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Aufgeklärt, konservativ, überfahren

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Zielsicher schlage ich im „Lexikon der Aufklärung” (Herausgeber: Werner Schneiders) das Stichwort „Freiheit” auf. In der Antike, lese ich, sei diese kein Problem gewesen, das Wort habe vor allem die Privilegien einer Gruppe bezeichnet, die als staatstragend galt, eben der Freien. In der Neuzeit habe sich die Problematik verschärft, „einerseits durch das wachsende Selbstbewußtsein der Individuen und den Wunsch nach persönlicher Freiheit (Glaubensfreiheit, Denkfreiheit und so weiter), andererseits durch das Aufkommen der Naturwissenschaften mit ihrem mechanistischen Weltbild, das keinen Platz für Freiheit zu lassen schien ...”

Die Philosophen der Aufklärung, heißt es weiter unten, haben sich vor allem auf die Handlungsfreiheit konzentriert, „Wolff ... behauptete zwar die Willensfreiheit des Menschen, betonte aber andererseits den Kausalzusammenhang der Welt so sehr, daß seine Gegner ihm Fatalismus vorwerfen konnten”. Nach Kant sei der Mensch „als Teil dieser Welt ... ein determiniertes Moment im Kausalzusammenhang, als Ding an sich, nämlich als Bürger der intelligiblen Welt ... hingegen frei, zur Selbstbestimmung fähig”.

Und nun zu „Freiheit” im „Lexikon des Konservatismus”, denn auch das gibt es mit Caspar von Schrenck-Notzing als Herausgeber seit neuestem. Wahrlich, zwischen den beiden Sichtweisen liegen Welten: „Nach konservativer Auffassung ist der ,Herr' in seinen Entscheidungen niemals frei von Verantwortung und an die Erfüllung seiner Pflichten gebunden. So trägt der einzelne Mensch Verantwortung für sich selbst, für die Entfaltung seiner Persönlichkeit und die Entwicklung seiner Talente, vor allem aber für seine Jntegrität'; er trägt Verantwortung für seine Nächsten, für die seiner Herrschaft Anvertrauten ...”

Doch halt, was ist Herrschaft? Leider kein Artikel darüber, da wie dort. Dafür werden wir unter „Autorität” fündig. Das „Lexfton des Konservatismus” zitiert hier 0. Spann

(„Führungsmacht - Herrschaft -kraft geistiger Gültigkeit”) - also doch Herrschaft, es zitiert M. Heitger („A. kennzeichnet die Art der Rezie-hung zwischen Führenden und Geführten”) - eine Absage an das Volk als Souverän?, und es zitiert, keineswegs historisierend oder relativierend, sondern als „in der Schöpfungsordnung begründet”, Rom. 13,1 („Denn es gibt keine Gewalt, die nicht von Gott stammt”) und Rom. 13,2 („Wer sich der Gewalt widersetzt, widersetzt sich der Anordnung Gottes... und zieht sich selbst das Gericht zu”). Es fehlt hier auch nicht die Warnung, „Retriebe, in denen die Retriebsräte dominierten”, hätten „sich im Konkurrenzkampf nicht durchsetzen” können.

Welch klare Wegweisung! Wie lasch dagegen der Autoritätsbegriff im „Lexikon der Aufklärung”: „Menschliche Gemeinschaften wurden immer auch durch Autorität bestimmt, aber offensichtlich gab es immer auch Auflehnung gegen diese und jene Autorität - sei es die der moralischen Wir-kungsmacht des Ansehens, sei es die durch Gewaltandrohung aufgrund physischer der Neuzeit scheint sich das Verhältnis zur Autorität jedoch grundsätzlich zu wandeln, überall werden uralte Autoritäten in Zweifel gezogen; der Humanismus führt zur Überprüfung autoritativer Texte, Luther leugnet die Autorität der Kirche, Renaissance und Reformation führen zusammen zur Ribelkritik. Gleichzeitig wächst jedoch im staatlichen Bereich der Anspruch auf Autorität...”

Man kann Schrenck-Notzing zugute halten, daß er praktisch Neuland betrat, und er hatte es auch sonst schwerer als Schneiders. Die Aufklärung hat einfach mehr Sympathisanten als der Konservativismus. Oder hatte sie wenigstens bis vor kurzem.

Während sich Schneiders als früherer Präsident der deutschen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seine 124 Mitarbeiter in ihrem Material so selbstverständlich bewegen wie der Fisch im Wasser, lavieren Schrenck-Notzing und sein 41 -köpfiges Team, ohne die eigene konservative Einstellung zu verleugnen, zwischen den Spielarten des Konservativismus und halten sich deren rechtem Rand tunlichst ferne.

Das Stichwort Antisemitismus gibt es hier erstaunlicherweise nicht, noch schwerer zu verteidigen ist das Fehlen eines Artikels zum Thema Reaktion. Er wäre aber wichtig gewesen, denn die Wähler, die heute in Österreich den ach so aufgeklärten Sozialisten davonlaufen, werden weder auf die eine noch auf die andere Weise konservativ. Vielmehr läuft ein großer Teil gemeinsam mit den abtrünnigen Wählern des konservativen Lagers einem auch nicht ganz neuen Lager zu, das man durchaus legitim als reaktionär etikettieren darf, und dessen Abgrenzung vom Konservativismus nicht nur wichtig, sondern auch von aktuellem Interesse gewesen wäre.

