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Zustände, deren Erhaltung sich lohnt

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Konservativsein scheint allmählich Mode zu werden. Die linken Themen sind bis in ihre feinsten Verästelungen durchgespielt, und es bleibt für die Dinke bloß noch die Überlegung übrig, ob sie das, was sie geistig ausgebrütet hat, nun auch zu verwirklichen suchen soll. Aber zu entdecken gibt es für sie nichts mehr — der Mensch ist für sie von sozialem und physischem Status her endgültig festgelegt; das schwache Fünklein von „Prinzip Hoffnung“ als Zucker drüber ändert daran auch nichts mehr. Das Lied ist ausgeleiert (auch wenn es noch gefährlich werden kann). Zu den Symptomen, daß die andere Seite geistig interessant zu werden beginnt, gehört, daß die Politologen sieh des Themas „Konservativismus“ anzunehmen beginnen. Von dem Erlanger Politologen Kurt Lenk ist für dieses Frühiahr ein einschlägiges Buch angekündigt; Graf Krockow, der vor kurzem den einen Frankfurter Lehrstuhl angesichts der dortigen Entwicklung enttäuscht aufgab, obwohl er selbst als „Linker“ gilt, sitzt an einer Darstellung der Liberalkonservativen; die den Gewerkschaften affilierte Amateurpolitolo- g“‘n Helga Grebing ist daran, einen Wälzer herauszubringen, ln dem ieder verzeichnet sein soll, der seit J945 je sich in konservativem Sinne geäußert hat, von der „Abendländischen Akademie“ bis zu Artikeln des „Bavemkurier“. Der Titel des Grebin gschen Opus, „Konservative gegen die Demokratie“, sowie Vorabdrucke lassen ahnen, über welchen Leisten die vor nicht allzu langer Zeit erst aus der Zone herübergekommene Dame ihr Thema schlägt. Um so erfreulicher die Überraschung, daß das soeben erschienene erste Politologenbuch über die Konservativen eine so gescheite wie noble Angelegenheit ist. Wir meinen das Buch des Stuttgarter Lehrstuhlinhabers Martin Greifenhagen, „Das Dilemma des Konservativismus • Deutschland«.., .

Professor Greiffenhagen 1st alles andere als ein Konservativer; er sucht vielmehr den Konservativismus zu widerlegen. Aber zuvor tut er etwas, was früher selbstverständlich, heute aber schon fast ein kleines Wunder ist: er zupft nicht im Stil von Frau Grebing das aus dem konservativen Zusammenhang, was in seinen nichtkonservativen Zusammenhang paßt, sondern bemüht sich zunächst, die konservativen Aussagen objektiv und in ihrem richtigen Zusammenhang darzustellen. Er geht sogar so weit, das komplette System, das die Konservativen selber aus eingeborener Abstraktionsscheu nie aufgerichtet haben, aus den einzelnen konservativen Aussagen zusammenzusetzen.

Ein Zeitungsartikel kann nicht auf all das eingehen, was Greiffenhagen über das Verhältnis der Konservativen zu den einzelnen Lebens- und Geisteskomplexen — etwa zu Tradition und Autorität, zu Krieg, Nationalsozialismus und Technik — ausführt. Nur zweierlei sei hervorgehoben. Zunächst ist festzustellen, daß Greiffenhagen einer der ganz wenigen Konservatismuskritiker ist, der begriffen hat, worum es den Konservativen geht; sie wollen keineswegs das Bestehende um jeden Preis bewahren, wie es auch immer beschaffen sei, sondern sie wollen, wie Greiffenhagen es formuliert. „Zustände schaffen, deren Erhaltung sich lohnt“. Das scheint eine bloße Nuance zu sein; es ist in Wirklichkeit ein himmelweiter Unterschied. Zweitens: Greiffenhagens Grundthese über den Konservativismus ist, daß dieser die Aufklärung mit aufklärerischen Mitteln bekämpfe, also ein rationalistischer Irrationalismus sei. Die Gegenfrage wäre; warum kein irrationaler Rationalismus? Oder deutlicher gesagt: das ist ein Käfig, in den sich der Konservative nicht einsperren läßt.

Hier, bei dieser Grundthese, kommt die theologisch-philosophische Anlage Greiffenhagens deutlich heraus. Sie verführt ihn, an die Möglichkeit hundertprozentiger Haltungen zu glauben. Der Konservative hingegen weiß, daß der Mensch weder hundertprozentig „Rationalist“, noch hundertprozentig Ge fühls- und Instinktmensch sein kann. Der Mensch ist eben beides zugleich. Und wenn jemand so tut, als sei alles, aber auch alles, auf rationale Weise zu lösen und die Welt bis zum letzten Tüpfelchen verstandesmäßig zu erklären, so legt der Konservative eben mehr Gewicht auf das Unauflösbare, „Irrationale“. Wenn jedoch, wie heute, an der Linken nichts mehr rationalistisch ist, außer dem Anspruch, es zu sein, wenn der Konservative nur noch von ideologischen Mythen besessenen Derwischen gegenübersteht, so betont er natürlich die nüchterne Rationalität. Das macht ihm gar keine Mühe, denn er hat ja nie aufgehört zu denken — er hat nur festzustellen gewagt, daß das Denken nicht alle Probleme zu lösen vermöge. Gehlen und Forsthoff, als Konservative, sind heute eben rationaler als die Exkommunisten Bloch und Marcuse, die nicht eingestehen wollen, daß sie einem falschen Gott aufgesessen sind, und dadurch zu dialektischen Eiertänzen genötigt werden. Professor Greiffenhagen muß also schon entschuldigen, wenn ihm der Konservative auf die Schlußfolgerung seines sonst so gescheiten Buches nur achselzuckend antworten kann: that’s not the problem. Der Konservative begreift auch nicht, weshalb Greiffenhagen alle zwanzig Seiten ein Paradoxon aufspießt: es ist nun einmal die Struktur unseres Lebens, sich von Paradox zu Paradox zu entwickeln (was, es sei ausdrücklich wiederholt, niemanden davon dispensiert, seinen Gehirnkasten zu benützen).

Wieso sich der Verlag zum prohi- bdtiven Preis von fast 40 Mark für ein solches nach Diskussion schreiendes Buch entschlossen hat, würde uns schon interessieren. Er rechnet wohl angesichts der 32 Seiten Bibliographie mit den Bibliotheken als Zwangskäufern. Vielleicht nimmt der Piper-Verlag aber auch .Rücksicht auf sein Stammpublikum. Nachdem er die linke Modewelle in den letzten Jahren sklavischer als die meisten anderen mitgemacht hat, will er nun wohl sein an die Unwissenschaftlichkeiten von Herrn Mitscherlich gewöhntes Publikum nicht so unvermittelt der kalten Dusche in Form einer wissenschaftlichen Behandlung eines vorerst noch unbequemen Stoffes aussetzen. Aber wenn das Konservative dann mal richtig Mode ist…

DAS DILEMMA DES KONSERVATISMUS IN DEUTSCHLAND. Von Martin Greiffenhagen. Piper-Verlag, München. 360 Seiten. DM 38.—,

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