6642937-1958_06_07.jpg
Digital In Arbeit

Frankreichs „Gute Erde“

Werbung
Werbung
Werbung

In Frankreich ist auf dem Grenzgebiet zwischen Politik und Wirtschaft Neues im Werden. Wir haben bereits von den genossenschaftlichen Ideen berichtet, die Poujade heute überraschenderweise vertritt. Das sachliche, unpolemische Interesse, mit dem diese Ideen selbst in einem Teil jener Presse diskutiert werden, die bisher Poujade entweder totschwieg oder nicht ernst nahm, ist auffällig.

Woher dieses Interesse kommt, ist klar. Es ist der Hoffnung entsprungen, daß jene große Operation vielleicht doch vermeidbar. sein könnte, die so viele Experten für unausweichlich halten: nämlich die gewaltsame Beschneidung des Mittelstandes, die es Frankreich angeblich allein ermöglichen kann, die Konkurrenz des Gemeinsamen Marktes zu bestehen.

Und diese Hoffnung hat Poujade genährt. Er gab das Stichwort: Nicht den Ladenbesitzer gilt es zu treffen, dessen wahre Interessen im Grunde mit denen des Konsumenten identisch sind; der Feind sind die übertrieben vielen Zwischenhändler, die sich zwischen den Produzenten und den Detaillisten schalten. Ist nicht dasselbe auf die Bauernschaft auszudehnen, die mit sieben Millionen Köpfen immer noch einen so großen Teil der zwanzig Millionen Erwerbstätigen des Landes ausmachen? (Zehn Millionen sind unselbständig Erwerbstätige, also Arbeiter, Angestellte, kleine Beamte; drei Millionen fallen auf den Kleinhandel und das Handwerk; dazu einige, hunderttausend Angehörige der Unternehmerschaft, der freien Berufe usw.) Die Lage der Bauernschaft Frankreichs wird durch nichts deutlicher gekennzeichnet als durch den eigenartigen Umstand, daß der französische Bauer von allen Bauern Westeuropas am wenigsten für das von ihm produzierte Getreide bekommt, dieses Getreide jedoch, wenn es endlich beim Kunden ankommt, inzwischen das teuerste von allem geworden ist. Wenn ein Bauer für ein Kilogramm Tomaten 20 Francs bekommt, dieses gleiche Kilogramm Tomaten den Pariser Konsumenten jedoch 150 Francs kostet, so stimmt offensichtlich etwas nicht.

Hat darum die Bauernschaft nicht das größte Interesse, sich dem angekündigten , Kreuzzug ge£;en. die Interroediaites anzuschließen? Um,die. Stimmung zu erkunn haben wir darum das in der Nähe der Kammer liegende Hauptquartier des im September letzten Jahres gegründeten „Rassemblement Paysan“ aufgesucht. Es hat damals Aufsehen erregt, als drei der ausgesprochensten Dickköpfe der französischen Politik sich zur Gründung dieser „Bäuerlichen Sammlungsbewegung“ zusammentaten: der 5 3jährige Paul Antier als Präsident des 1945 geschaffenen „Parti PaySan“ (Bauernpartei), der über sechzigjährige Henri Dorgeres mit seiner „Defense Paysanne“ (Bäuerlicher Verteidigungsverband), in der wir die stürmischen „Grünhemden“ von vor dem Krieg wiederfinden, und als dritter im Bunde Pierre Poujade mit seiner bäuerlichen Teilorganisation, der „Union de Defense des Agriculteurs de France“ (UDAF).

Das Hauptquartier des „Rassemblement Paysan“ an der Rue de Lille hat nichts von der steif-blasierten Würde, mit der sich Parteizentren sonst umgeben. Man spürt gleich, daß man sich bei einer noch jungen Bewegung befindet. Wir sitzen im Büro des Pressebeauftragten, J. J. Antier, des jugendlichen Neffen Paul Antiers.

Uns interessiert vor allem, wie drei so eigenwillige Personen wie Poujade, Dorgeres und Antier miteinander auskommen. „Ganz einfach: das .Rassemblement' ist eine Dachorganisation, innerhalb deren die drei Gruppen — Parti Paysan, Defense Paysanne, UDAF — ihre Autonomie wahren. Antier, Poujade und Dorgeres haben nur eine Art Patronat — die direkte Führung liegt nicht bei ihnen, sondern vielmehr bei einem dreißigköpfigen, von Raoul Lemaire präsidierten Direktionskomitee, zu dem jede der drei Gruppen zehn Mitglieder gestellt hat.“