Man kann den Eindruck gewinnen, einem Teil der Autoren habe in dieser Situation eine Apologie des aufge-klärten Konservativismus vorgeschwebt. Was sie diesem aufgeklärten Konservativismus zuzählen oder für ihn vereinnahmen, wird vorsichtig angefaßt und zum Teil idealisiert. Ein Reispiel für letzteres ist der Beitrag über Friedrich August von Hayek, eins für ersteres der über Ernst Jünger.

Den Jünger-Artikel kann man als „beinahe kritisch” charakterisieren. Das Wort Antisemitismus wird ausgespart, doch wenn schon von Jüngers nie wieder publizierten Texten der frühen dreißiger Jahre die Bede ist, wäre dieses Wort einfach der Sache geschuldet.

Ein Lexikon des aufgeklärten Konservativismus wäre vielleicht sinnvoll, könnte aber nur mit etwas kühneren Sprüngen über den jeweiligen eigenen Schatten wirklich seinen Zweck erfüllen. Man muß die Zurückhaltung aber verstehen. Daß konservative Ideen heute auf einen fruchtbareren Boden fallen als jemals seit dem Zweiten Weltkrieg, ist evident. Hat aber auch ein aufgeklärter Konservativismus Chancen, wird er nicht zwischen Aufklärung und „Konservativismus ohne Zusatz” zerrieben? Daseist die Preisfrage.

Neues wird wohl jeder im „Konservatismus”-Lexikon finden. Der Rezensent genoß zum Reispiel, als Marginalie zur Geschichte der Wiener Schule der Nationalökonomie, die wenigen Zeilen über Ludwig von Mi-ses' Schmähungen gegen John Rus-kin. Es ließe sich noch an vielen Stellen einhaken. Auch negativ. Leider entschied sich der Herausgeber statt für den viel schöneren Konservativismus konsequent für den aus dem Englischen abgeleiteten Konservatismus. Dies dünkt mich zwar sehr modisch, aber überhaupt nicht konservativ.

Das „Lexikon der Aufklärung” behandelt seinen Stoff distanzierter, kritischer, offener, was sich die Autoren freilich auch leisten können, denn sie schwimmen nicht gegen, sondern wissen sich im Einklang mit dem, wenigstens bis vor kurzem noch, vorherrschenden Strom. Das geistesgeschichtliche Phänomen der Aufklärung ist in eine umfassende Darstellung des Lebens eingebettet, vor allem des Lebens im 18. Jahrhundert, wobei die kritische Sicht der Aufklärung nicht zu kurz kommt. Als Beispiel dafür ein Satz des Herausgebers (Schneiders lehrt Philosophie in Münster) aus dem Beitrag zum Stichwort „Vorurteil”, über den es sich länger nachzudenken lohnt: „David Hume, der in Paris die französische Art der Vorurteilskritik kennenlernte und dezidiert ablehnte, hat zumindest teilweise die inkriminierten Vorurteile als zumindest teilweise vernünftige Meinungen verteidigt. Er fürchtete, daß eine Vorurteilskritik, die selbst zum Fanatismus wird, die Gesellschaft nicht reformieren, sondern zerstören würde.”

Die beiden Lexika ergänzen einander auf treffliche Weise. Leider tun sie dies auch insofern, als sie dem Leser viel Wissen über die großen, nach wie vor bestimmenden geistigen Kräfte vermitteln, ihn aber auch zu einer deprimierenden Schlußfolgerung hinführen. Nämlich, daß die Entwicklung offenbar drauf und dran ist, unbarmherzig über beide hinwegzurollen. Bei aller Gegensätzlichkeit haben sich die Aufklärung, die auf die menschliche Vernunft und auf die Souveränität des Individuums setzt, und der Konservativismus, der auf der Einspannung des Menschen in Hierarchien und transzendente Ordnungen sowie auf den alten Werten beharrt, von verschiedenen Voraussetzungen aus zweifellos um ihre spezifischen Ethiken sowie um die philosophische Fundierung mitmenschlicher Verantwortung bemüht.

Die Kräfte, die uns heute überfahren, lassen sich hingegen, mit einem im Stichwort „Libertarismus” des „Lexikons des Konservatismus” vorkommenden Wort, am ehesten als an-archokapitalistisch charakterisieren. Sie sind nicht reaktionär im Sinne des politischen Lagers, in dessen Richtung derzeit Österreichs Großparteien ausrinnen, sondern drehen das Rad der Geschichte ein Stück zur tiefen Kerbe zurück, auf der „Manchesterkapitalismus” steht. Was man heute Neoliberalismus nennt, das hat zwar konservative Wurzeln, doch gilt ihm die konservative Ethik soviel wie die aufklärerische, nämlich nichts, sobald sie die ökonomischen Interessen und den hohen sittlichen Wert der Ge-winnmaximierung tangieren.

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