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Die Internationale der Ultras

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Die französische Rechte ist in den letzten Jahren mehr und mehr in die Rolle eines universalen Sündenbockes geschlittert. Für die „progressiven“ Kräfte auf der ganzen Welt ist sie eine Art von Statthalter des im Orkus verschwundenen Hitler auf Erden geworden: eine Verkörperung der finstersten, menschenversklavenden Reaktion. Bloß den diabolischen Glanz, der bisher dieser Rolle anhaftete, hat man ihr geraubt und ihr dafür den Stempel der Stupidität aufgeprägt. Es war Guy Mollet, der im Kleinen so listenreiche Boß der französischen Mehrheitssozialisten, der das Stichwort gab, als er sie zur „dümmsten Rechten der Welt“ ernannte. Solche weltweiten Verurteilungen halten sich zähe; sie bestimmen selbst das Verhalten derer, die im politischen Kräftespiel dem Verdammten näher stehen als den Verdammenden.

Wir haben bereits von drei Elementen gesprochen, die die Stärke der französischen Rechten ausmachen — wie sie das Odium., eine bloß literarische Angelegenheit zu sein, durch die „direkte Aktion“ überwunden hat; wie’ ihr dadurch die Jugend zuströmte; wie sie unter den besonderen Bedingungen des Algerienkrieges ein Bündel von recht verschiedenartigen, aber sich gegenseitig steigernden Affekten als Antrieb benutzte. Es kommt aber noch ein viertes Element hinzu, ohne das man die virtuelle Stärke der französischen Rechten von heute nicht verstehen kann: ihre internationalen Abstützungen. Sie sind bisher wenig beachtet worden, weil die auswärtigen Partner sich meist sorgsam an das „Bitte-grüß-mich-nicht-auf- der-Straße“ halten.

Das allein würde allerdings noch nicht ausreichen, um diese internationalen Verflechtungen vorläufig noch dem Blick zu entziehen. Es kommt hinzu, daß seit einigen Jahren die übernationalen Fronten sich mehr und mehr verschieben, das träge politische Voka bular und die von ihm bestimmten Vorstellungen dieser Bewegung jedoch noch kaum gefolgt sind. Unser politischer Sprachschatz ist noch ganz von der Spannung geprägt, nach der sich vor einem Jahrzehnt die Fronten ausrichteten: dem Ost-West-Gegensatz. Nun ist der Antagonismus zwischen Moskau und Washington, wie die Berlinkrise dieses Jahres zeigt, heute keineswegs aus der Welt geschafft. Aber die Art, in der man sich außerhalb des Kreises der unmittelbar Leidtragenden mit dieser Krise befaßt, mahnt daran, daß seither ein anderer Antagonismus brutal an die Oberfläche durchgebrochen ist, der eine radikale

Umorientierung der Fronten zu erzwingen sucht.

Die weltpolitische Frontverschiebung

Das genaue Anfangsdatum dieses Prozesses ist, wie immer in der Geschichte, nicht mathematisch genau festzulegen. Solche Vorgänge setzen unmerklich ein mit unbedeutenden Verschiebungen in den Nuancen und den Akzenten; eines Tages werden sie dann durch irgendein spektakuläres Ereignis als bereits vollzogen ins Bewußtsein gehoben. Ein solcher Augenblick war für viele der Tag, an dem einer der beiden mächtigsten Männer der Welt vor einem internationalen Forum mit seinem ausgezogenen Schuh auf sein Pult hämmerte, weil die von ihm mit so viel Eifer in diesen Kreis geholte „dritte Welt“ nicht nach seiner Pfeife tanzen wollte. Seither weiß man, daß es Staatsgruppen gibt, für die der „Ost- West-Gegensatz“ eine „Angelegenheit der Weißen" ist — eine Frontstellung, in die sie sich keineswegs einzuordnen gedenken. Dieses Nichtmitspielen aber hat bis tief in die europäische Welt hinein die Fronten verwirrt. Man kann es — ein Beispiel nur für viele — auch an der heutigen Situation der europäischen Rechten ablesen.

Noch vor einem Jahrzehnt gab es innerhalb dieser Rechten eine reinliche Scheidung in zwei deutlich erkennbare Lager. In ihrer übergroßen Mehrheit stellte sie allfällig vorhandene Ressentiments gegen die USA zurück und ordnete sich in die antibolschewistische Front von Dulles ein; von ihren Mitstreitern in dieser Front unterschied sie höchstens, daß ihr sogar ein Dulles zuweilen zu lau war und sie lieber einen MacCarthy in Washington an

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