Das „Rassemblement“ hat große Fernziele, so beispielsweise die Auflösung des „nationalisierten“ Sektors der Wirtschaft. Für den Augenblick aber interessiert uns mehr die praktische Arbeit. Ein Fachmann der „Bauernpartei“ führt uns ein Beispiel vor: „Da ist ein Produzent, der täglich 350 Kilogramm ,Tripes' (Eingeweide) herstellt. Für die großen Zwischenhändler war diese relativ kleine Menge .uninteressant'. Sie nahmen sie wohl, erklärten dann jedoch dem Mann: ,50 Kilogramm haben wir zum Preis absetzen können, den Rest mußten wir zu einem Ramschpreis abstoßen, er wäre sonst verdorben.' Der Mann war den Leuten hilflos ausgeliefert. Nun haben wir einen Vertreter eingesetzt, der zu den einzelnen Metzgereien gegangen ist und Kostproben und Bestellungen aufgenommen hat. Da die Qualität der .Tripes' vorzüglich war, er-

hielten wir soviel Bestellungen, daß wir nur einen Bruchteil erfüllen konnten. Der Erfolg ist, daß der Produzent seine gesamte Produktion zu einem anständigen Preis absetzen kann, daß die Metzger frischere und billigere .Tripes' haben als bisher und der Kunde gleichfalls. Die Kosten für den Vertreter aber werden durch den Ausfall der unnötigen Zwischenstationen mehr als ausgeglichen. Sehen Sie: Unsere praktische Arbeit wird sich aus unzähligen solcher Einzelaktionen zusammensetzen. Es wird nicht immer leicht sein, denn die ,Mandataires' haben sich viele Detaillisten dadurch verpflichtet, daß sie zugleich ihre Bankiers geworden sind. Aber wir werden es schaffen . . .“

Zum Schluß interessiert uns noch, wie sich das „Rassemblement Paysan“ in politischen Fragen verhalten wird, die über die Bauerninteressen hinausgehen. Ist es eine neue rechtsextremistische Organisation, wie manche behaupten? Der Chef der „Grünhemden“ der dreißiger Jahre, Dorgeres, steht ja im Ruf, ein „Bauernfaschist“ zu sein. „Was heißt ,rechts'?“ stellt Antier jun. die Gegenfrage. „Wenn Sie mit .rechts' reaktionär meinen, so sind wir das sicher nicht — Sie sehen ja, daß wir uns die Verteidigung der .kleinen Leute' zum Ziel gesetzt haben. Man kann uns also kaum vorwerfen, wir seien nicht .sozial'. Aber wir stehen insofern .rechts', als der Bauer eben traditionalistisch ist. Er ist katholisch, er steht für das Eigentum und gegen

alle Verstaatlichung und Bürokratisierung. In der Kammer wären wir wohl zwischen dem MRP und den Independants zu lokalisieren.“

An diesem Punkte greift Bilger ein: „Wir sind keine Faschisten! Wir sind für die Demokratie, aber für die wirkliche Demokratie, nicht diejenige der .fumistes' (Windbeutel).“ Und er führt aus, daß das „Rassemblement“ im Gegensatz zu den Zirkeln von Notabein, die bisher in Anspruch nahmen, die bäuerlichen Interessen zu verteidigen, eine Angelegenheit der Massen sein müsse. „Wenn wir den Kommunismus schlagen wollen, so müssen wir seine politische Organisation übernehmen — es ist die einzige in Frankreich, die diesen Namen verdient.“ Es soll auch in Bälde eine Bauernzeitung in einer Großauflage herauskommen, die den Einfluß der kommunistischen Agrarpresse zurückdämmen und die Ideen des „Rassemblements“ verbreiten soll.

Aber dabei soll, meint Bilger, die Hauptaufgabe nicht zu kurz kommen — die „revälisation de l'homme“ (die Wiederherstellung der menschlichen Werte): „Unser Ziel ist, daß wieder jeder Franzose ein Haus und einen Garten haben soll — erst dann ist man wirklich Mensch, wenn man diese Beziehung zum Boden nicht verloren hat. Wir verteidigen das christliche Abendland gegen die Technokraten!“ Aber das ist keineswegs gegen die europäische Integration gerichtet. „Wir sind für die europäische Einigung! Aber es muß ein gesundes Frankreich sein, das in dieses Europa eintritt!“

Man sieht, daß sich das „Rassemblement Paysan“ über der Unmittelbaren Verteidigung der bäuerlichen Lebensinteressen ein hohes Ziel gesteckt hat: nämlich mitzuhelfen, ein seinem Wesen treu gebliebenes Frankreich in die sich ankündigenden, größeren Einheiten überzuführen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung