jedoch zu den Romanfiguren selbst und zum anderen Schauplatz, dem Tanker, zurück. Dort berät Gorilla 1 mit Gorilla II, dem Kapitän, wie man mit den von Gorilla III beeinflußten Leuten in der Mannschaft fertig werden kann. Dabei entfährt Gorilla II ein bezeichnender Stoßseufzer: „Wenn die Kerle bloß nicht gewerkschaftlich organisiert wären 1“ Bei der Durchfahrt durch den Suezkanal wird darauf hingewiesen, daß man „mit den Ägyptern immer aufs Schlimmste gefaßt sein muß“. Wirklich kommt auch ein „von den Ägyptern dele-

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